Hallo liebe Listige, hi GP, Zaza, Werner....
seit ein paar Tagen hab' ich hier nicht reingesehen und lese jetzt, wie hier die Post
abgeht!
Alle Threads kann ich at one sitting nicht verdauen, so beziehe ich mich nur auf
"Aporien des Cyberspace" und die engagierten Kommentare von Zaza.
http://members.aol.com/zazablitz/private/netzlit/apocyber1.htm
(Werners "Verbale Kompositions-Tabelle" kann ich durchaus genießen,
köstlich! - im Ganzen gesehen ist der GP-Text damit aber nicht "erschlagen").
Wenn ich die "Aporien" ernsthaft lese, rezipiere ich den Text in Sprache und
Gedanken als ein Werk in der Tradition philosophischer Schreibe der Franzosen/Postmodernen
(Lacan bis Baudrillard, auch Sloterdijk u.a.) und kann mich daran erfreuen. Ich verlange
nicht von einem solchen Text, dass er einfache klare Sätze, schlichte Gedanken und
humanes Allerweltsdenk zum Ausdruck bringt - er ist für mich in hohem Maße Kunst. Was
nicht meint "irrelevant" oder "unverständlich" - sondern komplex,
schillernd in den Bedeutungen, kunstvoll im Bau der Begriffsgewitter, zum Nachdenken
anregend, durchaus ab und an mit Hilfe der Methode: Was meint er jetzt eigentlich genau?
(Wenn ich schlecht gelaunt bin, kann ich mich darüber auch aufregen...)
So einen Text in der Art auseinanderzunehmen, wie es Zaza tut (tolle Arbeit! Super als
Diskussionsbeitrag), kommt mir ähnlich vor, als würde man ein dekonstruktivistisches
Gebäude als simplen Büroturm entlarven, weil da doch auch "nur Leute vor Monitoren
auf Stühlen sitzen, die in der Pause Kaffee trinken und auf die Toilette gehen - wie
überall!".
Typischerweise hat Zaza in der Hälfte keine Lust mehr, so analysierend/kritisch
fortzufahren. Ist für mich völlig verständlich, denn aus der "Gegnerschaft"
zu einem solchen Text läßt sich wenig konstruktiv schöpfen, man ignoriert ihn dann
lieber ganz. Denn: es ist ja kein Text mehr, der im Problembewältigungsstil Thesen
aufrichtet und Vorschläge macht, damit man darüber befinde, um zu gemeinsamem Handeln zu
kommen. Gerade in DIESER Tradition stehen solche Texte nicht - und eigentlich versteh ich
nicht, warum das so viele aufregt!
Es sind vielmehr Texte, die eine bestimmte Wahrnehmung, eine versuchsweise Sicht der
Dinge ausformulieren, Texte, die mehr Fragen aufwerfen als Antworten geben, die eigentlich
eher den Vorschlag, mal durch diese Brille zu gucken, enthalten und nicht behaupten, zu
wissen, was "da draußen" ist.
Die meisten Gedanken aus GPs Text sind für mich nicht entlegen, auch nicht
unverständlich:
>Findet die humane >Evolution im cyberspace ihre
(über)natürliche, >postbiologische Fortsetzung oder ist der >Mensch nur eine
vorläufige "Synapse" >in der Autopoiesis einer fremden Subjektivität.
Es entspricht z.B. meiner täglichen Erfahrung, dass ich der Welt kaum mehr auf die
alte Weise (analysieren, diskutieren, Kompromisse finden, planen und beschließen)
begegne. Weder "real" noch "virtuell". Die Welt, das große Ganze,
nimmt mehr und mehr Formen an, die das nicht mehr nötig haben, um zu *funktionieren*
(wesentlich durch Technik und Vernetzung).
Und: Schon nach wenigen Wochen Internet fühlte ich mich als "Knoten im
Netz", (Synapse eines Größeren Anderen), wenn ich z.B. eine Info an einer Stelle
bemerkte und ich wußte, an welcher anderen Stelle sie gebraucht wird. Ich spürte einen
Handlungsdruck, eine Ethik des Informationen-Weiterleiten-Sollens, was mich wunderte, denn
es handelte sich dabei um Dinge, die mich gar nicht interessierten.
Menschlich kaum verstehbar! Das ist doch eine Überlegung wert?
Zazas Widerrede:
>Der Standpunkt, von dem aus Du da sprichst, ist
>irrwitzig.
Wenn die ganze Welt schon irrwitzig ist (für uns Auslaufmodelle ;-), kann man nicht
erwarten, daß ein Beobachter 'vernüftig' bleibt!
>Grundsätzlich: Was das Menschliche angeht, so sind wir
unserer >Herkunft nach Herdentiere, so dass die >Gleichrichtung/Harmonisierung in
der Gruppe/im höheren Verbund >sicherlich unter die urmenschlichen
Überlebensstrategien zählen >darf.
Wenn sich das Microsoft-Universum um mich ausbreitet, empfinde ich das zwar auch als
"Harmonisierung der Gruppe" - und die Netze sind durchaus ein "höherer
Verbund" - allerdings ist da doch ein gewaltiger Unterschied zu dem, was Zaza als
Menschenmaß anspricht! WAS? Das ist schwer auszudrücken, deshalb sind diese Texte so
eigenartig! Das "Wesen der Maschine", "Autopoiesis einer fremden
Subjektivität", "posthumanes Dasein" - alles hilflose Versuche, in Worte
zu fassen, dass da etwas diametral ANDERS ist als zu Zeiten, als wir uns noch in eigener
Wahl zusammentun konnten, um etwas Konkretes (in unserer damals räumlich-beschränkten
realen Umwelt) zu erreichen.
Dieses ANDERE hat wiederum Leute dazu angeregt, allerlei Utopie- und Gottesprojektionen
in den Cyberspace zu legen - auch das eine bemerkenswerte Sache, deren Scheitern man
beobachten kann. Selbst diese GROSSARTIGEN Visionen liegen offenbar voll daneben - dennoch
ist da was....???
Zaza:
>Bliebe die Frage, welche Funktion die/der Einzelne im Verbund
>übernimmt? Nun, die Entscheidung liegt zum Glück hier doch noch >bei jeder/m
selbst. Der Überformung durch Ansprüche und Regeln >anderer als der mir eigenen
Instanzen, kann ich nur entgegen >treten indem *ich* meine Instanzen schaffe. Wo dies
nicht >geschieht regiert der Mainstream und das mit und ohne >Cyberspace.
Zaza, wer bist denn DU?
Wird uns nicht gerade duch das vielfältige Netlife, in dem wir viele Seiten und
Varianten denken und (teils) leben können ohne durch Materie gehindert zu sein - immer
erfahrbarer, dass es kein FESTES Ich gibt? Niemals gab? (Heute beschließe ich, abzunehmen
- doch schon 2 Stunden später nehme ich die Einladung zum Käsefondue an..:-)
>Wo dies nicht >geschieht regiert der Mainstream und das
mit und ohne >Cyberspace.
Weisst du nicht, dass es heute Mainstream ist, etwas BESONDERES zu sein???
GP:
>Noch hat die deterritoriale Herrlichkeit >omnipräsenten
Seins aber keine Kondition gefunden, die >sich aus der Schizophrenie des interface und
alter >Körperfron löst. Eine virtuelle Kompensation des >Körpers aus dem
ubiquitären Geist vom cyberspace ist >noch nicht zu besorgen, weil die uns begreifbare
>Virtualität auf den erdgebundenen Hybrid des >Körper-Geistes und seiner
künstlichen Ausstülpungen >angewiesen ist.
Ja, das ist ein Fakt: Soviel, wie auf einmal in meiner Möglichkeit liegt, kann ich
einfach nicht machen - nicht physisch (auf dem Stuhl sitzen), nicht psychisch
(..mitfühlen..) und nicht mental (Info-Overflow).
Und das ist ein LEIDEN. Denn es ist sehr menschlich, nach Möglichkeiten zu suchen und
zur Verwirklichung zu streben. Jetzt werde ich mit Möglichkeiten zugeschüttet! Deshalb
versteh ich die Rede vom Auslaufmodell. Mein "Wissen" lagert zu großen Teilen
auf Festplatten, ohne die ich mich kaum noch sinnvoll unterhalten kann....(außer über
ganz einfache Dinge des täglichen Lebens - ich experimentiere ja damit im Digidiary,
versuche, es festzuhalten...).
Zaza:
>Allerdings >empfinde ich dieses Streben nach Vergeistung
als zutiefst >lebensfeindlich. Lebendig, das heißt ganz und gar, mit jeder >Faser
am Leben teilzunehmen.
Das Leiden, das ich ansprach (und das in diesem Kontext immer gemeint ist), ist kein
"Streben nach Vergeistigung"! Sondern ein schlichtes Kranken am Ist-Zustand, der
sich weitgehend ohne mein "Ja" oder "Nein" entwickelt (sofern ich
nicht versuche, "auszusteigen" - mit 45 erkennt man das allerdings als
Illusion). Mit "jeder Faser am Leben teilnehmend" kann ich nur noch leidend
meinen Alltag vor dem Computer in der globalisierten Infogesellschaft leben. Deshalb
ziehen es viele vor, Teile der eigenen Leiblichkeit zu vergessen - soweit möglich! Doch
das scheitert ebenso.
>Ein Mensch, der so ausser sich ist, dass er von sich als dem
>erdgebundenen Hybrid des Körper-Geistes spricht, ist nicht bei >Sinnen und
allerdings in großer Gefahr sich im Netz vollends zu >verlieren, denn was sollte ihn
dort noch zu sich bringen?
Tja, was? In gewisser Weise sind wir alle so außer uns. Alle, die wir im kühlen
Schein der Monitore in Mailinglisten schreiben, unsere Home-, Kultur- und Businesspages
pflegen, auftauchende Fragen blitzgeschwind mittels Suchmaschinen beantworten, unser
Einkommen mehr und mehr durch DIESE Aktivitäten 'generieren", und vor allem unsere
Bestätigung, ein "nützliches Mitglied der Gesellschaft" zu sein, über die
Netze beziehen. Wer ist denn da noch "bei Sinnen"? Gerade unser
"sinnvollstes Agieren" entfernt uns zwangsläufig von den Sinnen - und das ist
tragisch, katastrophal.
Ich wohne jetzt ja hier inmitten von Wiesen, Wäldchen, Feldern, Gärten in einem
kleinen Dorf. Doch im Ernst: ein bißchen Gartenarbeit ist ja schön, es ist wunderbar,
draußen zu sein und einen weiten Blick zu haben - aber: dies ist vollständig von meinem
Netlife abhängig und ich habe nicht ernstlich die Wahl, das Zentrum meines
Wünschens&Wollens etwa ins Gemüse-Anpflanzen oder Tiere-Züchten zu stecken. Obwohl
das hundertmal besser für meinen physischen und psychischen Körper wäre.(Das tun hier
auch nicht die "Unvernetzten" - STADT ist heute überall!)
DAS ist wiederum nicht die "Schuld" der Digitalisierung, bzw. des Netzes!
Denn:
>Cyberspace simuliert nicht, sondern höhlt >eine Realität
aus, die auch nicht mehr >als eine geronnene Virtualität repräsentiert.
Dem, was vor dem Netz war, geht nämlich das Gutenberg-Universum voraus. Keine
"artgerechte" Existenz des Menschen in GANZER LEIBLICHKEIT, wie immer die
aussehen könnte.
Genug für jetzt
Lieben Gruß
Claudia Klinger |