"Wir
kommen euch holen, und mit uns kommt die Wut der Hölle." Das verkündete der
republikanische Abgeordnete Charles Norwood aus Georgia kurz nach den Anschlägen auf das
World Trade Center und Pentagon. Nun ist die Hölle der gefährlichste Exportartikel von
god´s own country, der wie die Ereignisse vermuten lassen auch reimportiert
werden kann. Nach solchen wohlfeilen rhetorischen Präventivsiegen heuerte das Pentagon
inzwischen eine bekannte Public-Relations-Agentur an, um der verunsicherten
Weltöffentlichkeit die US-Militärschläge besser zu erklären, als es jener Abgeordnete
konnte. Präsident Bush spürt inzwischen, dass nicht nur die islamische Welt mit
wachsender Abwehr auf die amerikanischen Gegenschläge reagiert. Der Krieg ist nach
Clausewitz ein Chamäleon, schon im nächsten Moment wechselt er seine Farbe, verändert
seine Strategien, wendet sich das Geschick vom Sieg zur Niederlage. Das gilt sowohl für
die militärisch heißen Phasen als auch für den parallel geschalteten Medienkrieg.
Mit dem Einsturz
der mächtigen Twin-Towers begann am 11. September 2001 der Terrorkrieg mit der
Kriegserklärung an die so genannte freie Welt. So lautete die Auslegung von Präsident
Bush. Die Kriegserklärung war aber zugleich bereits der erste letale Schlag, dem Tausende
zum Opfer fielen. Inzwischen hat dieser Krieg so viele Namen, Kategorien und Embleme, dass
schon dieser diffuse Befund für eine tiefe Verunsicherung auf allen Seiten der Fronten
spricht. Welchen Krieg führt die eilige Allianz gegen die heiligen Krieger eigentlich?
Kreuzzug, Vergeltungskrieg, Dead or alive - lauteten zunächst die
alttestamentarischen Losungen der USA, die sich semantisch passgenau in die
religiös-bellizistische Rhetorik der Fundamentalisten einfügten. Zwar war auch die Rede
von Verbrechensbekämpfung, von der Bestrafung der Terroristen. So wiegelte der
bundesrepublikanische Verteidigungsminister Scharping kurz nach den Attentaten ab:
"Wir stehen nicht vor einem Krieg. Wir stehen vor der Frage, was ist eine angemessene
Antwort - nicht im Sinne von Rache und Vergeltung, sondern um die Dimension des
internationalen Terrors, seine Brutalität, seine Wirksamkeit auf Dauer bekämpfen und
brechen zu können."
Aber Scharpings
Rationalisierungs- und Schadensbegrenzungsversuch ist längst von Ereignissen überrollt
worden, die einer explosiven Dynamik aus Paranoia, Verletzung und Trauer, aber auch
dem permanent beschworenen Glauben Amerikas an die eigene Stärke und Unbesiegbarkeit
folgten. Dieses Gefühlsamalgam ist ein bedenklicher Politik- und Militärberater
der Glaube an Machbarkeit, Schicksalsüberwindung und allfällige Nemesis sitzt zu tief,
um diesen Krieg gegenwärtig abzurüsten.
Eine erstaunliche Entwicklung - wurden doch die Kriege der Zukunft
als low intensity conflicts, blutleere Informationskriege, Cyberscharmützel
oder chirurgische Kriege ohne nennenswerte Kollateralschäden entschärft. Golf- und
Kosovokrieg brüsteten sich als saubere Hightech-Kriege. Nicht einmal der von
Militärexperten im Kosovo als unabdingbar prognostizierte Blut- und Bodenkrieg war
notwendig, um den Gegner niederzuringen. Kriege reduzierten sich in ihrem medialen
Zuschnitt auf humanitäre Eingriffe, nicht anderes als präzise Operationen mit einem
Minimum an Kollateralschäden, command-und-control-warfare ohne die endgültige
Vernichtung von Mann und Gerät.
"Unter hochtechnischen Bedingungen fällt der Krieg mit
seinem Organigramm zusammen" behauptet Friedrich Kittler, aber der Dämon im Herzen
der Kriegsmaschine hat sein Organigramm bisher noch immer erfolgreich verspottet. Auch am
Golf und im Kosovo galt der Krieg nur solange als beherrschbar, solange seine Wahrheit
organisiert wurde. Doch hinter dem relativen Informationsabseits der Öffentlichkeit
versteckten sich unzählige und ungezählte Kriegstote, unglaubwürdig dementierte
Kollateralschäden und die namenlosen Leiden der Zivilbevölkerung. Los
Desastres de la Guerra wurden wieder die alten Fratzen Goyas verliehen. Überdies
könnte man mit dem Militärtheoretiker Martin van Creveld behaupten, dass es sich bei
diesen einseitigen Schlägen ohne Einsatz des eigenen Lebens nicht um Kriege handelte,
sondern um: Metzeleien.
Der Erste Krieg des 21.
Jahrhunderts hat sich zügig zu einem synergetischen Vernichtungsunternehmen
entwickelt, das wieder alle klassischen Elemente der Kriegführung vereinigt, aber auch
solche Eigenschaften besitzt, die über das konventionelle Verständnis des Kriegs weit
hinausgehen. Nach Verteidigungsminister Donald Rumsfeld endet der neue Antiterrorkrieg
nicht mit einem Knall, sondern mit dem inneren Zusammenfall des Terrorismus. Der alte
Krieger Rumsfeld erinnert sich wohlig an den Kalten Krieg, in dem das Wettrüsten bereits
die Schlacht war. Aber diese Frieden spendenden Bedrohungsszenarien mutieren inzwischen
zur Nostalgie von strategischen Pattsituationen zwischen Staaten.
Die klassische Konfliktkonstellation
fasste der Staatsphilosoph des militaristischen Preußen, Georg Wilhelm Friedrich Hegel,
so zusammen: Darin, dass die Staaten sich als solche gegenseitig anerkennen, bleibt
auch im Kriege, dem Zustande der Rechtlosigkeit, der Gewalt und Zufälligkeit, ein Band,
in welchem sie an und für sich seiend füreinander gelten, so dass im Kriege selbst der
Krieg als ein Vorübergehensollendes bestimmt ist.
Nichtstaatliche Kombattanten zwingen mit
ihrer asymmetrischen Kriegführung dagegen eine andere Definition des Kriegs auf. Sie
führen ihn als einen Krieg, der sich wie ein unbekannter Virus in den westlichen
Öffentlichkeiten verbreiten und die Existenzbedingungen von Staaten rückhaltlos
unterminieren soll. Aber auch Amerika spricht permanent von einem lang bis immerwährenden
Feldzug gegen die Weltbösen, mithin von einem Kriegsziel, das zeitlich und räumlich
nicht wirklich begrenzt werden kann. Nicht nur der in diesen Tagen - permanent ebenso sehr
beschworene wie bestrittene - Clash of civilizations gibt den
Generalbaß der sich zusammenbrauenden Höllenmelodien vor. Wir erleben zugleich die
Konfrontation von Staaten und Gesellschaften mit nomadisierenden Globokriegern, die selbst
keinem Gemeinwesen mehr verpflichtet sind. Der Staat als Beherrschungsinstrument, sein
Gewaltmonopol wie sein Verteidigungsrecht gegen äußere Bedrohungen werden so nachhaltig
provoziert, dass der gegenwärtige Krieg zugleich die Belastungsprobe für die uns
geläufigen Machtformationen ist.
Somit geht es nicht nur um das vordergründige Wechselspiel von
Terror und Antiterror, sondern vielmehr um den Angriff auf den Staat als klassische
Befriedungsform menschlicher Gewalt. Die vormaligen Unterscheidungen von Krieg und
Frieden, von innerer wie äußerer Sicherheit, von öffentlichen und privaten Räumen
werden von der neuen globalen Konfliktform eingezogen. Mit der Diffusion der
Unterscheidung von Krieg und Frieden zerlaufen die Differenzen von Politik, Militär,
Spionage, Polizei und zivilen Informationsherrschern. Terrorismusbekämpfung greift tief
in die Strukturen der Zivilgesellschaft ein, wie bereits gegenwärtig die hektische
Antiterrorgesetzgebung und immer neue Überwachungsszenarien demonstrieren. Der auf das
Äußerste gereizte Staat erwägt inzwischen sogar Bekämpfungsmethoden, die nahtlos an
die Praktiken der Inquisition erinnern. Das FBI schließt selbst Folter nicht mehr aus, um
verdächtige Terroristen zum Reden zu bewegen. Auch die internationale Allianz auf dem
schlecht gefederten west-östlichen Diwan - belegt die heillose Verwirrung, in die Staaten
geraten sind. Das von den USA entworfene Staatenbündnis ist ein kriegsbedingtes Paradox,
jetzt selbst mit solchen Staaten wie Pakistan oder Indien zu kooperieren, die
gestern noch als globale Sicherheitsrisiken galten und vielleicht morgen schon
größere Bedrohungen entfalten, als es der Terrorismus heute vermag.
Asymmetrie
So wie das Selbstverständnis von Staaten
provoziert wird, verändern sich auch die klassischen Formen der Kriegführung.
Asymmetrische Kriegführung wurde zum Schlagwort eines Kampfes, der
reflektiert, dass hochgerüstete Staaten nicht in direkter Konfrontation zu besiegen sind.
Asymmetrische Bedrohungen suchen daher nach der Achillesferse versorgungs- und
informationstechnologisch hochvernetzter Gemeinwesen. Terroristen wollen Niederlagen
bereiten, die militärisch nicht gekontert werden können. Die Anschläge des 11.
September boten mehrere dieser unglaublichen Asymmetrien: Eine kleine Schar von
Terroristen bewaffnet sich mit Teppichmessern, um eine Hochtechnologiezivilisation damit
in Mark und Bein zu treffen. Die tödlichen Projektile, deren Kontaminationen die
verwundbaren Öffentlichkeiten auf unabsehbare Zeit belasten werden, waren mitnichten
raffinierte Waffensysteme - sondern, um in der grausamen Ironie moderner Gefechtsfelder zu
bleiben: zivile Maschinen.
Schon jetzt verseucht der Terror das Selbstverständnis westlicher
Gesellschaften so nachhaltig, dass die fundamentalistische Kalkulation der Attentäter
aufgehen könnte, den Kampf der Religionen, den Krieg der Kulturen, genauer: einen
"Bruchlinienkrieg" zwischen Christen und Muslimen auszulösen.
Der neue Terrorismus kombiniert Guerilla-Kriegführung,
Kamikaze-Opferbereitschaft und virtuelle Netzbewegungen. In dieser Mobilität von
Erleuchteten, Erwachenden und Schläfern werden die Übergänge zwischen dem urbanen
Gestrüpp des Westens, den schlecht passierbaren Bergen Afghanistans und den Welten des
Cyberspace zunehmend verwischt. Die ganze Welt soll sich in einen real-virtuellen
Dschungel verwandeln gemäß der paradigmatischen Losung des großen Strategen des
Guerillakrieges Mao Tse Tung: Je mehr Unordnung, desto besser. Mit diesem
Schlachtruf dehnt sich die Auseinandersetzung auf alle vitalen Organisationsmomente der
Weltgesellschaft aus. Wenn sich Terroristen nicht der Schlacht stellen, gibt es keine
diskreten Schlachtfelder mehr, der Globus zieht sich zu einem einzigen Schlachtfeld
zusammen. Der Neue Krieg wird so punktuell wie ubiquitär, so plötzlich wie
nicht endend geführt werden müssen sein Ende könnten wir nicht mehr erleben,
wenn sein hybride Selbstermächtigung weiterhin lautet, das Weltübel mit Stumpf und Stiel
auszurotten. Klassische Kriege waren letzte Entscheidungsverfahren (Niklas Luhmann),
während der lang währende Krieg im Gefrierfach mit einigen heißen Zwischenspielen nicht
einmal mehr reklamiert, wahrnehmbare Ergebnisse zu produzieren.
Medialer Krieg
Aber dieser diffuse Weltkrieg, der keiner
sein will, ist nicht allein von militärstrategischen Konditionen abhängig. Noch
wichtiger könnte der Sieg im Informationskrieg sein. Dieser Krieg wird gegenwärtig mit
nicht geringerem Einsatz als der militärische Schlagabtausch geführt. Der frühe
Informationskrieger von Clausewitz nannte als Ziel des Kriegs nicht nur den Sieg über die
feindlichen Streitkräfte, sondern auch die Gewinnung der öffentlichen Meinung. Marshall
McLuhan verkündete in den sechziger Jahren, dass Information eine Waffe sei. Der neue
kalte Krieg sei in Wirklichkeit nichts anderes als eine Schlacht mit
Informationen und Leitbildern, die viel tiefer geht und besser geschlagen würde als die
früheren heißen Kriege mit industriell gefertigten Eisenwaren.
Damals wurden Film-, Fernsehmacher,
Journalisten und kritische Intellektuelle mit offiziellen, neutralen und subversiven
Kriegsansichten noch reich versorgt. Die schreienden, nackten Kinder im Napalmregen, der
Polizeiminister Saigons, der eigenhändig einen Verdächtigen mit einem Schläfenschuss
tötet so wurde der medial nach- und aufbereitete Krieg zum Zuliefererbetrieb
seiner eigenen Ächtung. Zwischen Propaganda, Verdacht, Verblendung und Aufklärung
eröffnete Vietnam den streitgeladenen Diskursernstfall einer kontroversen
Öffentlichkeit. Friedensbewegungen und Kriegskritiker polarisierten die Gesellschaft. Das
Mediendesaster von Vietnam, das die Öffentlichkeit auf den Straßen mobilisierte und in
den Köpfen traumatisierte, sollte nicht am heißen Golf wiederholt werden. Längst
wussten Militärstrategen wie Colin Powell, dass Kriege nicht nur auf Schlachtfeldern,
sondern - vielleicht mehr noch - in den Medien zu gewinnen sind. "Wenn alle Truppen
in Bewegung sind und die Kommandeure an alles gedacht haben, richte deine Aufmerksamkeit
auf das Fernsehen, denn du kannst die Schlacht gewinnen, aber den Krieg verlieren, wenn du
mit der Story nicht richtig umgehst." Obwohl diese Story retrospektiv als eine
Schlacht der Lügen bezeichnet wurde, soll die neue Story im Antiterrorkrieg
wieder einem ähnlichen Plot folgen. Präsident Bush hat die Informationspolitik seines
Kriegs klar konturiert: Dramatische Schläge, die man im Fernsehen sehen wird, aber
auch so verdeckte Operationen, dass selbst ihr Erfolg ein Geheimnis bleibt. Hinter
dem Echtzeitkino des vermeintlich Realen verstecken sich lang währende Manöver,
Kommandounternehmen und Sicherheitsmaßnahmen, die überall und nirgends stattfinden.
Nach der Mediendoktrin dieses Kriegs wechselt die Öffentlichkeit
permanent vom Desinformationstheater in das Informationsabseits. Die amerikanische
Strategie des Humanbellizismus, die Golf- und Kosovokrieg beherrschte, soll nun in
verfeinerter Fassung, in der Update-Version für den gesamten Globus vorgestellt werden
allerdings unter den ungleich komplexeren Bedingungen eines so schlecht zu
verortenden wie unberechenbaren Feinds.
Kollateralgewinne
Das mediale Operationstheater des fast unsichtbar geführten,
dahinplänkelnden Kriegs ist die armselige Kommunikation, mit der auch anspruchsvolle
Informationsgesellschaften nun leben sollen. Die ursprünglich angekündigte
Theatervorstellung Armageddon fällt zunächst aus. Das
manichäische Weltbild verflüchtigt sich im grünen Monitornebel, in den Konservenbildern
des allmächtigen Kriegsgeräts und in den kühlen Worthülsen von Kriegsingenieuren. Die
klassischen Schläge, die im diffusen Fernsehgeflacker weggedimmt werden, sollen nur noch
als Kollateralgewinne für die Flüchtenden, Hungernden und Verdammten dieser Erde
gefeiert werden. Der herrschaftsgeladene Diskurs mit dem Terrorismus wählt nicht nur die
internationale Sprache der Gewalt. Die Taliban werden militärisch und politisch nur
deshalb ausgeschaltet, weil sie die obwaltende Humanität und enduring freedom
- andauernde Freiheit - behindern könnten.
Al Gore forderte 1992 einen Marshallplan für die Erde. Sein
erfolgreicher Präsidentschaftsrivale Bush vollzieht ihn nun als paradoxale Intervention
der Rosinenbomber, die mit den Rosinen auch die unvermeidlichen Bomben ausklinken. Bushs
Kommunikationsstil des strafenden Vaters folgt dem double bind, der Ambivalenz
von militärischen Schlägen, dem vom Himmel regnenden Manna selbst an die
Ungläubigen - und dem Marshallplanversprechen post bellum. Wie widersinnig die
verstörenden Doppelbotschaften humaner Kriegführung sind, demonstriert, dass die Taliban
sich selbst angeblich inzwischen mit den humanitarian daily rations
verproviantieren. Aber die Taliban nehmen den Tropfen auf den heißen Stein nicht nur aus
der derselben Hand, die sie zugleich gnadenlos schlägt. Schon gibt es Gerüchte, sie
würden die guten Gaben auch vergiften, um Amerikas christliche Humanitätsmission zu
hintertreiben.
Bildherrschaften
Im Gegensatz zur Zensur des Golfkriegs sollen Spin-Doctors wie
Präsidentensprecher Ari Fleischer nicht einmal mehr gezwungen sein, den Schrecken
nachzujustieren weil die westlichen Medien nun ganz draußen bleiben. Das
amerikanische Militär glaubt seit der CNN-Golf-Hofberichtserstattung die neuen
Informationskriegslektionen so gut gelernt zu haben, dass Journalisten auf
Flugzeugträgern oder gar im Schützengraben nur noch ein überflüssiger Tribut an die
Informationsansprüche der Öffentlichkeit wären. Die angeblich so filigran bombenden wie
lautlosen Krieger beschlossen, zugleich ihre eigenen Kriegsberichterstatter zu werden.
Die mediale Inszenierung nichts sagender und gesäuberter Bilder
setzt sich aber längst dem Fundamentalverdacht von Mediengesellschaften aus, in den
unendlichen Rückgriff auf eine flüchtende Wahrheit geschickt zu werden. Für diesen
Verdacht gilt nicht nur Rudyards Kiplings Regel Die Wahrheit ist das erste Opfer des
Kriegs. Wir leben in Mediengesellschaften seit je mit dem medialen Wahrheitsparadox,
da wir Informationen Glauben schenken sollen, obwohl wir wissen, wie sie hergestellt
werden.
Längst messen wir den gegenwärtigen Bildern, der entsinnlichten
Kriegsberichterstattung von dementierenden Todesstatistikern keine Erkenntnisfunktion mehr
zu. Der Tarnkappenbomber wurde zum Gespenst der Freiheit. Das Stealth-Technologieideal
selbst aber avancierte zum Paradigma westlicher Bildverbote. Der Generalverdacht der
westlichen Öffentlichkeiten gründet sich nicht nur auf den Makel, dass die
Authentizitätssiegel freier Medien fehlen. Die vormaligen Informationsherrscher haben
sich selbst dem fatalen Paradox unterworfen, - erklärtermaßen - mit ihren Informationen
nicht informieren zu wollen. Längst zeichnet sich indes ab, dass die Generäle den alten
Fehler machen, den letzten Krieg wiederholen zu wollen, mithin den neuen Krieg zu den
Konditionen des alten vorstellen möchten.
Inzwischen entwickeln sich die Kommunikationen zwischen den
Kriegsteilnehmern zu komplexen, diskursiv und ikonografisch aufgeheizten Gefechtsfeldern,
ohne dass noch länger eine Seite entscheiden könnte, sich dem zu entziehen. Der Westen
ist längst kommunikativ zu komplex strukturiert, als dass er sich nach dem Wunsch der
US-Regierung zu einer autistischen Kriegsgesellschaft umrüsten lässt.
Die Bilder des Angriffs auf das World Trade Center legitimierten
den Aufmarsch der mächtigsten Armada der Erde. Doch schon beginnen die Ikonen der Anklage
zu verblassen, sie werden jetzt von den Bildern der Kollateralschäden, von beschädigten
Wohnhäusern und einen zerstörten Altenheim oder war es ein Krankenhaus? -
von Flüchtlingsströmen und hungernden Kindern zunehmend überblendet. Es wird zur Ironie
des Medienkriegs, dass die Taliban die säkularen Bildverbote des amerikanischen Militärs
jetzt mit bildgeladenen Propagandamaßnahmen beantworten. Ausgerechnet die
bilderfeindlichen Totalfundamentalisten, die noch zuvor den Buddha im eigenen Land
vernichteten, holen Journalisten auf die Kriegsschauplätze, posieren vor vernichteten
Häusern und Hütten, um Amerika mit den Gegenbildern des Grauens zu bombardieren. Selbst
mit dem ikonografischen Vorschein des Schreckens soll die amerikanische Öffentlichkeit an
ihrer empfindlichsten Stelle getroffen werden: Man werde - wie weiland in Somalia - tote
GI´s durch die Straßen Kabuls schleifen.
Anthraxophobia
Auch die zunächst stummen
Gewaltfundamentalisten haben inzwischen begonnen zu reden. Zunächst mit den Muslimen,
nicht schwach in ihrem Glauben zu werden, sondern sich dem Djihad in seiner
fundamentalistischen Lesart anzuschließen. Al-Qaida redet indirekt mit der westlichen
Öffentlichkeit, wenn sie den Glaubensbrüdern rät, sich nicht in Hochhäusern oder
Flugzeugen aufzuhalten. Für diese bedrohliche Rhetorik könnte die Regel des
Schachmeisters Nimzowitsch gelten, dass die Drohung gefährlicher als die Ausführung ist.
Mindestens so verstörend sind die Anthrax-Briefe in die westliche Welt eine im
wahrsten Sinne des Wortes subkutane Feldpost, die eben hysterische Epidemien
(Elaine Showalter), Paranoia und Tod kommunizieren soll. Die Anthraxophobia
geht um. Und das klingt wie ein paniklüsterner Katastrophenfilm Hollywoods, nicht allzu
weit entfernt von Orson Welles Krieg der Welten. Was heißt schon life
imitates art? Der Krieg geriert sich als die Fortführung der Blockbuster mit
besseren Mitteln.
Welche Rolle spielt Al-Qaida bei
diesen Anthrax-Briefen, will CNN von Ibn Ladin erfahren. Diese Frage ist so legitim wie
die rhetorische, welche Rolle die Medien spielen, die die Erreger im psychologischen
Flächenbrand unendlich vermehren. Ob nun Anthrax oder Backpulver versendet werden, ob
veritable Terroristen oder Trittbrettfahrer den Tod frankieren, ist für eine
panikgefährdete Medienöffentlichkeit unerheblich. Die besorgt den Terror schon selbst,
wenn ihr privilegiertes Sicherheitsgefühl gereizt wird. Der Präsident des Berliner
Robert-Koch-Instituts, Reinhard Kurth, rät zu erhöhter Aufmerksamkeit gegenüber
verdächtigen Pulversendungen: Nicht berühren, nicht einatmen, nicht kosten.
Und das klingt wie eine allgemeinverbindliche Gebrauchsanweisung für die Bekämpfung der
medial ausgelösten Paranoia selbst. In den Medien wird der Terrorismus so tief inhaliert,
dass inzwischen auch Nichtinfizierte schon ein Jucken bei der bloßen Vorstellung
verspüren. Schon warnen Ärzte ernsthaft vor den psychoneurotischen Folgen des medialen
Milzbrandfiebers. Die Absicht des Terrorismus ist es nach Verteidigungsminister Rumsfeld,
Menschen zu terrorisieren, um ihr Verhalten zu ändern. Dieses Kriegsziel hat der
Terrorismus - welcher Couleur auch immer - in Kollaboration mit den Medien und der
kriegsentwöhnten Mentalität des Westens längst errungen.
Die nationale
US-Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice appellierte an alle amerikanischen
Fernsehanstalten, keine Videos der Terrororganisation al-Qaida mehr zu senden, um nur ja
keine Geheimbotschaften an menschliche Zeitbomben zu übermitteln. Ein verstohlenes
Bartzupfen des Terrorscheichs und drei Tage später fällt das Empire State Building in
Schutt und Asche? Dabei könnten die unverschlüsselten Botschaften mindestens ebenso
gefährlich sein. CNN-Chef Walter Isaacson meint: "Sollte Ibn Ladin jedoch nur
versuchen, Propaganda zu streuen, gibt es keinen Anlass, das Video zu senden.
Newsworthy sind Ibn Ladins Äußerungen aber schon deshalb, weil die
politisch-militärische Exkommunikation der Medien ein Ausmaß erreicht hat, dass jede
authentische Regung der Parteien - so propagandistisch sie auch sein möge - gierig
aufgesogen wird. Die westlichen Öffentlichkeiten benötigen Informationen als
Betriebsmittel ihres politisch-kulturellen Selbstverständnisses.
In dieser medialen Strategie sind sich die Terroristen mit Bush,
Rumsfeld, Fleischer und den anderen spin-doctors einig. Aber letztere haben die
Informationshoheit schon verloren und könnten sie vollends an die Gegenseite abtreten,
wenn sie weiterhin unverbindliche soft-news in das gähnende Medienloch streuen.
Der arabische Privatsender al-Jazeera hat inzwischen die Rolle
übernommen, die CNN im Golfkrieg hatte aber eben zu Konditionen, die nicht mehr
von der Informationsdominanz des amerikanischen Generalstabs bestimmt werden. Ibn Ladins
Aufruf zum Heiligen Krieg wurde in die angstbereite Welt des Westens verstrahlt - wie auch
die Drohung des Sprechers von Al-Qaida, dass weitere Tausende Muslime bereit seien, ihr
Leben im Kampf gegen die Ungläubigen einzusetzen. Auch Bush will die Terroristen, dem
"Licht der Gerechtigkeit" aussetzen, sie demaskieren. Aber die Richtung der
Strahlen soll eben die mediale Kriegsmaschine des Pentagon bestimmen. So wurden die
vormals gesichtslosen Gegner auf dem Steckbrief der "Most Wanted Terrorists"
geoutet, nicht zuletzt um die agitatorisch gefährliche Konzentration auf Usama bin
Ladin, Amerikas Erzfeind Nr.1, zu verwischen. Dieser Mann mit dem gefährlichen Charisma
eines neuen Messias soll nicht zum Nahverwandten des weiland weltweit in westlichen
Universitäten und Wohngemeinschaften heimischen Ernesto Che Guevara werden, der auch als
David gegen Goliath medial perfekt inszeniert wurde. Die amerikanischen Versuche,
al-Jazeera schließen zu lassen, scheiterten indes. Da inzwischen die westlichen Medien am
Informationstropf des arabischen Senders hängen und dort auch Interviews mit westlichen
Führern gezeigt wurden, dürfte dieser Griff nach der verlorenen Wahrnehmungshoheit
vergeblich sein.
Dar
al-harb
Verteidigungsminister Rumsfeld bescheinigt dem Terrorismus, weder
Teil der Religion noch der Kultur zu sein. Das ist die alte Sprach- und Fassungslosigkeit
vor einem Phänomen, das wie ein Tumor wegseziert werden soll, ohne zuvor die Diagnose zu
stellen. Friedenspreisträger Jürgen Habermas meint dagegen hoffnungsvoll: "Der
Krieg gegen den Terrorismus ist kein Krieg, und im Terrorismus äußert sich auch
ich sage: auch der verhängnisvoll sprachlose Zusammenstoß von Welten, die
jenseits der stummen Gewalt der Terroristen wider Raketen eine gemeinsame Sprache
entwickeln müssen". Der Philosoph Slavoj Zizek bescheinigt der westlichen Toleranz
zutiefst intolerant zu sein. In ihren Genuss kämen nur die, die genau so tolerant
sind wie wir. Die Toleranz sei nichts anderes als ein Abwehrmechanismus, der davor
schützte, sich mit dem Anderen auseinander zu setzen.
Dieses Eingeständnis konnte sich der Westen bisher
versagen, weil die Grenzen der eigenen Toleranz und Verständigungsbereitschaft in den
üblichen multikulturellen Beschwichtigungen nur bedingt provoziert wurden. Aber gibt es
jenseits der Raketen wirklich eine gemeinsame Sprache, wenn man mit den Fundamentalisten
zwischen dem Dar al-Islam (Haus des Islam, d.h. des Friedens) und Dar al-Harb (Haus des
Kriegs außerhalb der islamischen Welt) rigide unterscheidet? Der Westen akzeptiert den
Kampf der Kulturen, der Religionen nicht, weil das Schreckgespenst einer islamischen
Erhebung den bisher erlebten Terror vielfach überbieten würde. Allein indem der
Religionskrieg ständig dementiert wird, erringt der Westen aber längst nicht die
Definitionskompetenz über den Djihad, den andere erklärtermaßen führen und den das
Bündnis wider Willen zu führen gezwungen ist.
Die jetzt von Amerika eingesetzten klassischen
Propagandaflugblätter rühmen sich der militärischen Überlegenheit der US-Truppen -
Zitat: "Und was benutzt ihr? Überflüssige und ineffektive Waffen. Unsere Helikopter
werden Feuer auf eure Lager nieder regnen lassen, bevor ihr sie auf dem Radar entdeckt
habt. ... Die Soldaten der Vereinigten Staaten feuern mit überlegener Treffsicherheit und
überlegenen Waffen." Diese Verheißungen sind besonders gut geeignet, den
islamischen Hass auf eine westliche Kultur, die auf ihre technologische Überlegenheit
pocht, aber spirituell versagt, im "Neo-Djihad" (Bassam Tibi) zu provozieren.
Interkultureller Diskurs
Die Bündnistruppen haben zurzeit zwar die militärische, aber
längst nicht die mediale Lufthoheit über Kabul und den Rest der Welt errungen. Viel
spricht dafür, dass der reaktive Zorn Amerikas Teil des terroristischen Kalküls ist und
Ibn Ladin die Fäden zieht, die Bush glaubt, fest in der Hand zu halten. Je länger der
Krieg dauert, je mehr gestörte Kommunikationen und die nun bereits eintreffenden
body-bags seine Legitimationsbasis angreifen, desto schwieriger wird er für
das mit dem Notnagel zurecht gezimmerte Bündnis zu führen sein.
Insofern werden wir mit dem Neuen Krieg auch die
Bewährungsprobe der Informationsgesellschaft erleben. Gelingt es ihr, Paranoia, Panik,
Verzweiflung, vor allem aber kulturelle, religiöse wie ethnische Bruchlinien zu
konterkarieren oder siegt die Angst vor einer kulturellen Überfremdung durch die
"Kinder Allahs", die Oriana Fallaci verkündet? Gibt es den von Habermas und
anderen Freiheitstheoretikern proklamierten herrschaftsfreien Diskurs mit der muslimischen
Welt? Oder werden die realen Schrecken in Informationsschlachten erst medial entfacht und
dann virtuell überboten? Was Krieg und Kommunikation in den Zeiten einer verunsicherten
Weltgesellschaft heißen, lässt sich angesichts der angekündigten Persistenz der neuen
Auseinandersetzungen nicht endgültig beantworten. Klar ist aber schon jetzt, dass die
neuen politischen, militärischen und medialen Dynamiken unseren tradierten
Begriffshorizont vom Wesen des Kriegs unabsehbar ausdehnen werden.
Wichtiger aber noch ist das vom gegenwärtigen Krieg provozierte
Selbstverständnis des Westens, das sich nicht länger hinter einer unverbindlichen
Theorie des kommunikativen Handelns verschanzen kann. Der jetzt mit einiger Härte los
getretene interkulturelle Diskurs, - der auch innerkulturelle Bruchlinien von Günter
Grass bis Silvio Berlusconi hervor gebracht hat - hat sich längst noch nicht zu einer
verbindlichen globalen Gesprächspraxis entwickelt. Davon hängt ab, ob der Krieg der
Zukunft wieder in der Religion einen seiner ältesten Anlässe sucht und findet - oder auf
seine tiefer liegenden Ursachen zurück geführt wird. Gelingt das nicht, bleibt dieser
Krieg bis auf weiteres - die Fortsetzung der Wirklichkeit mit schlechteren Mitteln.
Goedart Palm, 26.10.2001 auf der VIPER,
Basel
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