Erasmus von Rotterdam galt als die
Inkarnation des Wissens seiner Zeit und ein europäisches
Bildungsprogramm zeugt noch heute von seinem ungebrochenen Ruf als
bedeutendstem Humanisten. Erasmus, auch "Licht der Welt"
genannt, bewegte sich in dem gefährlichen Minenfeld zwischen Papst und
Reformation. Er reklamierte für sich Neutralität, verschob in bester
Intellektuellenmanier den Konflikt auf schriftliche
Auseinandersetzungen. Als Verfechter einer rein wissenschaftlichen
Theologie sah er die bonae literae gefährdet, wenn er offen für Luther
Partei ergriffe. Aber das durch die Reformation geschüttelte Europa
befand sich längst in blutigen Konflikten und Erasmus' Verhältnis zu
Luther verschlechterte sich schließlich von Neutralität und Achtung zu
offener Kritik.
Die Zeit forderte auch von dem Fürsten der Humanisten
den Tribut, der jenseits des Weltfriedens der Bücher eingefordert
wurde. Er konnte zwar eine Zeitlang dem Drängen der Kontrahenten
widerstehen, aber schließlich beließ man ihm nicht die Transzendenz
gegenüber den wechselvollen Weltläuften. Erasmus wurde in die Irrungen
und Wirrungen seines Zeitalters mit Macht hineingezogen und hielt an
Papst und Kurie fest -trotz einer Reihe von Selbsterfahrungen mit der mächtigsten
Institution seiner Zeit, der er schwierige Lebensumstände verdankte.
Lange währte er sich gegen eine Klosterexistenz, gegen die mönchische
Abschottung von den Erkenntnisfrüchten seiner Zeit.
Erasmus von Rotterdam war einer unehelichen Beziehung
eines Priesters und einer Arzttochter entsprungen und dieses Stigma
beschäftigte ihn so stark, dass er seinem Namen 1496 den
hoffnungsfrohen Zusatz Desiderius beifügte und sogar seine Geburt von -
vermutlich - 1465/1466 auf 1469 umdatierte, um dem Makel zu entkommen,
ein Priesterbankert zu sein. Nach dem frühen Tod der Eltern entkam er
trotz des Drucks seines Vormunds schließlich dem Zugriff des Klosters
und avancierte aus diesem dunklen Ursprüngen zur überragenden
Lichtgestalt, zum großen Bescheidwisser seiner Zeit. Seine
theologischen Studien sind weitgehend Geschichte. Seine Beiträge zur
Lebenskunst, herausragend sein lachendes "Lob der Torheit" künden
von einem abwägenden und selbstkritischen Geist, der die Feder
einzusetzen wusste und das auch selbstbewusst tat.
Der Anspruch des Humanisten lag im Glauben an die
Macht des Wortes und der Schrift. Erasmus hielt es für die erste
Intellektuellenpflicht, sein Zeitalter durch Wissen auf die Bahnen einer
besseren Welt zu setzen. Wissen galt ihm als Macht und er attestierte
sich die Leichtfüßigkeit etwa seine frühe Schrift Adagia in wenigen
Tagen vollendet zu haben. Ulrich von Hutten rät er ab, sich auf gewalttätige
Auseinandersetzungen einzulassen, weil er in ihm wie in Philipp
Melanchthon, aber auch Martin Luther einen Gefolgsmann des Geistes sah.
Das Kriegsgeschäft sei nicht Sache der Humanisten. Sein ungebrochenes
Vertrauen in Diatribe (wissenschaftliches Gespräch) und collatio
(Unterredung) wurde von der Geschichte nicht belohnt. Die Geschichte
entschied sich für kriegerische Diskurse und Erasmus lernte, dass das
Wort kein Reservat einer besseren Welt war. Luthers Schriften waren maßgeblich
für die Bauernkriege mitverantwortlich und dessen wütende Abkehr von
den Aufständischen zeugte nach Erasmus' Einschätzung nicht von
Plausibilität. Sein Verhältnis zu Luther verschlechterte sich nach
wechselseitigen Streitschriften hin zu offenem Zorn, zu verschieden war
die Mentalitäten: Luther, ein unbotmäßiger Geist, der die Welt nach
Freund und Feind ordnete, Erasmus, der glaubte, differenziertere
Weltverhältnisse eingehen zu können. Luther beschied der erasmischen
Art von sanfter Theologie, die zu Unrecht Gottes Vorhersehung im freien
Willen des Menschen relativiere, Blindheit und Gottesverachtung zu sein. Schließlich
ermattete der Konflikt und blieb ein Zeugnis für die fatalen
Kontroversen der besten Köpfe der Zeit, die keine konsensfähige
Theologie möglich werden ließen. Erasmus von Rotterdams eigene
Reflexivitätsformen trugen ihm in der europäischen Geistesgeschichte
den Ruf ein, ein Vorläufer der Lebenskunst im Stil Montaignes zu sein.
Auch Erasmus philosophierte im Angesicht des nahenden Endes in De
praeparatione ad mortem über den Tod.
Erasmus bleibt ein Paradigma der gefährlichen
Dialektik von Wissen und Welt, ein Beispiel für die Schwierigkeit, den
blutigen Weltgeist friedvoll anzuleiten. Das vorliegende Lesebuch verknüpft
kenntnisreich Originaltexte des Humanisten mit erhellenden
Zeitkommentaren. Entstanden ist ein kurzweiliger Einblick in die Welt
der Humanisten und der spannungsreichen Biographie des Erasmus. Spätmoderne
Zeitgenossen können nun besser verstehen, warum er formulieren konnte:
"Dort ist meine Heimat, wo ich meine Bibliothek habe". Nun
würde das heute kaum gegen ein Nomadendasein sprechen. Mit Kindle et
alii liegt die Bibliothek in den Wolken. Wir sind ab jetzt nie mehr oder
immer heimatlos.
Goedart Palm
"Upgedatete" Rezension zu "Erasmus von Rotterdam. Der Fürst
der Humanisten. Ein biographisches Lesebuch von Uwe Schultz.
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