"War
isn´t politics, my dear. It is indeed the only human activity that is rottener than
politics."
(Rex Stout)
Krieg als Politikersatz hat nicht erst
nach den Erfahrungen des ersten Weltkriegs den schlechtesten Ruf, der selbst Adolf Hitler
zurückschießen ließ, als er Angriff meinte. Erasmus von Rotterdam (1465-1536) hielt
bereits in seinem Essay "Süß scheint der Krieg den Unerfahrenen" jeden Krieg,
auch den Verteidigungskrieg, für illegitim. Frieden ist ein verbindlicheres Wort als
Krieg und wer sich darauf beruft, muss um seine moralische Akzeptanz nicht besorgt sein,
auch wenn er sich die Lösung für reale Bedrohungsszenarien darüber großzügig versagt.
Trotz gewaltiger Propagandamaßnahmen ist es der Bush-Regierung dagegen nicht gelungen,
ihr hässliches Image als Kriegstreiber zu verhindern und eine Mehrheit der
Öffentlichkeit wie der Staaten von der Notwendigkeit ihres Krieges als Mittel der Politik
zu überzeugen. Wie der US-Senator Robert Byrd
(http://australianpolitics.com/news/2003/02/03-02-12.shtml) überzeugend ausgeführt hat,
wird diese eminent wichtige Frage in den USA gerade nicht diskutiert, sondern der kommende
Schrecken hinter einer Wand des Schweigens versteckt. Bush erscheint nicht nur in den
deutschen Medien abwechselnd als schießwütiger Cowboy, Rambo, römischer Imperator,
brutaler Goliath oder außenpolitischer Simpel, der komplexe Fragen internationaler
Interessen militärisch auf Schrumpfstufe reduziert.Wer will schon vor dem Hintergrund alteuropäischen Erfahrungswissens
Kreuzzüge führen? Wer glaubt an die politische Ontologie von Schurkenstaaten und allzeit
integere Staaten wie den USA? Oder gar an das Böse an sich als ewiger Widersacher des
Guten?
Entkleidet man indes den medial
umkämpften Irak-Konflikt seiner propagandistischen Ummäntelungen, der schön geredeten
Passagen einer humanitären Kriegschirurgie, bleiben die unbeantworteten Fragen: ob fremde
Gewaltherrschaft grundsätzlich friedlich hinzunehmen ist, ab wann humanitäre
Ermächtigungsgrundlagen - mit und ohne Beschlüsse des UNO-Sicherheitsrates -
völkerrechtlich reklamiert werden können, ob präventive Kriege im Blick auf
Massenvernichtungswaffen, die wirklich nachgewiesen werden können, legitim sind?
So werden sich auch die Friedensbewegten und
menschlichen Schutzschilde im Irak fragen lassen müssen, ob es Grenzen der
Friedfertigkeit gibt. "Nie mehr Krieg" ist fantasiepolitisch sehr gut, aber wann
ist Krieg realpolitisch die bessere Lösung? Die Achtung fremder Souveränität kann in
einer Welt, die globale Probleme und Waffen transnationaler Reichweite zu verwalten hat,
keine unüberwindbare Grenze markieren. Welchen Respekt verdienen Unrechtsregime, die von
der leidenden Bevölkerung nicht getragen werden? Gerade wer für die Kraft der Vereinten
Nationen optiert, kann nicht vor der Pseudosouveränität staatlicher Verbrecher Halt
machen. Wer hätte noch nie die Hilflosigkeit von Menschenrechtsorganisationen beklagt,
die mit ihren friedlichen Petitionen über lange Jahre vergeblich Menschenschinder zur
Umkehr bewegen wollen? Klebte dem Bush-Blair-Projekt nicht seit Anbeginn das hässliche
Emblem "Blut für Öl" auf der Stirn, hätte auch eine mehrheitliche
Öffentlichkeit entstehen können, die die offiziellen Kriegsziele akzeptiert hätte.
Insofern wirft die mehr als unglücklich
formulierte Bush-Doktrin amerikanischer Suprematie und ewiger, friedlicher Weltherrschaft
durch militärische Überlegenheit Fragen auf, die sich längst nicht im Irak-Konflikt
oder in den Kriegen, die folgen mögen, erschöpfen. Die US-Regierung hat den Terrorismus
als das vordergründig flexible, in der Öffentlichkeit inzwischen längst entwertete
Begründungsschema einer interventionistischen Politik überdehnt, um politische und
wirtschaftliche Rahmenbedingungen in Ländern gewaltsam zu forcieren, damit sie für den
Westen anschlussfähig werden. Doch auch wenn Bushs texanischer Internationalismus einen
provokanten Unilateralismus predigt, ändert das nichts daran, dass Figuren wie Saddam
Hussein die menschliche Erblast schlechthin sind.
Wollen wir in diesem Zwiespalt verschiedener
Grade politischer Unvernunft dauerhaft mit Drohkulissen gegenüber schwelenden Konflikten
leben, die nicht nur Zivilbevölkerungen terrorisieren, sondern auch genügend
Pulverfässer für globales Unheil bereit stellen könnten? Auf die vielfach gepredigte
Ökumene friedlicher Begegnungen, auf den spätaufgeklärten Lernprozess der Toleranz oder
die Diplomatie ohne Drohgestus ist gegenüber Psychopathen der Macht wie Saddam Hussein
und Kim Jong Il wenig Verlass, so unverdrossen Gutmeinende diese Konfliktlösungen auch
als allgemeinverbindlich erklären. Solche Vorschläge sind regelmäßig nicht mehr als
eine petitio principii, d.h. sie setzen die Gesprächsbereitschaft bereits voraus, die
für den Erfolg der friedlichen Konfliktlösung unabdingbar wäre. Zumindest reden wir im
Blick auf solche friedlichen Konvertierungen aggressiver Staaten, Gruppen und Potentaten
wohl eher von Jahrhunderten als Jahrzehnten, wenn wir blauäugig für den weltweiten
Nachvollzug der Aufklärung und die Demokratisierung nichtwestlicher Gesellschaften
optieren. Zwar sind wir längst nicht dem "Heiligen Gral" der Militärs nahe
gekommen, den George Stein in der Fähigkeit sieht, den Krieg bereits gewonnen zu haben,
ehe er überhaupt begonnen habe. Der Krieg auch als spätmoderner Blitzkrieg bleibt
schmerzlich, blutig und immer auch ungerecht in seiner konkreten Praxis, die
Zivilbevölkerung zum Opfer werden zu lassen.
Der Irak-Konflikt drängt inzwischen die beklemmende Wahrheit auf, dass
der Krieg als letztes Mittel der Konfliktlösung längst nicht ausgedient hat. Zwar sind
die amerikanischen und britischen Behauptungen einer unmittelbaren Bedrohung durch den
Irak unwahr. Wenn Tony Blair seinen ethischen Interventionismus mit "Fragen von
Leben und Tod" rechtfertigt, wird der Widerspruch der Kriegszwecke nur allzu
deutlich. Denn offensichtlich ist sich die Liga der zum Krieg Entschlossenen nicht einmal
klar darüber, ob es sich nun um einen humanitären Akt der Befreiung oder um
Voraus-Selbstverteidigung handelt. Aber Saddam Husseins Friedens- und
Kompromissbereitschaft, ob nun im eigenen Lande gegenüber ethnischen Minderheiten oder
gegenüber Anrainern, bleibt auch eine fromme Fiktion. Wäre Saddam Hussein mehr als ein
kurzschlüssiger Gewaltherrscher, würde er jetzt auf die Forderungen der Weltgemeinschaft
reagieren - zudem ihm nun eine letzte Chance seitens des UNO-Sicherheitsrats eingeräumt
wurde, ohne augenscheinlich genutzt zu werden. Selbst Hans Blix hat mit seinem Ultimatum
gegenüber dem Irak, nun unmittelbar die Raketen zu vernichten, deutlich gemacht, dass
irgendwann auch dem Frömmsten der Geduldsfaden reißt. Könnten also die bellizistischen
Widersacher des Potentaten zumindest im Prinzip Recht haben, dass nur Drohungen, denen mit
Sicherheit auch Taten als "ultima ratio" folgen, in solchen Fällen erfolgreich
sind? Und schließlich könnte Bush doch Recht behalten, dass mit solchen Diktatoren nicht
zu reden ist.
Also besser ein Ende mit Schrecken als ein
Schrecken ohne Ende, ohne mit dieser Losung Bushs überschießender Propaganda und seinen
weniger edlen Kollateralzielen dieses Krieges aufzusitzen? Welche Lösungen bieten sich
jenseits des Krieges an: Einsatz von Blauhelmen, Waffen- und Wirtschaftsembargo,
Einfrieren von Auslandsguthaben der Kriegsherren oder langjährige wirtschaftliche Hilfe,
wenn man die Ursachen solcher Konflikte auf wirtschaftliche Not zurückführt. Dieses
Arsenal macht mindestens auf den zweiten Blick seine Selbstwidersprüchlichkeit deutlich.
Hungert man ein Land aus, trifft es die Zivilbevölkerung. Das Wirtschaftsembargo
gegenüber dem Irak war eine untaugliche Maßnahme mit unerträglichen humanitären Kosten
für die hilflose Zivilbevölkerung - sicher schrecklicher in den Auswirkungen, als es
etwa die Enthauptung des Herrschers zum Ende des ersten Golfkriegs hin gewesen wäre. Auch
die Gutmenschen-Doktrin einer wirtschaftlichen Verbesserung leidender Gesellschaften neigt
zur Ignoranz, weil regelmäßig nicht die wirtschaftliche Not Aggressionen zeugt, sondern
die Gier von staatlichen wie nichtstaatlichen Kriegsparteien nach Macht und ökonomischen
Vorteilen (http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/11619/1.html). Und wie überhaupt
kommt man der irrationalen, nie besiegten Lust an Blutritualen (Barbara Ehrenreich) bei?
Blauhelmeinsätze sind oft genug schön geredete Kampfpausen gewesen (Vgl. "Give War
a Chance" von Edward N. Luttwak (http://data.cirp.info/intervention/luttwak.html).
Ohnehin ist es logistisch kaum möglich, dass die eine Hälfte der Welt die andere
dauerhaft inspiziert, bis irgendwann oder auch nicht die allfällige Lust auf Krieg
kollabiert und das Paradies auf Erden ausbricht. Auch eine stärkere Einigkeit der UNO,
als sie bislang trotz einiger Hoffnungsschimmer zu beobachten ist, verdeckt nicht, dass
die zahlreichen nationalen Interessen einer dauerhaften Befriedung von Ländern immer
wieder entgegenstanden. Jeder wünscht sich eine über kriegsbereiten Streitparteien
machtvoll inthronisierte UNO als schlagkräftiges Weltgewissen, aber das Los der
Geschichte besteht darin, mit der jeweiligen schlechten Gegenwart und ihren höchst
fehlsamen Protagonisten auf beiden Seiten der Front leben zu müssen. Ist das Motto "Make war to make peace" trotz allem humanitären
Widerwillen in extremen Konstellationen richtig, während halbherzige Maßnahmen oder
vorübergehende Interventionen, die einen vollständigen Sieg verhindern bzw. nur
vorüber gehende Erschöpfung fördern, endemische Konflikte produzieren?
Carl Schmitt hielt die Verkündung von
Kriegen, um nie wieder Krieg führen zu müssen, für manifesten Betrug. Wer Kriege im
Namen der Menschheit führe, verdecke nur, dass er seinen Feind, der nicht weniger Mensch
sei, bekämpfe. Doch dieser Begriff des Politischen gibt so wenig wie der Pazifismus eine
Antwort darauf, ob Kriege nicht humanitäre Wirkungen haben können, die ihre Opfer
aufwiegen. Der blinde Fleck der Friedensbewegung bleibt, dass es nach menschlichem
Ermessen zumindest einige Kriege gab, die die Verhältnisse besser zurückgelassen haben,
als sie vorgefunden wurden. Sollte gerade der humanitäre Widerwille, blutige
Auseinandersetzungen zu riskieren, der beste Garant sein, Konflikte endlos weiter zu
führen? Immerhin hat der zweite Weltkrieg in seinen ganzen Schrecknissen, die auch die
Alliierten nicht von schweren Verstößen gegen die Menschlichkeit freizeichnen, gezeigt,
dass die "ultima ratio" sich irgendwann in ihr Recht setzt. Wer wie
Außenminister Joschka Fischer mit der "ultima ultima ratio" das vorgeblich
"klare Nein" Deutschlands zum Irak-Krieg begründet, ersetzt ein präzise
definiertes Eskalationsschema durch eine dilatorische Formel, hinter der sich die
Unsicherheit verbirgt, wann wirklich Schluss ist.
Ist nicht der Pazifismus, der redet, aber nicht
handelt, die selbstgerechteste Art des Urlaubs von der Geschichte? Der mit "heiliger
Krieg" machtpolitisch durchaus korrekt übersetzte "Dschihad", den auch
Saddam Hussein für sich reklamiert, demonstriert etwa die Kompromisslosigkeit der
Gegenseite, der mit Diplomatie, Appeasement oder Containment nicht beizukommen ist.
Alteuropa hat viele gute Gründe für seine Kriegsunlust, aber diese Gründe motivieren
Fanatiker und Kriegstriebtäter wie Saddam Hussein offensichtlich nicht zur Umkehr. Wir
stoßen hier auf das Dilemma unserer eigenen Sprachlosigkeit in der Forderung nach
Frieden, die gerade denen in die Hände spielen könnte, die mit zweifelhaften Motiven den
humanen Krieg auf ihrem Banner führen. Es könnte an der Zeit sein, Kriegs- und
Nachkriegskonzepte zu entwickeln, die sich der Inhumanität der eingesetzten Mittel
bewusst sind, aber im Blick auf andere Katastrophen sich zu einer alten Menschheitsgeißel
bekennen.
Goedart Palm
|