Die Diskussionen um das neue Bonner
Festspielhaus sind vielleicht nicht weniger denkmalwürdig als die alten
und neuen Sehnsuchtsobjekte. Großdiskussionen dieser Art sind
wundervolle Gelegenheiten, den eigenen Standpunkt zu nobilitieren, so
wenig es ein Standpunkt und schon gar nicht ein eigener sein muss. Sag
mir, wie du zu dem Bonner Festspielhaus stehst und ich sag´ dir, wer du
bist. Nun könnte man dieses Festspielhaus bauen oder nicht, Musik hören
oder es lassen, aber das wäre nicht einmal der halbe Spaß. Das längst
nicht errichtete Festspielhaus Beethoven ist ein selbstreferentieller
Diskurs, in dem es eher peripher - was für Repräsentationsarchitektur
ja eher eine seltsame Position ist - auch um Architektur, Akustik und
vielleicht diesen oder jenen Kulturbegriff geht. Das
„Jahrhundertprojekt“ ist die Diskussion selbst. Gegenwärtig geht es
um die aporetische Fundamentalfrage des Denkmalschutzes, die auf ewig
unentschieden lässt, ob Baron Haussmann nun ein Demoliteur oder ein
Wohltäter der Menschheit war. Die „Beethovenhalle“ von Siegfried
Wolske darf nicht sterben. Nun erkennen wir oder lassen uns das sagen,
dass es sich um ein historisch aufgeladenes Gebäude handelt, in dem
sich honorige, unvergessliche Großtaten der jungen Bundesrepublik
ereignet haben. Der FAZ-Laudator Michael Gassmann ergeht sich in diesem
Lob der alten Halle, in deren Mauern „ein halbes Jahrhundert städtischer
Musikkultur“ stecke, was dann historisch erschauern lassen mag, aber längst
kein Ausweis gegenwärtiger Bedeutung ist.
Kurt
Masur sieht Musikkultur hier eher gefährdet: "Die Neunte hier ist
eine Verlegenheitslösung." (GA vom 29.03.2010) Entscheidender noch
ist aber seine Feststellung zu der bestehenden Halle: "Die Halle
ist so wie sie ist, sie ist nicht verbesserbar."
Das ist vernichtend. Denn im Klartext heißt das, dass nicht die
Erhaltung oder der Abriss das eigentliche Problem sind, sondern allein
die Frage, wie man in Bonn überhaupt Beethoven aufführen kann.
Gegenwärtig - so die conclusio - hat Beethoven in Bonn zumindest keinen
musikalischen Standort.
Und jetzt mal ehrlich: Kein
Bonner sieht dieses angenehm konturlose Nachkriegsobjekt mit seiner
sanften Sahnekloß-Ästhetik noch als emphatische Bereicherung des
Rheinpanoramas. Ist das dem schnöden Alltags-Blick geschuldet? „Die
Beethovenhalle prägt die Rheinsilhouette der Stadt und fügt sich
zugleich in sie ein. Die sanft schwingende Kuppel ist markant, ohne
aufdringlich zu sein. Weit öffnen sich die rheinseits gelegenen Räume
zum Fluss. Ihre wasserblaue Kachelung ist ein munterer Gruß an den
Strom.“ (Gassmann) Der Strom freilich, der schnöde, grüßt eher nicht
zurück, weil er sich nicht für Farbigkeit, sondern dumpfes Grau
entschieden hat. Gassmann schöpft hier wenigstens im Text die
Architektur nach, das klingt poetisch und man reibt sich die Augen. So -
wenigstens semantisch - schön ist also die Bonner Ansicht, alle Witze
über unbewegliche Bahnschranken, rheinische Dösigkeit und schlechtes
Wetter Kolportage und wir, wir Ignoranten, haben es nicht gesehen.
Markant sind diese Formen nicht. Die Halle zeichnet sich durch eine
Unbestimmtheit aus, der zugute zu halten sein mag, dass diese Formenwelt
fernab von Herrschaftsarchitektur steht. Doch reicht das aus? Das
assoziative Namedropping "Scharoun" zum Beleg der
architektonischen Organizität der Halle rettet es nicht, vor allem
deshalb nicht, weil dessen Bauten sehr viel dynamischer und mutiger sind
als die Beethovenhalle.
Es gibt Eisdielen aus diesen Tagen, die ästhetisch keinen anderen
Regeln folgen als Wolskes Architektur. Auch die waren in irgendeinem
Sinne schön, ohne dass
wir sie dauerhaft hätten konservieren wollen. Das Eis schmeckte gut,
aber das gibt noch keinen fetten Grund, hier dauerhaft zu verweilen.
Diese und andere Nachkriegsarchitektur löste sich von ihren grausigen
Vorgängern pathetischer Aufdringlichkeit, ohne ihre relative Formarmut
je völlig verhehlen zu können. Dieser Formenschatz wandert in die
Museen und Kataloge und das ist gut so. Für Gassmann wäre es indes ein
barbarischer Akt, die Beethovenhalle dem Festspielhaus Beethoven zu
opfern. In jeder Kultur steckt Barbarei. Anders kann sie sich nicht
konstituieren. Diese älteste Dialektik des Denkmalschutzes, dieser
Kampf zwischen Erhaltenswürdigem und der „Demolition“ ist nicht
dadurch auflösbar, dass der Kritiker großzügig das Label
„Barbarei“ verhängt. Denn diese Markierung ist nicht nur im
vorbezeichneten Sinne kategorisch schwach, sondern könnte, man erinnere
sich für eine aufklärerische Sekunde an Adornos Wortgebrauch, für
wirklich schändliche Taten reserviert werden. Wenn unsere, damaligen Maßstäben
folgend, gelungene „Eisdiele“ verschwindet, ist das kein Freudenakt,
aber wir werden es verschmerzen. Das Lebensgefühl dieser Tage, das
Siegfried Wolske Architektur werden ließ, ist nicht so unvergänglich,
dass wir nun weinen müssten. Das alte Paris bot bestimmt größere Schätze.
Ist es nicht von eigener ästhetischer Erhabenheit, gerade in Zeiten des
Speicherwahns, Dinge vergehen zu sehen und nur noch ihre Spuren zu
konservieren? Erinnerungen, die aus solchen Relikten entstehen, sind die
besten. Erst jetzt, im Moment des Falls, glaubt man eine Schönheit
beschwören zu müssen, die längst dahin ist, wenn sie denn je
existiert haben sollte. Farewell. Oder sind die Entscheidungen von
Denkmalschützern selbst denkmalgeschützt?
Goedart Palm
P.S.: Denkmalschutz sollte in Zeiten der virtuellen Wirklichkeitsvor- wie -nachbereitung die absolute Ausnahme sein. Das haben sich unsere Kinder verdient. Generationengerechtigkeit heißt auch das zu entrümpeln, wo unser Herzblut betroffen ist. Eure Kinder werden es euch danken.
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