Zu
den Bildern Günter Erbels anlässlich der Ausstellung in der Galerie
Lange im September 1996
Was
haben E.T.A. Hoffmann, Cezanne, Matisse, Manet, Kandinsky, Anselm Kiefer,
Klaus Staeck - und Günter Erbel gemeinsam? Sie sind Juristen oder haben
zumindest Rechtswissenschaft studiert.
Der
Unterschied zwischen Juristen und Künstlern
gilt als krass. Der Typus des bürograuen Verwaltungsjuristen, der von
Daumier karikierten Winkeladvokaten oder der emotionslosen Auguren in den
olympisch-kalten Höhen des Gesetzes hat
nicht gerade das Bild vom schöpferischen Juristen gefördert. Die
Blamagen zweifelhafter
Kunstrichter und unerbittlicher Zensoren mit polizeilichen
Eingriffsbefugnissen haben wechselseitige Berührungsängste begründet.
Gleichwohl
finden aber nicht wenige Juristen im Gesetzesgrau ihren kreativen Weg. Der
schöpferische Überschwang nötigt
mitunter selbst Richtern Urteile
in Gedichtform ab - nicht nur in Köln zur Karnevalszeit. Ich kenne einen
Staatsanwalt, der zwischen Akten und Fakten
die Hauptverhandlung zur Vervollkommnung seiner Porträtkunst
nutzt. Und die menschlichen Komödien
und Tragödien im Gerichtssaal stellen für alle Beteiligten immense
Anforderungen an ihre Schauspielkunst. Nach dem
Spruch Fritz Teufels: “Ja, wenn´s der Wahrheitsfindung dient”,
werden surreale Rechtshappenings seit Jahren zum Erlebnisstoff der Justiz.
Auf die Frage eines Journalisten an einen Richter nach seiner feucht-fröhlichen
Verfassung nach einem Prozess antwortete dieser mit dem klassischen
Diktum: “Wir feiern heute Richtfest”.
So greift auch Erbel etwa
im “Manifest der
Tiere” mit skurrilen, aber dennoch ernst gemeinten Kommentaren in eine
juristische Diskussion zum Tierschutz ein, die die “Mitgeschöpflichkeit”
mitunter aus den Augen verliert.
Derlei
fröhlichen Berufsauffassungen
und professoralen Mentalitäten korrespondiert die “schöpferische
Rechtsfindung”, die das Bundesverfassungsgericht dem Richter zubilligt.
Was liegt mithin näher, als die mesalliance von Kunst und Recht zu
bezweifeln und nach praktischer Konkordanz zu fragen? Jurisprudenz und
Kunst gründen auf Phantasie. Urteile sind nicht rein deduktive Suchen
nach dem rechten Justizsyllogismus, um sogleich
die perfekte Lösung wie ein Kaninchen aus dem Zylinder zu
zaubern. Der
salomonische Richter sucht eine höhere Gerechtigkeit, die
im Urteilsspruch versinnbildlicht wird. Mit anderen Worten: Ein
gutes Urteil besitzt seine eigene Ästhetik. Es ist nicht nur gerecht,
sondern wird zugleich zum Symbol der Gerechtigkeit. De lege ferenda werden
Lehrstühle für Rechtsästhetik notwendig.
Der
Künstler gilt als Meister symbolisch-ästhetischer Weltvermittlung par
excellence. In dieser Aufgabengemeinsamkeit haben Künstler mit offenen
Augen in ihren Allegorien der blinden “Justitia”, vom jüngsten
Gericht bis zum letzten Gerücht, von Christus als himmlischer
Superrevisionsinstanz bis zu
Christo als Reichstagsverpacker Recht legitimiert - aber auch verspottet.
Gerechtigkeit
ist nach Aristoteles der Sinn für die Proportion. Anders als dieses Großziel
juristischen Handwerks lässt
sich auch nicht die Arbeit des Künstlers begreifen. Der Künstler sucht
nach Proportionen - nicht nur in der Aktmalerei. Ohne Gespür für
Proportionen und Balance ist aber einer weder
Jurist noch Künstler. Ein
abstrakter Künstler wie Max Bill spricht auf der Suche nach der
Proportion von einer demokratischen Farbverteilung, während wir
den “goldenen Schnitt” als Fachbezeichnung für besonders
gelungene Anwaltshonorare reservieren sollten. Erbel präsentiert seine
eigenwilligen Balancekünste etwa in der “Tanzstudie mit roter
Erdbeere”.
Nach
der Wechselwirkungstheorie des Bundesverfassungsgerichts werden
Grundrechte austariert, behalten auch in ihrer Einschränkung
Geltungskraft. Erbels Vergnügen an lasierenden, durchschimmernden
Farben in den Hinterglasbildern mag hier einen Ursprung finden. So
entdecken wir Farbfelder, die zerlaufen, sich wechselseitig durchleuchten,
miteinander um Geltung ringen, Formen, die
sich gegenüber anderen durchsetzen. Hier werden Ansprüche auf
Geltung verhandelt, Ansprüche auf künstlerische Geltung. Picasso
behauptete, ein Bild sei die
Summe seiner Zerstörungen. Weniger martialisch sagen wir: Ein Bild ist
die Summe seiner Geltungsansprüche, jede Leinwand ein dynamisches Forum,
auf dem Ansprüche verhandelt und ausgeurteilt werden. Der Maler geht
mithin auch einer forensischen Tätigkeit nach.
Ungeschützt
wagen wir die Feststellung, dass Juristen wahre Künstler sein müssen.
Mithin müssen wir interessiert sein, was ein hochkarätiger Jurist wie
Erbel als Künstler zu bieten hat. Was
zeichnet den Künstlerjuristen Erbel aus? Er hat das künstlerische
Handwerk von der Pike auf, vielleicht sogar vom Schnuller an - wenn wir
der frühen fama der Familienerzählung vertrauen dürfen -
gelernt. Dass die Familie künstlerische Tatmotive eröffnete,
erkennen wir an einem frühen Verwandtensteckbrief, genannt “Tante
Hilde”. Expressionismus,
lyrische Abstraktion und art informell sind bleibende Einflüsse Erbels.
Zwischen Falllösungen und Farblösungen, zwischen Bildrahmen und
Rahmengesetzgebung, zwischen Asyl und Acryl sucht Erbel nach dem
Wesentlichen. Auch dieser schillernde Begriff einer abendländisch-platonischen
Tradition begleitet Künstler wie Juristen
gleichermaßen. Nach der Wesentlichkeitstheorie des
Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber die wesentlichen
Grundentscheidungen zur Regelung diverser Lebensbereiche selbst zu
treffen.
Nicht
anders handelt der moderne,
will sagen postmoderne oder noch besser
transavangardistische Künstler
(Im Überbietungsgeschäft der neuesten und allerneuesten Trends ist ja
bekanntlich kein Etikett von langer Haltbarkeit). Regelwerke, kanonische
Sicherheiten, ästhetische Normen, wie
sie etwa Polyklets strenger Stil, Barocklyrik
oder Davids Klassizismus bereithielten, beherrschen nicht länger die wild
gewordenen Paletten.
Der
Künstler ist heute sein eigener Gesetzgeber geworden. Einen arbiter
elegantiarum, mithin einen Schiedsrichter im Bilderstreit, gibt es nicht
mehr. Ästhetische Urteile sind mindestens so umstritten wie juristische.
Das Wesentliche ist das, was der Künstler ab jetzt selbst
bestimmen und verantworten muss.
In einer postmodernen Beliebigkeitskultur wird diese Suche nicht nur
für den Künstler, sondern auch für den Betrachter
zur Fron. Heute gilt: Anything goes - auch wenn gerade oft
nichts mehr geht. Kurt
Schwitters provozierte schon vor dieser postmodernen Freizeichnungsklausel
mit seinem Spot(t): “Alles, was der
Künstler spuckt, ist Kunst”. Nicht gerade befriedigend für Genießer,
die früher umschmeichelt und heute bespuckt werden.
Die Kunst zwischen Fettecken und Einfaltspinseln, zerschlagenem
Porzellan und Warhol´schen Urinbildern, expressionistischen Neuaufgüssen
a la Baselitz und Erbels Ozonlöchern
bekommt erhebliche Legitimationsprobleme, die selbst Juristen nicht
mehr lösen mögen, obwohl ja Juristen bekanntlich alles legitimieren können.
Der preußische Staatsphilosoph Hegel, den Rechtsphilosophen so gern
zitieren, hat die Aufhebung des nur Regelmäßigen bei der Gesetzmäßigkeit
als Schönheit begriffen. Schelling hat strengste Gesetzmäßigkeit und
Freiheit im künstlerischen Schaffen vereint gefunden.
Eine
Norm zu finden, die mehr als langweilige Regelmäßigkeit verkündet, ist
in nuce der älteste und zugleich modernste Anspruch des Künstlers.
Im Gegensatz zum Juristen darf der Künstler, ja muss er sogar
gegen Regeln verstoßen.
Goethe
stellte als vielleicht berühmtester
Künstlerjurist geheimrätlich fest: “Wenn man alle Gesetze kennen würde,
hätte man keine Zeit mehr, sie zu übertreten”. Vielleicht ist die
letzte Lust des Künstlerjuristen die Freiheit, mit Regeln zu spielen, sie
zu verletzen, ja sogar ungestraft zum Anarchisten für eine kurze Zeit des
künstlerischen Scheins werden zu dürfen.
Auch
bei Erbel gerät eine rationalistische Ordnung dank des “Unterbewußtseins
als treibender Kraft” aus dem Lot. Ein “Fisch außerhalb des
Aquariums”, eine “Lokomotive auf Füßen” oder ein “Gen-Ingenieur
nach erfolgreichem Selbstversuch” widerstreiten einer diskursiven Logik,
die die Juristen für sich reklamieren. So reagiert Erbel etwa in dem Bild ”Krieg der Sterne”, auf dem
ein Spiegelei durch die
Galaxis treibt (frei nach dem Kölner Motto: Ess die Ei, SDI), ironisch
auf die militärische Bedrohung aus dem All.
Die
unberechenbaren Wege nasser
Farbe auf Leinwand und Papier
sind eine starke Metapher für die gesellschaftliche Dynamik
verfassungsrechtlich garantierter Freiheiten. Freiheiten - nicht im Sinne
von Beliebigkeit - sondern als Voraussetzungen einer humanen Evolution, zu
der Erbel ja im Gegensatz zu gentechnologischen Experimenten zurückkehren
will. Zwischen Freiheit und Ordnung macht sich Erbel, der nicht nur die
Freiheitsgarantien, sondern auch
das Ordnungsrecht gut kennt, die Wahl des geeigneten Mittels
nicht leicht.
Auf
dieser Suche nach den geeigneten Mitteln stoßen wir auf die
anspruchsvolle Materialität der Bilder Erbels. Oftmals fast bis zum Zerbersten des Materials untersucht Erbel die
Möglichkeiten der Verschränkung vermeintlich inkompatibler Materialien.
In Erbels Atelier, das weniger einem faustischen Studierzimmer als einer
alchimistischen Hexenküche mit ihren unheimlichen Tinkturen ähnelt, entstehen neben klassischen Tafelbildern auf Leinwand,
Hinter- und Überglas- sowie Reliefbilder aus bekannten und
magischen Materialien.
Von
der expressiven Farbigkeit hat sich Erbel in seinen neuen Bildern
entfernt. Wenn Kunst reift, wird sie oft farblich reduzierter. Wir wollen
nicht von Altersstil sprechen. Aber junge Künstler, Anfänger wollen oft
alles gleichzeitig sagen und sparen nicht an Aufwand. Reduktion ist
dagegen zumeist das Privileg der Reife. Rembrandt - und auf ihn bezieht
sich Erbel - wurde in seinen späten Bildern fast monochrom. So provoziert
etwa das Reliefbild “Toskana”, das sich in seinen grauen
Abstufungen den sienagebräunten Landschaftsklischees unseres schönsten
Ferienlandes entzieht. Die vom Menschen manipulierte und oft
malträtierte Natur ist ein Leitmotiv Erbels. Zentriert um den von
Erbel geprägten Begriff der “Mitgeschöpflichkeit” thematisiert
er die Leiden der Kreatur. Um
die Leiden der Zuhörer nicht zu verlängern, ende ich mit diesen
verstreuten Bemerkungen und wir können
mit der Versteigerung des “Manifests der Tiere” zugunsten des
Tierschutzverbandes beginnen.
Goedart
Palm
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