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"Aporien des Cyberspace"

Revisited (01.12.1999)

Liebe Claudia, liebe Zaza, lieber Günther, lieber Werner und Ihr anderen da draußen in der kalten Winternacht oder an den wärmespendenden Monitoren,

wie könnte es anders sein, ein paar flüchtige Bemerkungen zu weniger flüchtigen Anmerkungen:

1. Ohne Leser und Autoren wie Claudia wäre Cyberspace eine armselige Landschaft. Und zwar nicht wegen der Suche nach cybernarzisstischen Streicheleinheiten, die fraglos zu genießen sind, sondern weil es Menschen mit ähnlichen Erfahrungen gibt. Claudias Kommentar ist im Prinzip von meiner Seite nichts hinzuzufügen. Eigene Texte zu kommentieren, ist darüber hinaus eine gefährliche Mode, weil mein Credo lautet: der Text ist ein Text ist ein Text. Es gilt also das geschriebene Wort.

Gleichwohl, weil persönlich angesprochen und Zaza nun wirklich den Autor ehrende Arbeit geleistet hat - inklusive der dem Text beigecyberten "Schrödinger-Katze": Cyberspace ist die unglaublichste, unheimlichste und unmenschlich-menschlichste Erfahrung, die wir vermutlich in unserer kleinen Lebenszeit je machen werden. Werner hat weiland vom "Zipfel der Ewigkeit" gesprochen, wenn ich mich recht entsinne. Und vielleicht ist es ja sogar für uns der "Gipfel der Ewigkeit". Etwas unpathetischer gesprochen: Wir sitzen im Epizentrum der Explosion und einige sinnieren darüber, wie sie die schöne neue Welt nach Menschenmaß bauen wollen. Gutes Gelingen!

2. Einen Text, lesbarer zu machen, ist ein gefährliches Unterfangen, weil leicht die Eigenart des Textes auf der "hermeneutischen Strecke" bleibt.

Zaza:

"Übersetzt: Das Anscheinende ist ein fortschreitender Möglichkeitsraum, der die Gestaltung des Nichtseienden zur Begründung einer, die Wirklichkeit hinter sich lassenden, entgrenzten Welt erklärt, welche sich in unzählige mögliche Welten auffächert."

Also wenn ich das je formuliert hätte – ich wage es nicht einmal zu denken und bin weit entfernt davon, es zu verstehen - wäre ich hier gnadenlos ausgestanglt worden, aber Werner ist ja ein Fan Deines blitzeschleudernden Textes J und ich befürchte gleichwohl, dass ich Werners Ansatz – wenn auch nicht in dieser konkreten Anwendung – im Übrigen näher stehe, als ich es hier oder er es dort jemals zugeben würden.

Na gut, Polemik hinter den Paravent, wenns mir auch schwer fällt – und zum Kernpunkt Deiner Kritik im allseits beliebten Roundtable-Klartext:

Was Zaza wären wir je anderes gewesen als Ver-rückte mit dem vergeblichen Widerstand gegen die Ver-Rückungen, die einer in einer Lebenszeit - auch jenseits des Netzes - so hinnehmen muss? Und zugleich hast Du Angst vor dem Mainstream, jenem Mainstream, der sich im Wesentlichen dadurch definiert, immer die größte Angst vor der Verrücktheit gehabt zu haben. Allein diese Mischung aus Unaussprechlichem, Standortverlust, Ver-

Rücktheit,

gilt es zu kultivieren, weil ein erheblicher Unterschied zwischen Irren und Ver-rückten besteht (Beispiel für eine "Selbst-Ver-Rückung": Gabriele verwandelt sich zu Zaza).

Das "Ich" hat in dieser Kultur allerdings ausgespielt, endgültig und für immer. Der Prozess gegen das "Ich" läuft bekanntlich schon länger...er beginnt mit der abendländischen Philosophie trotz "homo mensura"...hat trotz Fichte eine starke Hauptachse im deutschen Idealismus...dann vernichtende Worte bei Ernst Mach ("Das Ich ist unrettbar")...dieses Jahrhundert hat Freud schließlich machtvoll eingeleitet mit der provokativen Feststellung, wie wenig Herr im eigenen Haus das "Ich" ist, die Dekonstruktivisten haben dann den kläglichen Rest liquidiert (Etwa Foucault:...eine verwehende Spur im Sand).

Du Zaza folgst in Deinen Formulierungen in etwa Max Stirners "Der Einzige und sein Eigentum": Das war die Bekenntnis gewordene Angst des 19. Jahrhunderts vor der sich abzeichnenden Kollektivierung, der menschenverachtenden Industrialisierung und der gnadenlosen Macht des Kapitals. Nur hat das kleine GERNEGROSSICH dagegen wenig vermocht, wenn es auch lautstark seine Egotrips bis auf den heutigen Tag inszeniert und gerne glaubt, der spiritus rector aller Dinge zu sein. Die alte Angst vor Macht- und Authentizitätsverlusten (Teil 3!) des "Ich" hat sich augenscheinlich auch in diesem Jahrhundert nicht verflüchtigt, ist vielleicht auch nicht zu verdrängen (Werner fragen!), andererseits regieren mächtige Entertainmentindustrien, im Netz und überall, mit dem Ziel, das Singen der Kinder im dunklen Wald aus der Furcht vor den allgegenwärtigen Gespenstern zu üben.

Zaza:

"Dass der Mensch nur eine evolutionäre Vorform des Netzbewusstsein sei, ist schon wieder so ein absurder Gedanke. Was wäre denn Dein Netz ohne Menschen? Was soll das sein? Einzig gekoppelte Rechner? Oder vergisst jeder Einzelne, dass er einzig ist und ist dir darum kein Mensch mehr?"

Ich hoffe als mittelalter Beckettleser sehr, dass der Gedanke hinreichend absurd ist – wie könnte man, aber auch frau, sich sonst gegen das Absurde verhalten. Dass das Netz deiner Meinung nach Menschen braucht, übrigens Steckdosen und eine Unmenge Kabel nebst Chips nicht zu vergessen, ist eine wundervolle Sinnrettung – nur, um einen alten Witz zu variieren, weiss das Netz das auch, oder ernsthafter nachgefragt: "Wie lange braucht das Netz den Menschen noch?"

Bei Moravec kannst Du nach den Details fragen, weil der Mann in Sachen KI/AI eine der wenigen Autoritäten ist, die sich zu konkreten Aussagen hinreissen lässt. All das hat nichts mit "Lemminghausen" zu tun, sondern mit evolutionären Extrapolationen, die nicht allzu schwer fallen. Dieses Vernetzungsbewusstsein ist kein menschbestelltes Killerkommando – das mag nur die NetLit-Abteilung SF so sehen – sondern ein Nachfolgemodell, das sich vermutlich für "Auslaufmodelle" und ihren fröhlichen, egomanen "Auslauf" in Wald und Wiesen nicht sonderlich interessiert. Das mag dahinstehen, weil das schon längst nicht mehr unsere Geschichte ist, wir sind die bewusstseinsschwachen Zeugen, die sich aus ältester Gewohnheit mit den Akteuren verwechseln. Viel mehr wollte ich diesmal und vielleicht auch in jenem Text nicht sagen. Aber allein der Text gilt, und um nochmal mein idiosynkratisches Textethos zu betonen: Ein Text ist ein Text ist ein Text. Und umgeschrieben wird gar nichts. Fortsetzung folgt...

Zum lieben Werner: Neurophysiologe, Psychologe, Pädagoge, Anthropologe, radikaler Konstruktivist, Positivist, Originalquellenstudierer (Subjektivitätsbegriff!), Elektrotechnikus, Dozent (mit Akzeptanz), Dichter, Satiriker, Maskenabreisser (für gefährliche Ignoranten wie den Unterzeichner), den Rest hab ich mir noch nicht gemerkt. Eigentlich braucht man dazu gar nichts mehr zu sagen, er beschreibt sich halt selbst. Er redet ständig von seiner Autorität. Ist die so gefährdet? Wer will sich hier eigentlich profilieren? Leicht könnte man sich im Gegenzug zur Albernheit verführen lassen, eigene universitäre Lehrtätigkeiten und wissenschaftliche Löwenjagden zum Besten zu geben - geschenkt!

Traurig im vorliegenden Kontext ist nur, dass erstens Werners Gesprächsstil kontraproduktiv ist, weil er in imaginäre Waden beißt und zweitens, das ist das Allertraurigste, Werner sich eine Autorität anmaßt, die sich in unserem fröhlichen Gesprächsspiel nicht in harter Währung einlösen lässt.

Drei kleine Beispiele, wie Stechmücken zu Gummielefanten aufgeblasen werden:

"Evolutionshöhepunkt": kennt Werner nicht. Schade eigentlich. Da käme man schon mit Darwin hin, The Descent of Man! Darwins "Descent" impliziert bereits im Begriff den Höhenunterschied. Von wem stammt der Mensch ab? Richtig! Für den einfachsten Sprachgebrauch: Jede Entwicklung hat einen Höhepunkt, auch wenn es nur ein gegenwärtiger sein mag, sonst wäre sie keine. Das zum Thema Sprachgenauigkeit - viel Aufregung also um schon überhaupt gar nichts!

"Autopoiesis": Weils gar zu lustig ist..."Autopoietische Maschinen sind Individuen, d.h. sie erhalten dadurch, dass sie ihre Organisation durch alle ihre Produktionsprozesse hindurch invariant erhalten, aktiv eine spezifische Identität, die unabhängig ist von ihren Interaktionen mit einem Beobachter. ...allopoietische Maschinen sind keine Individuen." Das passt sehr gut zu meinem inkriminierten Begriff "Autopoiesis einer fremden Subjektivität". Nur - vielleicht rührt das Zitat ja von einem weiteren Ignoranten her. Wen fragen wir da nur?

"Synapse": Übrigens im Text in Anführungszeichen gesetzt und offensichtlich von gutwilligen Lesern auch verstanden!

Oh, Du schändlicher Begriff, der Du Dich heimtückisch umgangssprachlich in meinen Text eingeschlichen hast! Nicht ganz so unfreiwillig indes, wie Werner denkt. "...postsynaptische Oberflächen von Synapsen, die uns als Öffnungen erscheinen, weil wir uns als Beobachter eben dort (be)finden. Wir bezeichnen diese Öffnungen als "Medium" und behandeln die Sensoren als Oberflächen für strukturelle Interaktionen..." Ich schenk mir den Rest, einfach bei Maturana, "Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit", S. 20 ff. nachlesen.

Jedes weitere Wort darüber, dass sich mit Worten spielen lässt, Terminologien nicht sakrosankt sind, es metaphorische Verwendungen gibt und die Wissenschaft - welche eigentlich? - nicht der einzige Welterschließungsmodus ist, etc. ist wohl inzwischen überflüssig zu erwähnen.

Wie festgestellt, hat Claudia dazu Wesentliches gesagt und Günther war auch noch einmal so freundlich, es hilfreich zu ergänzen.

Gell Werner, ich hab das falsch verstanden, einen Jux will er sich machen? Wenn es eine satirische "ars combinatoria" gibt, mit der man/frau solche Texte schreiben kann - ohne Nachzudenken, mehrmaliges Gähnen oder gar Leidensdruck selbstverständlich - verrat er mir noch mehr über diese schwarze Kunst, Gevatter.

So aber bin ich noch nicht gerüstet zu Eurer Frage "Wie kommt der Pfarrer ins Puff?" beizutragen. Meine Frage wäre eher "Wie kommt der Pfarrer ans Grammatik?" Im Übrigen: Als radikale Prognostik scheint der Konstruktivismus der gegenwärtigen Listenerfahrung nach ja weniger tauglich zu sein, wenn man Statements anderer so nassforsch antizipiert, you know what I mean ;-).

Bevor ich aber noch weiter polemischen Unarten fröne, beste Grüße in der fröhlichen Versicherung, dass es – weiss Gott oder Cyberspace - schlechtere Mailing-Listen gibt,

GP

Aporien des Cyberspace

 

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