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Helmholtz II (Building Site!)

Jahrgangstreffen war am Samstag, den 6. Mai 2006 ab 16:00 Uhr, Restaurant, Biergarten und Bistro Im Steingarten von Guericke Allee 553125 Bonn - Brüser Berg, Kontakt  E-Mail! Das Organisationsteam (Marion Eschweiler [Zander], Heinz Hentschel, Edgar Schwietzke, Wolfgang Weber und Werner Werthmann) ist unter der E-Mailadresse orgteam@hhg-bonn-abi75.de zu erreichen.

Website: http://www.hhg-bonn-abi75.de/

 

Sehr frühe Aufnahme, vermutlich Mitte der 60er Jahre, ohne Pavillon. Die Felder hinter dem Sportplatz des Gymnasiums noch unbebaut. Die 60er Jahre waren phänomenologisch betrachtet "leer", sowohl der öffentliche wie der private Raum noch nicht so vollgestopft, gadgetisiert, überinformiert. Heute kauft man ein Regal und weiß sogleich, dass man besser zwei kaufen würde, weil man im permanenten Zustand der Abundanz lebt. 

 

ABI 75

Wenn unter den Talaren der Muff von tausend Jahren herrschte, konnten auch die alten Formen, Formalitäten, das decorum etc. nicht mehr richtig sein. Eine Zeit, die sich vorgeblich politisch neu erfindet, verabschiedet alte Formen, hat aber längst noch keine neuen. Vielleicht ein Grund, warum auf der Abi-Feier 1975 keine Abiturrede von Seiten der Schüler gehalten wurde. 

 

Die nicht gehaltene (ungehaltene!) Abiturrede von 1975 - wie sie sicher nicht hätte sein können: 

As time goes by  

Von Peter V. Brinkemper  

Jg. 1956 – Abitur 1975 – Treffen 2006!

Die angeführten numerischen Angaben und ihre statistischen Implikationen bedeuten nur eins: Dieses Jahrgangstreffen hat es für alle Beteiligten wahrhaft in sich.  

Von einer Panikversammlung zu sprechen, wäre übertrieben. Aber immerhin begegnen sich im Alter schon recht fortgeschrittene Abiturientinnen und Abiturienten einer renommierten Bonner Bildungsanstalt (dem Helmholtz-Gymnasium und seiner weitgehend geschätzten Lehrerschaft).  

Einer der Zwecke dieser Veranstaltung: Man will sich rechtzeitig noch einmal jung erleben. Bevor dann in der anstehenden zweiten Jahreshälfte auch dem Rest von ihnen unwiderruflich das 50. Lebensjahr anbrechen wird. Den einen oder anderen Nachzügler ausgenommen.  

Die Standardfrage in Gruppen- und Cliquengesprächen wäre also nicht mehr: „Weißt du noch?“

Sondern:„Bist du noch?“, oder: „Bist du schon?“ Der Rest der typischen Kommunikationsfloskeln wird sich aus diesen Einstiegsmustern und dem darauf folgenden Resonanzspielraum zwischen den Einzel- oder Gruppengesprächspartnern und ihrer strategischen Fluktuation ergeben. Wir werden hinterher sehen, wie schnell und wie viel wir von dem individuellen und kollektiven Informations- und Erinnerungsgebirge durch intelligente, erbauliche und amüsante Unterhaltungsstrategien abgebaut und verflüssigt haben.  

II  

Hatte unseren Eltern Adenauer etwa keinen Rosengarten versprochen? Als Babyboom-Generation, als unschuldige Wohlstands- und Friedenskinder eines wirtschaftlich expandierenden West-Deutschlands, - am in die Eifel und die Kölner Bucht hinausträumenden Rand der niedlichen und scheinbar so überschaubaren Bonner Republik -, ließ man uns nicht davon träumen, dass wir einmal in den Strudel eines von Billiardenschulden gebeutelten Standorts Gesamtdeutschland geraten würden. Die Region Westbonn (Endenich/Duisdorf/Hardtberg/Alfter), der, wie dem ganzen Rheinland, nach nur kurzem Wiedervereinigungstaumel und schlaffer gesamteuropäischer Integrationseuphorie, nach dem Katzenjammer zum Hauptstadtwechsel, und nun im Zeitalter der sich vollendenden Globalisierung und wilder US-imperialer Anti/Terror-Politik allmählich die Luft abgeschnürt zu werden scheint. Oder doch nicht?  

Die politische Identität unserer zum Teil ansässigen, zum Teil aus allen Richtungen der Bundesrepublik rekrutierten Eltern stammt zumeist aus einer nicht mehr von der Weimarer Republik geprägten Jugend, die entweder zu jung war, um sich gegen Hitler und die Nazis politisch wehren und absetzen zu können, oder jung genug, um ihn und sein System nicht allzu bewusst zu erleben. Vielleicht waren die ersten Töne, die elf Jahre nach Kriegsende an unser Ohr gerieten, in der Tat Rock`n Roll, Reifenquietschen, Kaugummi-Geschmatze, frisch angerissene Nylons, der dröhnende Boden einer Zinkbadewanne und das Geschrei irgendwelcher neonationalistischen Fußballfans im Radio. So wuchsen wir in die zweckoptimistische Unterhaltungskultur einer Gesellschaft hinein, die Wert auf zackigen wirtschaftlichen und sportlichen Wiederaufbau legte, bis sich ein allgemeiner Trend zum linken Denken über das konservative Fundament zu legen schien.  

Den Übergang von der auditiven Welt, Mutterohr und Vaterstimme, Transistorradio und Stereophonie, bis zur öffentlich-rechtlichen Fernsehwelt der 60er und 70er mit der Illusion eines stabilen, dann auch farbig-olympischen Fensters zur Welt haben wir relativ reibungslos, in einigen Familien opulenter, in anderen spartanischer, insgesamt jedoch fast nebenbei vollzogen, ohne zu ahnen, was noch folgen sollte. Dabei war die Revolution in den Wohnzimmern vorprogrammiert. Die Bilder-, Nippes- und Bücherwand, das kollektive Esstisch- und Sitzeckenrund wurde in Richtung Monitor und Unterhaltungselektronik aufgebrochen. Es sollten immer schneller wechselnde TV-Modelle und Programme folgen, bis der Streit um Gerät an oder aus, irgendwann nur noch um die richtige Sendung, um die Fernbedienung, um die Anschaffung von Zweit- und Drittgeräten durch eine konsequente Monitorisierung der Kinderzimmer in den folgenden Jahrzehnten und Generationen „gelöst“ wurde. Während die Lehrerinnen und Lehrer uns noch an den angeblich eindeutigen Geist eines vornormierten Schriftdeutschs fesselten und uns überreichlich mit schöngeistigem, sozialem und mathematisch-naturwissenschaftlichem Fachwissen fütterten, schwelgten wir, meist brav auf den Korridoren, auf dem Schulweg und im Eiscafe, in den kunterbunten Farben und Sounds der neusten Hits, Kinofilme und TV-Serien oder Live-Sendungen, fühlten uns oft eher als Schwarze und modisch Farbige, die immer wieder Hürden überwinden mussten, um die elektronischen Stammestrommeln und psychedelischen Stimmgabeln, auch denen unseres eigenen Körpers, zu berühren. Die autistische Verkabelung der heutigen Kids(„Hä?“) war noch fern. Mofas und Kassettenrecorder waren der letzte Schrei für die persönliche Freizügigkeit oder musikalisch-erotischen Mobilität von damals.  

III  

Als Kinder der Bundesrepublik Deutschland und des westlichen „Kerneuropa“ einer mit relativem Frieden und ziemlicher Demokratie gesegneten Zeit waren wir ein eigentümlicher Jahrgang.  

Nur, was für einer? Waren und sind wir überhaupt ein klares Kollektiv? Tragen wir ansatzweise Züge einer typischen oder typologisierbaren Kollektivität? Bis auf einige ältere oder sich reifer fühlende Einsprengsel, sind wir keine echten 68er, sondern Nachzügler zwischen den konservativen und progressiven, rechten und linken Fronten, geben wir es zu, kleine Opportunisten eines schönen, freieren und besseren Lebens, Verbraucher einer medienvermittelten Hippie-oder-Rocker-Romantik mit vorlautem oder diskussionssüchtigem Verhalten, damals langer Mähne, notorischem Parka über der Blue Jeans, hier und da einer Portion politischem Protest, einem Stück hart erarbeiteten Emanzipation und Rollenwandel, nicht nur beim weiblichen Geschlecht. Aber in unserem Patchwork schließen wir bürgerliche Werte, wie Karriere (zwischen Engagement und Konformismus, Forschung und Routine, freier Berufsausübung und letzter Beamtenbesoldung), Beziehung, Ehe, Familie, ordentliche Scheidung, aber auch postbourgeoise Werte wie strategische Lebensabschnittsplanung mit latenter oder manifester Vielpartnerei und Vielkinderei nicht so völlig aus. Die spießige elterliche Durchhalteparole (in konkurrierenden Beamten-, Angestellten-, Soldaten-, Bauern- und Handwerker-Haushalten): „Du - sollst es einmal oder sogar noch besser haben als wir“, wurde „irgendwie“ vom schulischen Imperativ „Selbstbestimmung in sozialer Verantwortung“, sowie der konsolidierten „Kurswahl“ unter nervöser Leitung durch das ehrgeizige Lehrpersonal, das den partiell sozioökonomisch einflussreichen Elternpersönlichkeiten in ihrem verbindlichen Normenkanon entgegen zu kommen schien, noch verstärkt. Überlagert und verzerrt wurde das Leistungskonzert von den schrillen und hysterischen Botschaften des zeitgenössischen deutschen und englischen Pop, Stadion-Elefanten-Rock, des Science-Fiction und Rest-Bildungsbürgertums sowie einer ausufernden, noch nicht vom Internet gebündelten, pseudogemütlichen Bonner Experto-, Büro- und Soldatokratie, in der der linke Schwung anderer Regionen Nordrhein-Westfalens, der Schimanski-Welt, fast widerstandslos ausgebremst zu werden schien.  

Wer stellte schon ernsthaft im lauten Gedudel der illusionären westdeutschen Bastion die entscheidende Frage, ob das einzelne Individuum dieses Jahrgangs mit kognitiver, sozialer und emotionaler Intelligenz hinreichend ausgestattet war bzw. ausgerüstet wurde, um all die widersprüchlichen Ansprüche für sich und die seinen umzusetzen, ohne bei Misserfolg und Versagen die Schuld „auf die Gesellschaft und Verhältnisse“, wie gelernt, zu verschieben?  

IV  

Unser prominenter späterer Analytiker, Reinhard Mohr, hat unseren Jahrgang als „Zaungäste“ bezeichnet. Nach dieser Metapher wären wir also als eine fast wirkungslose Zwischenschicht in der Baumrinde, die von den gesellschaftlich „prägenderen“ Generationen, den politisch aufgewühlten, machtbewussten 68ern und den karrierewütigen neoliberalen 80er Yuppies verdrängt oder fast aufgerieben worden sei. Über die langfristige Gültigkeit dieser These wage ich nicht zu urteilen. Und vielleicht wird uns hier unser Treffen, als eine Form der Revision, eines besseren belehren. Die andauernde Publizität, aber auch ewige Selbstzerfleischung der konkurrierenden Jahrgänge ist noch kein Zeichen echter Nachhaltigkeit. Heute können sich die 56er und die Nachbarjahrgänge mit ihren jüngeren Geschwistern, der Generation Golf vergleichen, oder sich über die Multikulti-„Kinder“, der Generation Mobile und i-Pod wundern.  

Wir waren Kinder und Jugendliche in Wartestellung. Im gesamtgesellschaftlichen, politischen, kulturellen und ideologischen Gerangel der Republik um die richtigen Orientierungen und Werte waren wir verwirrt, aber auch misstrauisch genug, um dem Wohlstands-Szenario und seinen Aussteiger-Alternativen nicht völlig auf den Leim zu gehen. In einer Vielzahl von Fällen haben wir unsere Jugend maximal zu verlängert, die Jugend als Luxus-Artikel und Konsum-Dauergut genossen, als ein weiter hinaus gestrecktes Stadium und Studium mitten in einer langsam verebbenden Wohlstandsgesellschaft. In diesem psychosozialen Stretching nach allen Seiten liegt, wie ich meine, eine unserer besonderen Lebens- und Überlebenskünste. Gerade auch dort, wo der Ernst des Liebes-, Ehe-, Trennungs-, Scheidungs-, Alltags- und Verdienstlebens längst angebrochen war. Wir waren auch da noch Behütete, wo wir uns selbst vor den alten Torheiten, Risiken und Katastrophen des zu frühen Erwachsenseins schützten. So vorm leidigen Effi-Briest-Syndrom (Mutter verschachert Tochter an Exgeliebten, die sich genauso zu langweilen beginnt, bis das Unheil in einer auch langweiligen, aber preußisch zuende geführten Affäre naht). Ist Bonn Effi, die jetzt in Berlin zuende duelliert, verschrödert und vermerkelt wird? Dafür begingen wir scheinbar neue individuelle und kollektive Verrücktheiten, die sich gelegentlich als die alten herausstellten. Wir wollten einen neuen Zyklus im Serienbau der Generationen. Und wir gerieten in das Splitting neuer und alter Lebensschleifen, in die wir Zeit und Geld investieren mussten, um in sie einzutauchen und wieder aus ihnen herauszufinden.  

Wir haben uns weder von den sogenannten „konservativen, rechten“, noch den „progressiven, linken“ „Parolen“ eingemeinden lassen. Wir sind, wider unseren eigenen oder wohlmeinenden fremden Willen, der alten Familien- und Sippenwelt entronnen, ohne ins eintönige Medien- und Dienstleistungsuniversum der heutigen Erlebnisgesellschaft zu fallen. Wir haben, wenn uns etwas verbinden mag, den Weg eigenwilliger Hedonisten, Idealisten oder Pragmatiker in individuell recht unterschiedlicher Art und Weise beschritten. Dass dabei Professoren, Doktores, Baulöwen, Unternehmer, Businessleute, Ärzte, Anwälte, Kommandanten, Pädagogen, Künstler, Dienstleister, WeitEntfernte, SehrSehrNahe, Supermütter, Superväter, zauberhafte kinderlose Pärchen, interessante Singles und andere ungewöhnliche Existenzen mehr, viele mit gezackten Lebenslinien, herausgekommen sind, steht dazu nicht im Widerspruch. Einige von uns vermissen wir heute, wenige schmerzlich, weil unwiderruflich.  

V  

Wie lange werden wir noch optimistische Jugendliche im Sinne der 56er bleiben? Keine Frage von Panik, oder? Eine gewisse Abgeklärtheit steht im Widerspruch zu wider anbrechenden, erneuten Erwartungen… Ist das die ewige Wiederkehr oder eine offene Spirale? Im Zeitalter des Posthistoire werden Abiturjubiläen immer weniger Gedenkfeiern sondern Jugendlichkeits-Simulationen darstellen. Die Kunst des Erinnerns tritt an gegen die Technik des Verdrängens, doch wofür soll man sich nun entscheiden?  

VI  

Warum treffen wir uns erst 2006, und nicht schon 2005? Ist Kommunikation noch ein echtes Erleben, oder nur noch eine Frage der Termin-Ökonomie im Zeitalter des endgültigen Erwachsenwerdens? „Alles klar auf der Andrea Doria“ intonierte das Panikorchester, als wir aus dem Pforten der Schule stürmten, in dem irrigen Glauben: „Ice Cream, Ice Cream, Everybody wants Ice Cream.“ In diesem Sinne, viel Spaß und Merci. Vielleicht sehen und sprechen wir uns demnächst mal öfters.  

Peter V. Brinkemper  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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