Die
Welt als Wille zur Satire
Tractatus logico-satiricus
(Ein Text für die Jugend)
"Philosophie ist das Allerernsteste,
aber so ernst auch wieder nicht." (Theodor W. Adorno)
Wie schreibe ich eine unsterbliche, noch
in tausend Jahren gelesene Satire? Diese Autoren quälende, in schlaflos durchwälzten
Nächten ventilierte Frage soll hier endgültig beantwortet werden, obwohl zuverlässige
Quellen wissen, dass in weniger als tausend Jahren schon niemand mehr liest. Trotzdem:
Niemand möge mehr fortan vor einem witzlos weißen Blatt sitzen, hilflos, wenn es darum
geht, spaßgeilen Zeitgenossen und ihren brüllenden Nachgeborenen die Welt als Satire zu
verstellen. Aber warum lange grübeln, wenn der ewige Satirestoff längst bei den
Großmeistern der Zunft konserviert ist und von uns als Fünf-Minuten-Terrine aufbereitet
werden kann. Schöpfen wir also aus dem Brainpool der Meister, bohren wir in den grotesken
Hirnwindungen der Geistesriesen, um aus ihren Einfällen unsere Ausfälle gegen den
ungesunden Menschenverstand zu rechtfertigen.
Spätestens seit Sigmund Freud gilt, der
Witz habe eine Beziehung zum Unbewussten, mit anderen Worten: Einige Leute sind komisch,
ohne es zu wissen. Kuck ich Talkshows, auch solche ohne den deutschen Hochadel, Antje
Vollmer oder Gertrud Höhler, glaub´ ich das sofort.
Zwar könnte Freud auch etwas anderes mit
seiner Psychoanalyse des Humors gemeint haben, aber der Torquemada der modernen
Gewissensinquisition war hinreichend witzig genug, jegliche Assoziation zuzulassen,
solange sie eben unendlich analysiert werden kann. Anders geht das auch nicht, wenn man
seine Patienten eine Lebenszeit lang behalten will, ohne dass die Leute auf den völlig
unpsychologischen Gedanken verfallen, "Ferien vom Ich", und somit vom Analytiker
sowie dessen Bankkonto zu machen.
Psychoanalyse heißt in Kurzform, das
Gegenteil von dem zu behaupten, was der Patient behauptet. Analytiker und Anwälte sind
mithin aus demselben Schoß der krummen Denkungsart gekrochen, um Menschen tief in ihr
selbst verschuldetes Glück zu stoßen. Im Prinzip ist es also völlig egal, was einer
seinem Analytiker beichtet oder gar glaubt, verschweigen zu können. Natürlich will
jeder, zumindest jeder männliche Patient, der sich einen solchen Satiriker leisten kann,
seine Mutter heiraten und seinen Vater töten. Freud war mithin genuiner Satiriker. Anders
kann man nicht auf Begriffe wie "Ödipus-Komplex" stoßen, von
"Penisneid" ganz zu schweigen. Jeden Nachwuchssatiriker holt hier der Gebärneid
auf Freuds unerschöpfliches Satirepotenzial ein, wenn es um anderer Leute
Geschlechtsteile und deren Fehlfunktionen geht. Das Patriarchat führte Sigmund übrigens
auf die Kunst des Mannes zurück, im Stehen ein Feuer mit dem eigenen Wasserstrahl zu
löschen (Achtung Männer, wehrt euch: Sich setzen bedeutet mithin, dem Feminismus zum
Endsieg zu verhelfen!).
Vielleicht ist aber die ganze
Psychoannelise nur das Eingeständnis Freuds, dass sein diesbezüglicher Körperkomplex so
miniatürlich war, dass hier die Brutstätte für seine eigenen Komplexe zu finden ist.
Nun sind Hirnklempner nach Freud, spätestens seitdem das positive Denken Dale Carnegies und
die Wellness-Therapie erfunden wurden, so psychoverlogen, dass man sich mit Schrecken
abwendet. Positives Denken ist der Zwangshumor, der auch dann noch seinen Träger peinigt,
wenn das positive HIV-Ergebnis den drohenden Konkurs und die fröhlich klingelnden
Schutzgelderpresser vor der eigenen Haustür zu Unglücksrestgrößen schrumpfen lässt.
Laufen wir also zu den Meisterdenkern
über, wenn wir wirklich lernen wollen, die Welt satirisch zu penetrieren oder um
mit Luhmann zu sprechen, zu "interpenetrieren" (Da sieht man, was Emma und Alice
angerichtet haben!). In der Philosophie jedenfalls kennt man keinen "Penisneid".
Kant hielt die Ehe für eine Institution, in der wechselseitig Geschlechtsteile zur
Verfügung gestellt bzw. beansprucht werden können. Unnötig zu erwähnen, dass ihn
selbst so viel Anspruchsdenken vor der privaten Bedürfnisanstalt "Ehe"
bewahrte. Die satirische Praxis philosophischer Lebensführung ist reich an solchen
geistigen Frühgeburten und neunschwänzigen Erleuchtungen: "Gehst Du zum Weibe,
vergiss die Peitsche nicht" meinte jener Denker, der zwar das Engadin bestieg, aber
Weiber eben nicht. Also faselte Zarathustra so fort, bis er schließlich auf Geheiß
Wilhelm II. in jedem Tornister der deutschen Soldaten des ersten Weltkriegs landete, weil
die solche satirischen Leeren in den versumpften Schützengräben bei Verdun gut brauchen
konnten, bevor sie Zuflucht im Beinhaus suchten.
Meistens sind dagegen Denker weniger
konkret, wenn es um die Dinge des Lebens und des Todes geht. Spinoza sah das mit den
Dingen sehr fundamental: Jedes Ding strebe danach, so viel an ihm liege, in seinem Sein zu
beharren. Leuchtendes Beispiel ist unser Altkanzler, der daraus eine politische
Philosophie der Nichtbewegung schuf, wobei die Anhänger des Medienbuddhas immer wieder
überrascht ausrufen durften: "Und er bewegt sich doch". Das Beharrungsvermögen
der Dinge leuchtet aber nach zweimaligem Nachdenken auch im Übrigen ein,
solange das Ding kein Sprengkörper ist, der weniger in seinem Sein beharren, als sein
Sein und das der anderen Dinge ins pure Nichts befördern will. Oder um mit Schwarzenegger
zu sprechen, einem der letzten großen Denker der praktischen Vernunft des 20.
Jahrhunderts, wenn es um das Nichts geht: "Hasta la vista, baby".
Idealistischen Philosophen scheint die
ideale Welt dagegen das zu sein, was sie ist, wenn sie nicht scheint. Das scheint leicht
zu verstehen zu sein, wenn man es verstehen will. Anderenfalls versteht man rein gar
nichts. Aber das ist für den Megasatiriker Hegel kein Unterschied, weil die Dialektik nun
mal der Mörtel ist, der jeden Wirrsinn und anderes Gedankengemüse zum Allerlei
verklumpt. Bertolt Brecht charakterisiert in den „Flüchtlingsgesprächen“
den idealistischen Großmeister so: „Hegel hat das Zeug zu einem der größten
Humoristen unter den Philosophen gehabt... Er hat einen solchen Humor
gehabt, dass er sich so etwas wie Ordnung z.B. gar nicht hat denken können
ohne Unordnung. Er war sich klar, dass sich unmittelbar in der Nähe der größten
Ordnung die größte Unordnung aufhält, er ist soweit gegangen, dass er
sogar gesagt hat: an ein und demselben Platz!“ Hier trifft sich die Lehre
in der Leere, dass das reine Sein und das reine Nichts dasselbe seien.
Wenn Hegel sich auf die Lebensbedingungen in der dritten Welt oder die Rentenansprüche
der Zukunft bezogen hätte, könnte man ihm vorbehaltlos zustimmen.
Aber Hegels Satiren haben weniger mit
realen Lebensbedingungen als mit dem Stilblütenreich des reinen bis unsauberen Begriffs
zu tun. Und hier ist alles erlaubt, anything goes, weil insgeheim alle Philosophaster dem
Spruch des Sokrates folgen: "Ich weiß, dass ich nichts weiß". Ein guter Ansatz
für einen Philosatiriker, der die Wahrheit so liebt, dass er jederzeit bereit ist, zu
ihrer Verteidigung auch schamlos in fremde Taschen zu lügen. Aber woher wusste Sokrates,
dass er nichts weiß, da er doch überhaupt nichts weiß? Nur Kyniker oder lügende Kreter
können sich mühelos über derlei Paradoxe hinwegsetzen, die dem ungesunden
Menschenverstand sauer aufstoßen, dem Satiriker dagegen eins ums andere Mal beweisen,
dass die Welt nur eine Spaßveranstaltung ist, für die eben den meisten Zeitgenossen die
dialektische Lizenz zum Verstehen fehlt. Folgerichtig musste Sokrates nach solchen
logischen Vergewaltigungen und Vergiftungen der griechischen Jugend zu Recht einen
Schoppen Gift trinken.
Vor Sokrates waren die Philosophen
noch weit satirischer. Zenon etwa erkannte, dass eine Schildkröte, die bereits einen
kleinen Anfangsvorsprung hat, von Achilles im Wettlauf nicht mehr eingeholt werden kann.
Man muss Satiriker sein, um in dieser paradoxalen Welt nicht über die eigenen Prämissen
bzw. unmechanischen Quanten zu stolpern oder, schlimmstenfalls, den bio-logisch
und philosophisch undelikaten Schluss ziehen, dass Schildkröten in Elea zwei Meter lange Beine nebst
äußerst flexiblen Hüftgelenken hatten. Aber empirische Argumente galten lange Zeit in
der schneidigen Luft satirischer Logik wenig, sodass Aristoteles unverspottet behaupten
konnte, Weiber hätten weniger Zähne im Mund als Männer und bei seiner Alten, wenn er
denn eine hatte, mag das ja auch durchaus so gewesen sein.
Einer der vorläufigen Höhepunkte
satirischer Welterkundung, der nahtlos an Zenons Riesenschildkröten und Aristoteles
Fehlzahntheorie anschließt, war die Scholastik, die sich etwa um die uns alle bis heute
quälende Frage bekümmerte, wie viele Engel auf einer Nadelspitze Platz fänden. Das ist
im wahrsten Sinne des Wortes eine "spitzfindige" Frage, die nicht nur die
vorzügliche Komik mittelalterlicher Theo-Satiriker unter Beweis stellt, sondern zugleich
klar macht, dass wir es Gott und seinen Engeln danken mögen, nicht als Scholaren dieser
satirischen Meister geboren worden zu sein. Richtig hätte die Frage lauten müssen, wie
viel Platz fürs Denken übrig bleibt, wenn man die gesamte scholastische Gehirnmasse
bequem auf einem Nanoquadrat Nadelspitze platziert.
Aber das ist unsatirisch gesprochen und
sollte nicht den Blick von den noch wunderbareren Gottesbeweisen ablenken, die den
gelahrten Doctores beim geistaustreibenden Schwitzen und Schwatzen über den satirischen
Beweger der Welt kamen: Wenn das höchste Wesen perfekt ist, muss es auch existieren,
sonst wäre es nicht perfekt. Das ist der metalogische Superhammer, der reflexive
Schlagbohrer, der jedes normal geschaltete Hirn in einen Schweizer Käse verwandelt und
keineswegs nachträglich damit zu rechtfertigen ist, dass logische Schleifen spätestens
seit Gödel, Escher, Bach als bizarr schön gelten. Unverkrampfter wäre doch die Logik
gewesen: Wenn das höchste Wesen perfekt ist, müsste es auch diese Welt sein. Aber um
Gottes willen, das wäre kein Existenzbeweis Gottes, sondern nur der Beweis, dass seine
Existenz aus dieser notdürftig zurecht geschöpften Existenzangstwelt weder zu beweisen
noch zu wünschen ist.
Das sah Leibniz ganz anders. Er
behauptete, diese Welt sei die beste aller möglichen Welten. Leibniz, satirisch hoch
begabt, zog diesen rasiermesserscharfen Schluss aus der Erkenntnis, dass das, was ist,
eben nur so sein kann, weil es anders nicht zusammen passt. Klar? Wer je ein Ikea-Regal
erfolgreich montiert hat, wird wohl zugeben, dass es das beste aller möglichen ist, weil
es nur so zusammen passt, wie es die Gebrauchsanweisung vorgibt. Da mir das aber noch nie
gelungen ist, scheint mir dagegen der Schluss vorzugswürdig, dass diese Welt nicht die
beste, sondern die satirischste aller möglichen ist, solange Satiriker wie Leibniz keine
Ikea-Regale montieren müssen.
Nun ist es noch komischer, die Entfaltung
des Weltgeistes in fortschreitender Freiheit zu erblicken, weil es zwar Geist in der Welt
gibt, aber dass die Welt von ihm regiert werde, lässt sich nur erfolgreich behaupten,
wenn man selbst wenig davon abbekommen hat. Mastermind Hegel hat demgemäß behauptet,
dass das Wirkliche vernünftig ist. Als Realsatire klingt das wirklich vernünftig. Nimmt
man aber Hegels Diktum als Wirklichkeitsdiagnose, fragt es sich etwa, wie vernünftig die
Unvernunft ist und niemand behaupte, er sei ihr noch nicht begegnet.
Nun fehlt es philosophierenden Beamten
zumeist an der ketzerischen Bereitschaft, die Schöpfung der Kritik zu unterziehen
schon aus laufbahnrelevanten Überlegungen. Hegel setzte gar noch einen darauf: Der Inhalt
der christlichen Religion als der höchsten Entwicklungsstufe der Religion überhaupt
falle ganz und gar zusammen mit dem Inhalt der wahren Philosophie. Da schlug der Papst
drei Purzelbäume, Satan bekreuzigte sich, die übrigen Dämonen weinten und Hegel
erkaufte sich die Narrenfreiheit, im Schutz dieser Behauptung, weiterhin Satiren für
solche Fans zu schreiben, die jederzeit wussten, dass sie nicht wussten, wovon er
eigentlich sprach aber sich zu keiner Zeit während solcher Büttenreden
langweilten.
Aber Philosophen wären keine Satiriker,
wenn sie nur das sagen würden, was ohnehin jeder nicht weiß. Der philosophische Mut zum
Paradox ist der Wille zur Satire. Rousseau etwa grübelte viel über seine Erkenntnis,
dass ein grübelnder Mensch ein entartetes Tier sei. "Zurück zur Natur" war
seine ökopazifistische Parole und folgerichtig schickte er zunächst seine eigenen Kinder
ins Waisenhaus und bewies damit seine eigene entartete Satiriasis. Vielleicht war er aber
nur ein armer Schizo, dem indes im Wonderland satirischer Philosophie auch hätte geholfen
werden können: Sagte doch Fichte, das Ich sei Nichtich. Bei den meisten Zeitgenossen hat
man keine Einwände gegen diese Feststellung und Big-Brother-Geschädigte können an zwei
Händen abzählen, wer damit gemeint ist. Aber mein Ich sagt mir, dass ich auf das
Nichtich des Herrn Fichte nicht hören sollte, so lange wenigstens mein Ich noch nicht
Nichtich ist. Aber da mein Ich schon immer Nichtich ist, kann ich das gar nicht denken.
Also hat Fichte in jedem Fall Recht - oder auch nicht.
Irgendwann verlor die philosophische
Spaßzunft "aller Dings an sich" die Lust an satirischen Spekulationen der
vorstehenden Art, weil die geistesgeschichtliche Gefahr bestand, dass der Steuerzahler das
nicht mehr lange dulden würde und aus Lehrstühlen Leerstühle machen würde. Damals gab
es auch noch kein visionäres Management oder Trendscouts, sodass Denkern kein leichter
Wechsel in eine andere metaphysische Branche möglich gewesen wäre.
Die Jokologen (Für die ohne Duden:
Witzdenker) wurden mit der Zeit pragmatischer. Kants praktische Philosophie lief schon
früh darauf hinaus, den satirischen Imperativ vorzustellen, der seinerzeit noch
kategorisch genannt wurde. Der da lautet: Mach das, was du als allgemeinen Spaß wollen
kannst. Logisch präziser heißt das in einem postmodernen Verständnis: Handle stets so,
dass die Witze, die du auf anderer Leute Kosten reißt, zugleich auch dein Bankkonto
auffüllen.
Wittgenstein, der Metapointenphysik
weitgehend abhold und eher ein Freund der ordinären Sprache, meinte dagegen, dass eine
ganze Philosophie ausschließlich aus Witzen bestehen könne, ohne deswegen weniger
Philosophie zu sein. Na eben. Infolge dessen konnte er auch sagen, dass die Welt alles
ist, was der Fall ist. Und das ist eine tiefe Weisheit, mindestens aber eine trockene
Erkenntnis, die uns schon mal über ein verregnetes Sommerloch hinwegtragen kann. So kann
die fröhliche Wissenschaft der philosophischen Satire die Fälle der Welt verschieden
deklinieren, von Fall zu Fall, von Unfall zu Abfall, oder, wie zumeist, von Einfall über
Durchfall zu Reinfall. Quod erat demonstrandum.
Goedart Palm |