Liebe Claudia, liebe Zaza, lieber Günther, lieber Werner und Ihr anderen
da draußen in der kalten Winternacht oder an den wärmespendenden Monitoren,
wie könnte es anders sein, ein paar flüchtige
Bemerkungen zu weniger flüchtigen Anmerkungen:
1. Ohne Leser und Autoren wie Claudia wäre Cyberspace
eine armselige Landschaft. Und zwar nicht wegen der Suche nach cybernarzisstischen
Streicheleinheiten, die fraglos zu genießen sind, sondern weil es Menschen mit ähnlichen
Erfahrungen gibt. Claudias Kommentar ist im Prinzip von meiner Seite nichts hinzuzufügen.
Eigene Texte zu kommentieren, ist darüber hinaus eine gefährliche Mode, weil mein Credo
lautet: der Text ist ein Text ist ein Text. Es gilt also das geschriebene Wort.
Gleichwohl, weil persönlich angesprochen und Zaza nun
wirklich den Autor ehrende Arbeit geleistet hat - inklusive der dem Text beigecyberten
"Schrödinger-Katze": Cyberspace ist die unglaublichste, unheimlichste und
unmenschlich-menschlichste Erfahrung, die wir vermutlich in unserer kleinen Lebenszeit je
machen werden. Werner hat weiland vom "Zipfel der Ewigkeit" gesprochen, wenn ich
mich recht entsinne. Und vielleicht ist es ja sogar für uns der "Gipfel der
Ewigkeit". Etwas unpathetischer gesprochen: Wir sitzen im Epizentrum der Explosion
und einige sinnieren darüber, wie sie die schöne neue Welt nach Menschenmaß bauen
wollen. Gutes Gelingen!
2. Einen Text, lesbarer zu machen, ist ein gefährliches
Unterfangen, weil leicht die Eigenart des Textes auf der "hermeneutischen
Strecke" bleibt.
Zaza:
"Übersetzt: Das Anscheinende ist ein
fortschreitender Möglichkeitsraum, der die Gestaltung des Nichtseienden zur Begründung
einer, die Wirklichkeit hinter sich lassenden, entgrenzten Welt erklärt, welche sich in
unzählige mögliche Welten auffächert."
Also wenn ich das je formuliert hätte ich
wage es nicht einmal zu denken und bin weit entfernt davon, es zu verstehen - wäre ich
hier gnadenlos ausgestanglt worden, aber Werner ist ja ein Fan Deines blitzeschleudernden
Textes J und ich befürchte
gleichwohl, dass ich Werners Ansatz wenn auch nicht in dieser konkreten Anwendung
im Übrigen näher stehe, als ich es hier oder er es dort jemals zugeben würden.
Na gut, Polemik hinter den Paravent, wenns mir auch
schwer fällt und zum Kernpunkt Deiner Kritik im allseits beliebten
Roundtable-Klartext:
Was Zaza wären wir je anderes gewesen als Ver-rückte
mit dem vergeblichen Widerstand gegen die Ver-Rückungen, die einer in einer Lebenszeit -
auch jenseits des Netzes - so hinnehmen muss? Und zugleich hast Du Angst vor dem
Mainstream, jenem Mainstream, der sich im Wesentlichen dadurch definiert, immer die
größte Angst vor der Verrücktheit gehabt zu haben. Allein diese Mischung aus
Unaussprechlichem, Standortverlust, Ver-
Rücktheit,
gilt es zu kultivieren, weil ein erheblicher Unterschied
zwischen Irren und Ver-rückten besteht (Beispiel für eine
"Selbst-Ver-Rückung": Gabriele verwandelt sich zu Zaza).
Das "Ich" hat in dieser Kultur allerdings
ausgespielt, endgültig und für immer. Der Prozess gegen das "Ich" läuft
bekanntlich schon länger...er beginnt mit der abendländischen Philosophie trotz
"homo mensura"...hat trotz Fichte eine starke Hauptachse im deutschen
Idealismus...dann vernichtende Worte bei Ernst Mach ("Das Ich ist
unrettbar")...dieses Jahrhundert hat Freud schließlich machtvoll eingeleitet mit der
provokativen Feststellung, wie wenig Herr im eigenen Haus das "Ich" ist, die
Dekonstruktivisten haben dann den kläglichen Rest liquidiert (Etwa Foucault:...eine
verwehende Spur im Sand).
Du Zaza folgst in Deinen Formulierungen in etwa Max
Stirners "Der Einzige und sein Eigentum": Das war die Bekenntnis gewordene Angst
des 19. Jahrhunderts vor der sich abzeichnenden Kollektivierung, der menschenverachtenden
Industrialisierung und der gnadenlosen Macht des Kapitals. Nur hat das kleine
GERNEGROSSICH dagegen wenig vermocht, wenn es auch lautstark seine Egotrips bis auf den
heutigen Tag inszeniert und gerne glaubt, der spiritus rector aller Dinge zu sein. Die
alte Angst vor Macht- und Authentizitätsverlusten
(Teil 3!) des "Ich" hat sich augenscheinlich auch in diesem Jahrhundert nicht
verflüchtigt, ist vielleicht auch nicht zu verdrängen (Werner fragen!), andererseits
regieren mächtige Entertainmentindustrien, im Netz und überall, mit dem Ziel, das Singen
der Kinder im dunklen Wald aus der Furcht vor den allgegenwärtigen Gespenstern zu üben.
Zaza:
"Dass der Mensch nur eine evolutionäre Vorform des
Netzbewusstsein sei, ist schon wieder so ein absurder Gedanke. Was wäre denn Dein Netz
ohne Menschen? Was soll das sein? Einzig gekoppelte Rechner? Oder vergisst jeder Einzelne,
dass er einzig ist und ist dir darum kein Mensch mehr?"
Ich hoffe als mittelalter Beckettleser sehr, dass der
Gedanke hinreichend absurd ist wie könnte man, aber auch frau, sich sonst gegen
das Absurde verhalten. Dass das Netz deiner Meinung nach Menschen braucht, übrigens
Steckdosen und eine Unmenge Kabel nebst Chips nicht zu vergessen, ist eine wundervolle
Sinnrettung nur, um einen alten Witz zu variieren, weiss das Netz das auch, oder
ernsthafter nachgefragt: "Wie lange braucht das Netz den Menschen noch?"
Bei Moravec kannst Du nach den Details fragen, weil der
Mann in Sachen KI/AI eine der wenigen Autoritäten ist, die sich zu konkreten Aussagen
hinreissen lässt. All das hat nichts mit "Lemminghausen" zu tun, sondern mit
evolutionären Extrapolationen, die nicht allzu schwer fallen. Dieses
Vernetzungsbewusstsein ist kein menschbestelltes Killerkommando das mag nur die
NetLit-Abteilung SF so sehen sondern ein Nachfolgemodell, das sich vermutlich für
"Auslaufmodelle" und ihren fröhlichen, egomanen "Auslauf" in Wald und
Wiesen nicht sonderlich interessiert. Das mag dahinstehen, weil das schon längst nicht
mehr unsere Geschichte ist, wir sind die bewusstseinsschwachen Zeugen, die sich aus
ältester Gewohnheit mit den Akteuren verwechseln. Viel mehr wollte ich diesmal und
vielleicht auch in jenem Text nicht sagen. Aber allein der Text gilt, und um nochmal mein
idiosynkratisches Textethos zu betonen: Ein Text ist ein Text ist ein Text. Und
umgeschrieben wird gar nichts. Fortsetzung folgt...
Zum lieben Werner: Neurophysiologe, Psychologe,
Pädagoge, Anthropologe, radikaler Konstruktivist, Positivist, Originalquellenstudierer
(Subjektivitätsbegriff!), Elektrotechnikus, Dozent (mit Akzeptanz), Dichter, Satiriker,
Maskenabreisser (für gefährliche Ignoranten wie den Unterzeichner), den Rest hab ich mir
noch nicht gemerkt. Eigentlich braucht man dazu gar nichts mehr zu sagen, er beschreibt
sich halt selbst. Er redet ständig von seiner Autorität. Ist die so gefährdet? Wer will
sich hier eigentlich profilieren? Leicht könnte man sich im Gegenzug zur Albernheit
verführen lassen, eigene universitäre Lehrtätigkeiten und wissenschaftliche
Löwenjagden zum Besten zu geben - geschenkt!
Traurig im vorliegenden Kontext ist nur, dass erstens
Werners Gesprächsstil kontraproduktiv ist, weil er in imaginäre Waden beißt und
zweitens, das ist das Allertraurigste, Werner sich eine Autorität anmaßt, die sich in
unserem fröhlichen Gesprächsspiel nicht in harter Währung einlösen lässt.
Drei kleine Beispiele, wie Stechmücken zu
Gummielefanten aufgeblasen werden:
"Evolutionshöhepunkt": kennt Werner nicht.
Schade eigentlich. Da käme man schon mit Darwin hin, The Descent of Man! Darwins
"Descent" impliziert bereits im Begriff den Höhenunterschied. Von wem stammt
der Mensch ab? Richtig! Für den einfachsten Sprachgebrauch: Jede Entwicklung hat einen
Höhepunkt, auch wenn es nur ein gegenwärtiger sein mag, sonst wäre sie keine. Das zum
Thema Sprachgenauigkeit - viel Aufregung also um schon überhaupt gar nichts!
"Autopoiesis": Weils gar zu lustig
ist..."Autopoietische Maschinen sind Individuen, d.h. sie erhalten dadurch, dass sie
ihre Organisation durch alle ihre Produktionsprozesse hindurch invariant erhalten, aktiv
eine spezifische Identität, die unabhängig ist von ihren Interaktionen mit einem
Beobachter. ...allopoietische Maschinen sind keine Individuen." Das passt sehr gut zu
meinem inkriminierten Begriff "Autopoiesis einer fremden Subjektivität". Nur -
vielleicht rührt das Zitat ja von einem weiteren Ignoranten her. Wen fragen wir da nur?
"Synapse": Übrigens im Text in
Anführungszeichen gesetzt und offensichtlich von gutwilligen Lesern auch verstanden!
Oh, Du schändlicher Begriff, der Du Dich heimtückisch
umgangssprachlich in meinen Text eingeschlichen hast! Nicht ganz so unfreiwillig indes,
wie Werner denkt. "...postsynaptische Oberflächen von Synapsen, die uns als
Öffnungen erscheinen, weil wir uns als Beobachter eben dort (be)finden. Wir bezeichnen
diese Öffnungen als "Medium" und behandeln die Sensoren als Oberflächen für
strukturelle Interaktionen..." Ich schenk mir den Rest, einfach bei Maturana,
"Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit", S. 20 ff.
nachlesen.
Jedes weitere Wort darüber, dass sich mit Worten
spielen lässt, Terminologien nicht sakrosankt sind, es metaphorische Verwendungen gibt
und die Wissenschaft - welche eigentlich? - nicht der einzige Welterschließungsmodus ist,
etc. ist wohl inzwischen überflüssig zu erwähnen.
Wie festgestellt, hat Claudia dazu Wesentliches gesagt
und Günther war auch noch einmal so freundlich, es hilfreich zu ergänzen.
Gell Werner, ich hab das falsch verstanden, einen Jux
will er sich machen? Wenn es eine satirische "ars combinatoria" gibt, mit der
man/frau solche Texte schreiben kann - ohne Nachzudenken, mehrmaliges Gähnen oder gar
Leidensdruck selbstverständlich - verrat er mir noch mehr über diese schwarze Kunst,
Gevatter.
So aber bin ich noch nicht gerüstet zu Eurer Frage
"Wie kommt der Pfarrer ins Puff?" beizutragen. Meine Frage wäre eher "Wie
kommt der Pfarrer ans Grammatik?" Im Übrigen: Als radikale Prognostik scheint der
Konstruktivismus der gegenwärtigen Listenerfahrung nach ja weniger tauglich zu sein, wenn
man Statements anderer so nassforsch antizipiert, you know what I mean ;-).
Bevor ich aber noch weiter polemischen Unarten fröne,
beste Grüße in der fröhlichen Versicherung, dass es weiss Gott oder Cyberspace -
schlechtere Mailing-Listen gibt,
GP |