Randbemerkungen zu
einer deutschen Diskussion über die Zukunft der Menschengestaltung
Peter Sloterdijk hat über die genetische Zukunft des
Menschengeschlechts spekuliert und in den kognitiven Legebatterien der
Philosophenfarm herrscht seitdem helle Aufregung
Es ist nicht nur eine deutsche Diskussion, aber
hier zu Lande ist die gentechnologische Aufrüstung des Menschen das
Anathema schlechthin. Von der Eugenik zur Euthanasie liegt das kürzeste
historische Verbindungsstück: Ein Kernbestandteil der
nationalsozialistischen Menschenverachtungspolitik war die Vernichtung
"unwerten Lebens". War zuvor die Eugenik ein optimistischer
Forschungsgegenstand einer jungen Disziplin, ist durch die historische
Katastrophe eine unabsehbare Berührungsangst der Bioethik mit allen
Entwürfen gentechnologischer Beeinflussung des Menschen entstanden.
Auch der aktuelle Streit wird von diesem Schrecken beherrscht.
Diskurs heißt inzwischen der
herrschaftsgeladene Angriff auf den Gegner und längst zeichnen sich
philosophische Fronten ab, die auch zugleich den Nachkriegsbastionen
deutscher Neuaufklärung gelten. Sloterdijk dekretierte kurzerhand den
Tod der "Kritischen Theorie" und Jürgen Habermas soll - sehr
entgegen seiner philosophischen Grundüberzeugung eines
herrschaftsfreien Gesprächs - publizistische Angriffe auf den neuen
Spekulanten einer besseren Menschheitszukunft lanciert haben. Wäre da
nur die Konfusion in der Suhrkamp-Welt, ließe sich das Dilemma der
Menschheitsdämmerung vornehmlich mit einigen dunkelblauen Führern im
diskursiv verminten Terrain lösen.
Dieser Stoff der Kolportage erscheint
indess bedeutungslos gegenüber einer Thematik, die nicht nur in
Philosophenhirnen gefährlich brodeln mag, sondern vor allem das alte
Thema einer ethischen Wissenschaft und ihrer sozialkompatiblen Praxis
aufwirft. Folgen aus der technologischen Machbarkeit der Genmanipulation
zwingend Versuche, den Menschen zu einer besseren oder schlechteren
Existenz zu führen? Gibt es schon bald neue soziale Klassen von Züchtern
und Gezüchteten? Oder leitet sich hier ohnehin das Ende klassischer
Gesellschaften ein, denen neue biologische Klassen mit sozial
unabsehbaren Potenzen folgen?
Das Dilemma der Diskussion und ihr
fruchtbar-furchtbarer Betriebsstoff ist die Komplexität der Fragen und
die Unabsehbarkeit sozialer Folgen. Dabei wird in den gentechnologischen
Zukunftsküchen bereits kräftig gekocht. Glühwürmchengene in
leuchtenden Tabakspflanzen und Tomoffeln gehören noch zu den Hybriden
der fröhlichen bis komischen Sorte der neuen Wissenschaft. Doch auch
das Schaf Dolly wurde geklont und der Amerikaner Dr. Seed (sic!) verkündete
mediengerecht, er wolle sich nun selbst klonen. Das verlässt nicht nur
einen alten Menschheitsglauben, dem Ebenbild Gottes nachgezeichnet zu
sein, sondern wirft den Menschen aus einer weiteren Position
anthropozentrischer Selbstvergewisserung, einzigartig und unwiederholbar
geschöpft zu sein.
Auch wenn die Prospekte der "Golemisierung"
einer neuen gentechnologischen Hyperrasse noch vornehmlich den
Boulevardzeitungsstoff sicherstellen, verlässt der Vorschein der
Unsterblichkeit die bisherige conditio humana um Lichtjahre. Die neuen
Superwesen können den hoffungsvollen Spekulationen der Gentechnologie
zufolge mit immer neuen Eigenschaften aufwarten: Bessere
Datenverarbeitung durch das Biohirn, erhöhte Immunität der "wetware"
Mensch, ein notwendiger Zuwachs an Sozialverträglichkeit und dem
verbunden die tendenzielle Entkriminalisierung des Menschen. Obwohl
Aldous Huxley unseren Glauben an diese "Schöne Neue Welt" im
Schrecken einer künstlich sedierten Mehrklassengesellschaft
unterminierte, haben sich Zukunftsvisionen nie der Hoffnung auf die Rückkehr
ins Paradies prästabilierter Harmonie entledigt. Aber wie steinig ist
der Weg dorthin?
Der Palette der neuen Menschenfertigung
in vorgeblich perfekten Reißbrettgesellschaften werden auch dunkelste
Farben beigemischt: Erleben wir schon bald die Geburt der "blonden
Bestie" - jenseits von Gut und Böse, bereit, die naturbelassene
Restmenschheit in den historischen Orkus zu treten? "Was fällt,
das soll man stoßen", hatte Nietzsche zynisch dekretiert und die
nihilistische Angst, als biologisches Auslaufmodell schon bald gegenüber
neuen Subjekten der Geschichte zu enden, ist nicht mehr zu besänftigen.
Freilich noch schlimmer für die Moralphilosophie wäre eine
programmierte Ontogenese, die den neuen Menschen endgültig der
Willensfreiheit beraubt. Der Mensch als determiniertes Ergebnis einer
gentechnologischen Planung, nicht mehr frei, seine Selbstkonstruktion in
einer kurzen Lebenszeit selbst zu verantworten!
Ob der Mensch danach noch länger ein
Mensch wäre, vermag schon deshalb niemand zu beantworten, weil die
Spekulationen über die Willensfreiheit sich nie aus ihren moralischen
Intuitionen lösen konnten. Der Mensch, nach Nietzsche ohnehin das
"nicht festgestellte Tier", könnte sich aller tradierten
Fesseln entledigen, er avancierte zum homonculus einer radikalen
Welterschließung, die bisher den "verdinglichten" Übermenschenentwürfen
medialer Fiktionen vorbehalten war.
Das Verhältnis von Wissenschaft und
Ethik ist seit je fragil. Zwar führte im Lauf der menschlichen
Katastrophengeschichte nicht jede wissenschaftlich ersonnene Möglichkeit
zu ihrer Verwirklichung, aber die nicht eingelösten historischen
Konstrukte wurden zumeist durch andere überholt, die sie tausendfach überboten.
Dagegen erscheinen die Appelle der kategorischen Fundamentalethiker und
theologischen Dogmatiker schwach, wenn uns eine virtualisierbare Natur
provoziert, die sich ihrer Natürlichkeit entkleidet, um ab jetzt nicht
weniger planbar zu sein als vergängliches Menschenwerk. Auch die
Philosophie, die sich immer als Sachwalterin der Wahrheit aufführte,
entlässt die Menschheit nicht aus dem Risikogeschäft einer
unabsehbaren Selbst- und Weltkonstruktion. Und der ethisch überhitzte
Diskurs dieser Tage ist wohl zuletzt geeignet, als Immungarantie gegen
die gentechnologischen Extrapolationen gelten zu dürfen.
War Sloterdijk zuvor der aufgehende
Stern einer Philosophenszene, die sich bis dahin nicht gerade öffentlichkeitswirksam
oder gar wirkungsmächtig vorstellte, wird er nun als eitler
Modephilosoph und Terminator der dunkelsten Energien der Meisterdenker
Platon, Nietzsche und Heidegger diskreditiert. Sloterdijk ist gegen
seine Kritiker zu verteidigen, weil ein Diskurs über die Sache nicht
die Sache selbst ist. Die Kritiker Sloterdijks haben auf solchen
Kategorienfehler immer insistiert, um sie in der Stunde der
vermeintlichen Menschheitsbedrohung durch freizügiges Denken mit anmaßender
Selbstverständlichkeit dem Gespräch vorzugeben.
Sollten Sloterdijks Anmerkungen zum
Thema faschistoid imprägniert sein, müsste es dem Selbstverständnis
der Kritik nach möglich sein, das erfolgreich zu konterkarieren. Dieser
Diskurs scheint aber nicht nur unwillig, sich aus der historischen
Vorurteilsstruktur zu lösen, sondern auch von selbstgewissen
Sachwaltern geführt zu werden, deren Sprachlosigkeit sich hinter wütenden
Attacken versteckt. Umso lauter tönen die Rufe, je weniger die
Lordsiegelbewahrer moralisch rückversicherter Menschlichkeit an die
autoritative Kraft ihrer Positionen zu glauben scheinen. Reicht der
Glaube der Philosophie an ihre gesellschaftliche Zuständigkeit in
diesen Tagen nur so weit wie ihre nichtautorisierbaren Redeverbote?
Jürgen Mittelstraß, Präsident der
Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie leitete gar den 18. Deutschen
Kongress für Philosophie mit dem Angriff ein, Sloterdijk habe sich über
alle wissenschaftlich und philosophisch legitimierbaren Grenzen hinweg
gesetzt. Sloterdijks Elmauer Rede schade dem Ansehen der Philosophie.
Das Ansehen der Philosophie ist ein Desiderat, das vornehmlich die für
einlösbar halten, die sich im Zirkel selbstreferenzieller Universitätslehren
aufhalten. Eyes wide shut! Dieses Ansehen der Philosophie atmet
Totenruhe. Mögen eine Gesellschaft und ihre Wissenschaft von der
Notwendigkeit einer ethischen Überformung des Machbaren überzeugt
werden, weil anderenfalls das philosophische Gespräch schon bald gegenüber
den Vorstößen der neuen Menschenmacher im Guten wie im Bösen obsolet
sein dürfte.
Goedart Palm
Original unter Telepolis
>>
Anmerkung in "Philosophie in Echtzeit" von
Heinz-Ulrich Nennen hier >>
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