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Die Politik im Reagenzglas: ratlos

Biomedizin als diskursethischer Supergau

Gunter Hofmann von der ZEIT wittert die "Angst vor dem moralischen Bürgerkrieg". Das bellizistische Streitthema, das die Berliner Republik erheblich mehr als das nachgeburtliche Elend in der Welt bewegt, sind die neuen Ausblicke auf eine mit unheimlichen Ankündigungen auftretende Biomedizin. Nun sind die Horrorprospekte mittlerweile geläufig: Menschenpark, Gendatenterror, Genkastengesellschaften. So wie die entgegen gesetzten Aussichten auf eine weit gehend schmerzfreie Zukunft vernebeln sie die aufgeheizte Diskussion mehr, als dass daraus noch zwingende ethische Gehalte und eine konsensuelle gesellschaftliche Praxis zu ermitteln wären. Inzwischen geht es vor allem um die Verwaltung des gesellschaftlichen Nichtwissens, das keine nennenswerten Unterschiede mehr zwischen Verbotsethik und permissiver Ethik, Kompetenz und Inkompetenz zuzulassen scheint.

Die Zukunft hat moralisch zu sein

Einigkeit der Streitenden besteht vor allem darin, dass der Schutz von Embryonen eine moralische Angelegenheit sei. Jeder andere Standpunkt in dieser Diskussion wäre auch fatal, weil die Angst vor der Ungewissheit so groß ist und die Moral den horror vacui am ehestens besänftigt. Wer nicht moralisch argumentiert, gehört nicht zu dieser nachdenklichen bis erregten Diskursgemeinschaft. Auch Kanzler Gerhard Schröder spricht also selbstverständlich zuvörderst von Moral, wenn er Gentechnologie meint. Nur entfaltet die Moral nach dem Kanzler eben aber auch bei der Heilung von Menschen mit schwersten Erkrankungen ihre Bedeutung. Zudem gebe es auch eine sozialethische Dimension, soll heißen: Wenn Deutschland die anderenorts sperrangelweit offene Tür in eine gentechnologische Zukunft zuwirft, sind Arbeitsplätze, Wirtschaft und Wohlstand gefährdet, wie auch BDI-Präsident Michael Rogowski dem Kanzler beipflichtet. Nun besagt das ja im Klartext, dass es sinnlos ist, das zu lassen, was andere ohnehin tun werden. Dieses Argument, das in der Kanzlerrhetorik selbstverständlich nicht explizit wird, wäre andererseits nach Robert Spaemann und anderen Fundamentalethikern eine fürchterliche bioethische Entgleisung und führt zum sofortigem Ausschluss aus der vermeintlich offenen Gesellschaft und ihrer Freunde.

Aber leider funktionieren auch die parareligiösen Bannflüche heute nicht mehr so einfach: In den seltsamen Diskursschleifen der Bioethik haben sich neben der Menschenwürde auch andere ethische Prinzipien eingenistet, sodass diese Moral auf jene stößt, Ethik mit Ethik bekämpft wird, ohne zwingende Güterabwägungsentscheidungen am Horizont erscheinen zu lassen. So ist nach dem stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Jürgen Rüttgers des Kanzlers Haltung unmoralisch. Aber wenn Rüttgers zugleich darauf verweist, dass Schröders Vorstöße kaum eine gesellschaftliche Akzeptanz herstellen würden, dürfte das spätestens dann zweifelhaft werden, wenn die bundesrepublikanische Wohlstandsfacon im Ländervergleich zum moralischen Opfer von Biotechnologieverboten würde.

Gerhard Schröder hat seine Ökonomie- und Technologieorientierung prozedural durch den Nationalen Ethikrat abgefedert, damit nicht der Verdacht aufkommen könnte, allein die Wohlstandmoral könnte die Richtlinienkompetenz des Regierungschefs bestimmen. Wer Wahlen gewinnen will, kann Deutschland nicht zur gentechnologischen Diaspora machen. Die sakrosankte Ethik der fundamentalistischen Gentechnologiekritiker ist dagegen – jenseits ihrer Legitimationsprobleme - höchst kostspielig, aber dieser Fleck in der moralischen Selbstreflektion der Gesellschaft muss blind bleiben, weil sonst die gefährliche Frage auftreten würde, wieviel Moral sich eine Gesellschaft überhaupt leisten kann. Auch der Ethikrat kann nicht das lösen, was unter den gegebenen Diskursprämissen längst nicht mehr zu lösen ist: Eine gefahrlose Zukunft, der die Politik nur das erlaubt, was sicher ist. Längst ist der ethische Diskurs über die Gentechnologie selbst zum politischen Offenbarungseid geworden, dass weder die Zukunft noch die Ethik dieser Zukunft zu arretieren sind. Der moralische Bürgerkrieg verkommt indes selbst zur Groteske, weil sich bei den meisten Diskursteilnehmern hartnäckig das Vorurteil hält, immer angestrengtere Reflexionen würden hier noch Erkenntnisgewinne abwerfen – obwohl der Worte nun genug gewechselt sind und entweder Taten folgen oder eben nicht.

Selbst die üblichen politischen Hoffnungen auf die Expertokratie tragen inzwischen nicht mehr weit, da sich jetzt der 104. Deutsche Ärztetag gegen die Forderung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gestellt hat, Herstellung und Verwendung von embryonalen Stammzellen für zulässig zu erklären. Wenn aber Ärztepräsident Jörg-Dietrich Hoppe darin ein positives Signal erkennen will, das Entwicklungstempo der Stammzellenforschung zu verlangsamen und größere Nachdenklichkeit zu wecken, wird damit nur verdeckt, dass der Diskurs in der Nichtvermittelbarkeit der Standpunkte gerade nicht argumentativ auflösbar ist. Hier heilt Zeit keine Wunden, sondern verursacht allenfalls neue. Der Widerstreit hat die Ebene der reinen Machtfrage erreicht, die in einem demokratischen Gemeinwesen nur durch parlamentarische Entscheidungen bzw. den Wähler zu befrieden ist. Wenn der stellvertretende Vorsitzende des Marburger Bundes Rudolf Henkel also behauptet, ethische Konflikte könnten nicht durch Abstimmungen entschieden werden, gilt im Gegenteil, dass das erheblich rationaler wäre, als in der festgefahrenen Diskussion noch länger auf Erkenntnisgewinne zu hoffen.

Die Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Jutta Limbach warnt bezeichnenderweise davor, das höchste Gericht mit diesen politischen, gesellschaftlichen und ethischen Fragen zu beschweren. Man solle nicht die vermeintliche Rechtsauffassung des Gerichts zu diversen Fragen der Biomedizin in "vorauseilendem Gehorsam" antizipieren. Wie sollte auch das Gericht, das in der Republik den Ruf der Supererkenntnisinstanz genießt, in diesem Streit eine superiore Position einnehmen, wenn juridische Kategorien hier keine besondere Zuständigkeit besitzen? Das Recht deckt nicht die Moral ab, sondern konturiert den sozialethischen Standard, den eine Gesellschaft als unabdingbar für ein verträgliches Zusammenleben ansieht. So weiß zwar etwa der frühere Verfassungsrichter Ernst-Wolfgang Böckenförde, dass Gentests und Embryonenforschung verfassungswidrig sind, aber nicht nur Frau Limbach, die in der bisherigen BverfG-Rechtsprechung keine Aussage über den Grundrechtsstatus künstlich erzeugter Embryos zu erkennen vermag, sondern auch zahlreiche andere Juristen scheinen sich da weniger sicher zu sein. Nicht nur das Leben, auch ein lebendiges Verfassungsverständnis unterliegt dem Wertewandel und spendet keine Zukunftsgarantie in Sachen Ethik und Moral.

Kein Recht auf gesunde Kinder

Bundesjustizministerin Däubler-Gmelin zufolge gibt es kein Recht auf ein gesundes Kind: "Ich glaube nicht, dass Gentechnik jemals garantieren kann, dass jemand ein gesundes Kind bekommt." Während die Ethik in Deutschland so spitzfindig bis rabulistisch geworden ist, wird die gentechnologische Zukunft zur getrübten Kristallglasdisziplin für jedermann. Das Argument der Ministerin ist so simpel wie paradox: Weil ich mir diese Zukunft nicht vorstellen kann – respektive nicht will – darf diese Zukunft auch nicht stattfinden. Nun hat die Zukunft, die bekanntlich ohnehin nie wieder so wird, wie sie einmal war, bisher wenig Rücksicht auf ihre gegenwärtige Verplanung genommen. Die zukunftsverängstigte Ministerin will nicht, "dass durch falsche Entscheidungen heute die Tür zum Züchten, Klonen und Selektieren von Menschen aufgemacht wird". Diese Tür steht indes bereits sperrangelweit offen, wie die Diskussion selbst belegt. Die Frage ist allein, ob man sie wieder zustoßen kann oder ob hier Dynamiken wirksam sind, die mächtiger als politische oder ethische Dekrete sind. Nach wie vor ist die von Helmut F. Spinner kritisch aufgeworfene Leitfrage gegenüber der Konjunktur unfruchtbarer Ethikdiskurse offen: "Ist der naturwissenschaftlich-technische Fortschritt überhaupt noch steuerbar und insoweit auch verantwortbar? (Helmut F. Spinner, Wissenschaftsethik in der philosophischen Sackgasse, in: Wissenschaft und Ethik, Stuttgart 1991, S. 151 ff.)

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© Goedart Palm 

 

Die Angst vor der Präimplantationsdiagnostik

Präimplantationsdiagnostik (PDI) ist ein Test, mit dem genetische Schäden menschlicher Embryonen regelmäßig am dritten Tag der Befruchtung im Reagenzglas festgestellt werden können. Ist der Embryo gesund, wird er in die Gebärmutter verpflanzt, anderenfalls lässt man ihn absterben. Nach dem Embryonenschutzgesetz ist dieser Eingriff verboten. Allein zulässig ist es, dass alle befruchteten Eizellen auch eingepflanzt werden. Wollen Eltern gleichwohl wissen, ob eine Behinderung des Kindes zu erwarten ist, bleibt nur der Weg über vorgeburtliche, bedingt taugliche Diagnosen wie etwa Chorionbiopsie oder Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung). Die PDI wäre den Befürwortern zufolge vor allem für Risiko-Paare vorteilhaft, die zukünftige Erbkrankheiten behinderter Kinder ausschließen könnten. Auch der Kampf für und wider die PDI ist so desolat wie die übrige biomedizinische Debatte über Stammzellenforschung und Klonen. Bundesforschungs- und gesundheitsministerium sind tendenziell dafür, Grüne und zahlreiche CDU-Vertreter sind dagegen.

Für den härtesten Gentechnologiegegner, Johannes Rau, ist diese Methode "die Praxis, die das Tor für biologische Selektion, für eine Zeugung auf Probe, weit öffnet". Ähnlich argumentieren alle PDI-Gegner, die Krankheit und Behinderung als Teil des Lebens begreifen und nicht als einen durch Medizin partiell vermeidbaren Makel. Bescheidet man sich auf diesen vordergründigen Fundamentalismus, ist der Stab über die PDI freilich schnell gebrochen, wenn man lediglich den pauschalen Umstand betrachtet, dass Krankheit und Behinderung menschliche Existenziale sind.

Indes ist die Argumentation wider die PDI schon deshalb höchst fragil, weil die zulässigen Formen vorgeburtlicher Diagnostik - in dem je nach Elternwunsch unterschiedlichen Ausmaß - ohnehin dasselbe Erkenntnisziel verfolgen. Die PDI ratifiziert nur das, was der ängstliche Blick von Eltern - etwa auf die Ergebnisse der Amniozentese - ohnehin wissen will. Dann ist es aber moralisch erheblich redlicher, einen achtzelligen Embryo erst gar nicht zu implantieren, als Eltern, die sich gegen den pränatal ermittelten Gendefekt entscheiden, in die Abwägung über die Fährnisse einer Abtreibung zu schicken. Offensichtlich gilt die Schizophrenie auch nicht viel, dass Embryos in weiter fortgeschrittenem Stadium ohne größere gesellschaftliche oder juristische Widerstände abgetrieben werden, während das Reagenzglas zur heiß umkämpften Zone wird. Nach bestehender Rechtslage sieht es zudem so aus, dass der erbkranke Embryo in den Mutterleib implantiert werden muss, um ihn dann anschließend zu töten.

Selbstverständlich ist Präimplantationsdiagnostik Selektion. Aber auch der Kinderwunsch ist Selektion, die unzähligen Abtreibungen mit zweifelhaften Indikationen, bei denen der Nicht-Kinderwunsch der Eltern die Frage nach einer etwaigen Behinderung des Fötus erst gar nicht aufkommen lässt, sind Selektion. Ja auch das Leben selbst ist Selektion, wenn man nicht dem Glauben an einen Kreationismus Gottes für jedes seiner Kinder folgt. Nicht die Selektion selbst also, sondern allein die Frage, welche Selektionen gegen die Menschenwürde und die sozialethischen Maßstäbe verstoßen, wäre zu beantworten. Welche Sachlichkeitseinbußen die PDI beim vermeintlichen Unwort "Selektion" auslöst, demonstriert die Kritik des Vorsitzenden der Ärzteorganisation Marburger Bund, Frank Ulrich Montgomery, an dieser Methode. Sei die Selektion von Menschen im Reagenzglas zulässig, stelle sich die Frage, warum man dann nicht auch Schwerkranke und Sterbende entsprechend behandeln dürfe. Dieses Diskursniveau beschreibt sich hinreichend selbst.

Politische Codierungsverluste

Wie weit die Selbstverunsicherung politischer Entscheidungsmacht bereits gediehen ist, wird in der Auflösung parteiorientierter Konturen jetzt besonders deutlich. Der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky konstatiert für die katholische Kirche, dass die christlichen Parteien nicht mehr als ihre politische Repräsentanz in Sachen Bio- und Genmedizin gelten können. Bundestags-Vizepräsidentin Antje Vollmer erklärt für die Grünen, dass ihre Partei ihre Position dagegen unweit der katholischen Bischöfe einnehmen werde, was die Auflösung der vormaligen politischen Codierungen pointiert belegt. Angela Merkel trägt dagegen schwer am Kreuz christlicher Ethik. Sie scheint hin- und hergerissen zu sein, während bei den Christdemokraten der Streit ausgebrochen ist. "Vermutlich" werde ihre Partei die Stammzellenforschung an Embryonen ablehnen. Parteifreund Jürgen Rüttgers hält die PID bei Risikopaaren unter engen Voraussetzungen für möglich, während der hessische Landesvorsitzende Koch - nicht anders als Unionsfraktionschef Friedrich Merz und CDU-Ministerpräsident Erwin Teufel - diese Methode unter Berufung auf "Gott" rigoristisch ablehnt: Das Ringen einer Mutter, ob sie ein behindertes Kind austragen und aufziehen will, darf ihr nicht durch eine mechanische Qualitätsprüfung befruchteter Eizellen abgenommen werden". Sollte der Gott, der Zufall heißt, Ergebnis einer Verfassungsinterpretation sein?

In der SPD sieht es nicht besser aus. Schröder und Rau vertreten trotz der gemeinsamen Parteizugehörigkeit entgegengesetzte Positionen. Däubler-Gmelin bewegt sich auf der Linie des Bundespräsidenten. Forschungsministerin Bulmahn optiert dagegen für Embryonenforschung, solange nicht eigens Embryonen für diese Zwecke hergestellt werden und es einen breiten Konsens im Ethikrat gebe. Aber wie sollte ein solcher Konsens gesamtgesellschaftlich verbindlich werden, wenn doch längst erwiesen ist, dass dieses Thema nur Dissens stiftet? So ist sich die Vorsitzende der Enquete-Kommission des Bundestags, Margot von Renesse sicher, dass die Freigabe der Embryonenforschung zum Bürgerkrieg führe. Aber was spricht eigentlich dagegen, dass das Verbot nicht dasselbe Ereignis zeitigt?

Was ist Leben?

Leben, Mensch, Menschenwürde: Wer bei diesen Begriffen noch länger auf eine gleichsam mathematisch diskrete und zugleich gesellschaftlich konsensfähige Schnittstellen rechnet, hat den vorliegenden Diskurs nicht verstanden. Nida-Rümelins früher Diskussionsbeitrag, die Menschenwürde zu definieren, führte zu wütenden Angriffen und einer fragilen Apologetik, die vor allem eins deutlich machten: wie untauglich bioethische, moralphilosphische, juridische und religiöse Blankettbegriffe sind, um eine Vielzahl kasuistisch verwickelter Probleme zu lösen (Vgl. dazu: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/lis/4691/1.html).

Aber auch viele Definitionsanstrengungen aus allen parteiübergreifenden Lagern der gen-ethischen Streitkultur machen klar, dass die ethisch ermittelte Schutzbereichsbestimmung des Rechtsguts "Leben" immer unscharf bleiben muss. So lehnt also die frühere Gesundheitsministerin Andrea Fischer die Embryonenforschung ab, weil man nicht menschliches Leben nutzen dürfe, um anderem menschlichen Leben zu dienen. Es sei überdies kein Widerspruch, dass die Grünen für die Straffreiheit der Abtreibung gestimmt hätten. Nun ist es selbstverständlich ein flagranter Widerspruch, Embryonen im Zellklumpenstadium zu schützen, andererseits aber weiter fortgeschrittenen Formen des Lebens den Schutz zu verwehren. Im Wesentlichen dürfte der Grund für diese Differenzierung darin liegen, dass die Abtreibungsdiskussion untergründig nicht nur von dem inzwischen weniger kämpferisch vorgetragenen Argument "Mein Bauch gehört mir" geleitet wird, sondern auch von der relativen Folgenlosigkeit für das gattungsethische Selbstverständnis. Die Perspektiven der Biomedizin dagegen zielen nicht nur auf die Grundfesten klassischer Gesellschaften, sondern auf das tradierte Selbstverständnis des Menschen selbst. Im Grunde markiert dieser Widerspruch zwischen der politischen Einschätzung der Abtreibung und der Gentechnologie besonders deutlich, dass die ubiquitär geführte Rede von der unabdingbaren Menschenwürde zum gesellschaftspolitischen Ersatzstoff für eine Zukunftsangst wird, von der niemand sagen kann, wie berechtigt sie ist.

Auch das spätmarxistische Ausbeutungsargument der Grünen, das Leben nicht zur Ware zu machen, klingt nur vordergründig plausibel, wenn dem die unerträgliche Vorstellung zu Grunde gelegt wird, dass Menschen zu Ersatzteillagern instrumentalisiert werden. Aber freiwillige Organspenden oder die Nutzung der Ansammlung einiger menschlicher Zellen reichen eben noch nicht aus, solche Horrorvisionen überzeugend zu begründen.

Im Grunde arbeitet sich die vorliegende Debatte, wenn es sich nicht schon um einen moralischen Bürgerkrieg handeln sollte, bisher äußerst unergiebig an der Komplexität des Lebens ab. Das Leben ist zu komplex, als dass eine ethische Theorie ausreichen könnte, alle zukünftigen Zweifelsfälle zu erfassen (Vgl. auch: http://www.heise.de/tp/deutsch/special/bio/7682/1.html.). Gerade die Kasuistiken, die in den letzten Monaten den Blätterwald in diese und jene Richtung rauschen ließen, machen deutlich, dass jede Ethik, die das Leben selbst überformen will, unheilbar an ihren eigenen Widersprüchen leidet. Für die Ethik gibt es eben keine Vitalitätsgarantie, nicht einmal eine "philosophische Präimplantationsdiagnostik". So steht zu befürchten, dass in dem Diskurs inzwischen das emergiert, was das Leben selbst auszeichnet: Komplexität. Systemtheoretische Hoffnungen auf "Komplexitätsreduktion" dürften aber weder bei diesem Diskurs noch bei der Frage "Was ist Leben" allzu hoch anzusetzen sein. Wie paradox der Umgang mit der Komplexität ist, markiert die Aussage des Nobelpreisträgers für Chemie Manfred Eigen: "Je mehr wir wissen, umso weniger davon dürfen wir anwenden. Gerade aus diesem Grunde müssen wir eben noch mehr wissen." (Wir müssen wissen, wir werden wissen, in: Wissenschaft und Ethik, Stuttgart 1991, S. 25 ff.). Aber wie soll das durch Forschungsverbote gelingen? (Vgl. dazu: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/4824/1.html).

So mag man sich auf die triviale Erkenntnis des Jurassic-Park-Biologen bescheiden, dass sich das Leben zuletzt immer durchsetzt. Aber welche Form dieses Leben hat und welche bioethische Begleitmusik ihm kommod ist, dürfte fernab solcher Diskussionen liegen, die sich in erheblichem Umfang scholastischer Instrumente bedienen, um der Zukunft zu verbieten, Zukunft zu werden – wo immer diese liegen mag. "Vor jedem Schritt, welchen Wissenschaft und Technik nach Vorwärts machen, müssen die Menschen drei Schritte zur Vervollkommnung ihrer Ethik nach Innen tun" (Novalis). Aber dass man sich auf diesem Weg nach Innen auch verirren kann, hat Novalis so wenig vorgesehen wie die ketzerische Frage, ob es diesen Weg überhaupt gibt. Der Bundestag wird sich in seiner Debatte am 31. Mai über Chancen und Risiken der Gentechnik aber sicher nicht von diesem Weg abbringen lassen.

Goedart Palm


 

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Hier: Der Mensch - ein biologisches Auslaufmodell?
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Goedart Palm

 

 

 

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