
© Goedart Palm
Die Schwundstufe des Ruhms - das wahre Krematorium in den
Souvenirläden
Hippolyte Adolphe Taine zu Napoleon,
in: Les origines de la France contemporaine 1875–1893 - Die Entstehung
des modernen Frankreich: Napoleon akzeptierte keine fremden Bedingungen,
war mit der Macht vermählt, folgte keinen Grundsätzen bzw. keiner
fundamentalen Lehre, reagierte situativ und war stolz auf seine Kunst
des Lügens. Hinzu treten eine unglaubliche physische und psychische
Belastbarkeit. Napoleon war in der Lage, seine Bewusstseinsschubladen zu
öffnen und zu schließen wie ein Zen-Meister, hakte ab und ging mit
voller Konzentration zum nächsten Thema über. Alles das wurde vielfach
erörtert. Tritt Hegels These der Weltseele hinhzu, wird klar, wie innig
Allgemeines und Besonders ineinander verschränkt sind. Aber
Geschichtslehren vermögen nie den besonderen Menschen zu erklären, was
auch jenen nicht gelingt, die den unerklärlichen Mythos bannen wollen.
Napoleon ist unwahrscheinlich, die von ihm geschriebene Geschichte ist
es nicht. Gleichwohl lässt die Geschichtsthese Taines unbefriedigt,
denn wir wollen nicht die Geschicke des Kollektivs von Potentaten wie
Napoleon abhängig sehen. Napoleon war ein vielschichtiger Charakter,
sympathisch war er nicht, das hat er selbst sehr explizit festgestellt.
Strukturelle Geschichtserklärungen gelten als vorzugswürdig, aber die
Ereignisgeschichte scheint sehr unterschiedliche Verlaufsformen für
Gesellschaften bereit zu halten. Ohne Napoleon wäre andere politische
Machtformationen entstanden, andere Reiche, andere Kriege, andere
Menschen etc. Eine andere und doch - in the long run - dieselbe
Geschichte. Allein Menschen können sich in dieser allgemeinen,
hegelianischen Geschichte nicht wieder finden...
Goedart Palm |
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