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Notizen, will sagen
Blogs -
Goedart Palm
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"Ich
bin verliebt in die Liebe/sie ist o.k. für mich ... ich bin verliebt in die
Liebe
und vielleicht auch in dich", so Schlagersänger Chris Roberts.
Nimmt man das philosophisch, in diesem Fall etwa mit Christian Wolff
möglichkeitswissenschaftlich, will der Sänger sagen: Ich akzeptiere die Liebe
als einen Welterschließungsmodus, aber daneben gibt es noch andere
Weltbezüge, die ich auch wählen könnte. Die Liebe ist zwar o.k., aber
es gibt wohl Dinge, die mindestens der Liebe ebenbürtig, wenn nicht
wichtiger sind. Das geliebte Objekt verschwindet völlig, es wird
vielleicht auch geliebt, aber das ist schon unwichtig, wenn der deutsche
Schlager so autologisch wie hier wird. Und da sage noch einer, das wäre
flach... |
Einer sagt:
Bedauerlich, dass ich kein Diktator
geworden bin, nicht so sehr für die Beherrschten, als doch für
mich. |
Spiegel
online, 18.08.2006: "Es ist eine empfindliche Niederlage
für US-Präsident Bush, die politischen Folgen sind völlig offen. Zum
ersten Mal hat ein Gericht das umstrittene Abhörprogramm der US-Regierung
für illegal erklärt." Solche Nachrichten, nicht zuletzt über die
Praktiken der Bush-Regierung liest man häufiger. Doch was früher
Rücktritte von Staatsoberhäuptern ausgelöst hätte, wird heute nur als
Niederlage, Schlappe etc. bezeichnet. Der gescholtene Staat zieht
kurzfristig den Schwanz ein und macht dann ähnlich weiter wie zuvor. Das
ist ein Verfall staatlicher Moral, der strukturell übersetzt lautet:
Sicher sind wir unsaubere Gesellen, aber ihr wisst doch, dass unsere
Nachfolger grosso modo genau so handeln. Warum also eine moralische
Inszenierung in der Öffentlichkeit, wenn die Verhältnisse doch gleich
bleiben? |
Draw
a distinction! Aber sind wir nicht oft froh, genau keine
Unterscheidung machen zu müssen? |
Ich misstraue
allen Aphoristikern, die "auf Teufel komm
raus", originell sein wollen. Denn meistens kommt der
Teufel dann wirklich, allerdings anders, als man denkt - respektive
schreibe. Dass die Sprache denkt, ist bekannt, aber es ist dann schamlos,
wenn man sich ausschließlich darauf verlässt. |
Geschichte
des Handicaps. Alexander Aljechin gegen Max Euwe. Aljechin ist
Alkoholiker und das als Schachmeister. Django Reinhardt hat eine schwer
verletzte Griffhand – als Gitarrist! Sind Handicaps besonders stark
motivierende Faktoren, bei glücklichen Voraussetzungen im Übrigen? |
Wie also
unterscheiden zwischen Moral und ihrer
Inszenierung? Die Ästhetik dieser Moral entscheidet über
ihren Erfolg. |
Das Merkmal „Großer
Film“ ist a priori verdächtig. Denn es suggeriert jene
Geschlossenheit einer übertragbaren Erzählung, die der Film, dieses mixtum
compositum, nie wirklich besitzt. Jeder Film ist eine mehr oder
minder gelungene Sammlung von Ausschnitten, deren Klitterung dann als
sinnfällig beschrieben wird. „Casablanca“ war
eine solche Klitterung, deren Macher diesen Erfolg nicht für möglich
gehalten haben. (14.08.2006) |
Das Buch
hat viel mehr Ideen „transportiert“ als der Film. Aber lässt sich
deshalb schon auf seine größere Wirkungsmächtigkeit schließen? Hier
haben konservative Kulturkritiker wie Neil Postman, so ahnungslos sie im
übrigen oft erscheinen, Recht. Atmosphären, Haltungen, Stile, die
vorinszeniert werden, sind Weisen der Welterschließung, die nicht gering
zu schätzen sind. Kommt nicht die Idee als späte Rechtfertigung, wenn
sie denn überhaupt kommt, erst hinterher? |
Einzelmedien
lösen nicht mehr die Euphorie aus, die früher ihr Erscheinen begleitete.
So wurde das Kino als Universalmedium, das es per definitionem nie war,
heftig begrüßt. |
Aphoristikern
verzeiht man regelmäßig nicht, dass sie schlecht auf einen Leisten zu
scheren sind. Nietzsche entging diesem
Schicksal, weil er mit dem Hammer philosophierte, d.h. laut und repetitiv
formulierte. Die Chance, seine zentralen Ideen zu übersehen, besteht
nicht. Bei Lichtenberg, viel gelobt und eher schlecht bis gar nicht
rezipiert, sieht das ganz anders aus. Hier gibt es kein Stichwort, kein
Leitmotiv, keinen philosophischen Begriff, der leicht assoziierbar wäre.
Also gerät man selbst als deutscher Klassiker in die Kategorie
„Sonderling“. (14.08.2006) |
Die Technikgeschichte
der letzten Jahrzehnte wird mit erheblich weniger Aufmerksamkeit begleitet
werden, als jenen Erfindungen der Menschheit (Telefon, Glühbirne, Auto
etc.) zuteil wurde, die allesamt kopernikanisch waren und ein Format
besaßen, das sie paradigmatisch machte. Heute fassen wir das alles unter
"Schneller, Größer, Besser" zusammen. Die phänomenologische
Griffigkeit gibt es längst nicht mehr und das erledigt die Historie
dieser Entwicklungen gleich mit. Geschichtsschreibung ohne Anschauung
funktioniert schlecht. Selbst die Ideengeschichte macht im Prinzip nichts
anderes, als Ideen so griffig zu beschreiben, dass sie gleichsam Dinge
werden. Die Reifikation wird damit ohnehin zum größten Einwand gegen die
Philosophie, den vor allem Kierkegaard mit Macht aufgegriffen hat. (12.08.2006) |
Doping
ist die Seele des modernen Sports. |
Günter
Grass war Mitglied der Waffen-SS -
immerhin auch ein Fingerzeig für jene Großsprecher, die immerfort ihre
hypothetische Vergangenheit im deutschen Widerstand verorten, wenn es
nichts mehr kostet. An den eigenen Maßstäben gemessen, dürfte G.G.
seine Integrität als moralische Überfigur der Bundesrepublik Deutschland
damit eingebüsst haben. Hätte er sich seit seinem ersten Erscheinen in
dieser deutschen Öffentlichkeit geoutet, wäre seine Karriere wohl sehr
viel bescheidener ausgefallen. Aber vielleicht sind seine moralischen
Positionen ja auch nie wirklich so wichtig gewesen. Hierzulande wird doch
ohnehin regelmäßig moralische Prätention mit Moral verwechselt. Jene,
die also zur Moralinstitution werden, werden für ihre Inszenierung
belohnt und müssen gerade nicht zahlen, was allein ein Beleg für die
Authentizität dieser Moral wäre. An seinen eigenen Maßstäben
gemessen ist der Vorgang, auch wenn es sich um eine freiwillige
Enthüllung handelt, katastrophal. Hinzu tritt - vollends peinlich - die
Inszenierung der Enthüllung als Auftakt für den - wie immer -
intendierten Beststeller. Dieses Buch wünschen wir erst gar nicht mehr zu
lesen. Beim Häuten der Zwiebel bleibt eben kein Kern. Doch das wussten
wir bereits vorher, auch dafür brauchen wir keinen Günter Grass. Hätte
man Grass zuvor nicht ernster genommen, als er es verdient, wäre jetzt
auch kein Geschrei zu hören. Das alte Dilemma der bundesrepublikanischen
Moral: Erst sakrosankte Positionen einnehmen und sich dann wie Kinder
daran erfreuen, dass sie wie Sandburgen einstürzen. Grass hat dieses
Moralspiel immer besonders gut beherrscht, insofern kann seine
Verwunderung über die jetzige Demontage so groß nicht sein. Er war gegen
die Wiedervereinigung als Strafe für Auschwitz. Wer auf dieser Ebene
argumentiert, kann sie dann nicht wirklich mit dem billigen Hinweis
verlassen, da wäre noch was, was einen bedrückt.
Die Demontage ist nur von ephemerer Bedeutung, eine Art Schattierung,
die dem Grafiker Grass geläufig sein dürfte. Dem Vorgang haftet etwas
Unsägliches an, das hinter dem moralisch-öffentlichen Klippklapp-Schema
verschwindet. Die Moral aus dieser Geschichte? Die moralischen
Unterschiede zwischen Menschen sind geringer, als es die sakrosankten
Moralen und ihre Vertreter wollen. In Deutschland täte man gut daran, das
verlogene Pathos aus der Betrachtung des Menschengeschlechts zu
ziehen.
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"Eine
kurze Geschichte"... Dieser Titel wird inzwischen auf
zahlreiche Publikationen "gepappt", als sei bereits das eine
Empfehlung. Soll wohl heißen: Hier werdet ihr schnell schlau, alles wurde
vorgekaut, damit ihr noch mehr Zeit für die Lektüre "so kurzer
Geschichten" habt. Wer wagt es jetzt noch, lange, quälende
Geschichten schreiben, solche Geschichten, die "das Leben" nur
in der Langfassung bietet? Wann zerstören diese Zeitraffer-Narrationen
die Erzählung selbst |
Der
öffentliche Diskurs wird maßgeblich dadurch verzerrt, dass Popularität
beliebig sachfremd eingesetzt werden kann. Die Währung
"Aufmerksamkeit" ist mithin ähnlich abstrakt wie
Geld. Im öffentlichen Diskurs kann Kompetenz daher fast beliebig
konvertiert werden, vulgo: Jeder Promi schwafelt, was er will, ohne dass
Warnhinweise auf der Packung gesetzlich vorgeschrieben
wären. |
"Team
Ausländer- und Asylwesen" nennt sich eine Ordnungs- bzw.
Polizeibehörde in Deutschland. Sprachverwirrung. Der unselige Hang zu
Euphemismen, die sich immer mehr verbreiten, ist in Wirklichkeit das
politisch Unkorrekte. Man stelle sich einmal die Formulierung vor: Team
Barbarossa. |
Enrichez
vous! ('Bereichert euch!'). Leichter lässt
sich böses Blut nicht erzeugen. Doch steckt das nicht in den ganzen
Illusionen, die unablässig von Medien alle Tage produziert werden. |
Hellmuth
Karasek, Mein Kino. Die 100 schönsten Filme: Ein Blick
auf die aufgelisteten Filme und schon weiß ich, dass mich dieses
Filmverständnis nicht interessiert. Und dann noch dieser Satz: "Da
ich mich mit dem PC nicht anfreunden konnte, bin ich zum Füller zurückgekehrt,
und alle meine Bücher seit "Billy Wilder" über "Mein
Kino", "Go West", "hand in handy" und "Das
Magazin" sowie alle meine Zeitungsartikel seit über 12 Jahren sind
mit der Hand geschrieben – gewiss auch ein Privileg." Diese Art von
Prätention, die sich mit regressivem Medienumgang brüstet, interessiert
mich noch weniger. Komplettiert wird dieser Eindruck durch die
Fernsehauftritte, die selten einmal von Bescheidenheit durchzittert
werden. Dann wird er schon mal ansatzweise sympathisch. |
Ein Parteienforscher
verkündet, die Politik "hätte frisches Blut dringend nötig"
(06.08.2006). Ein merkwürdiges Verständnis eines Bereichs, der doch
längst durch seine Zwänge belegt hat, dass er nicht geformt wird,
sondern formt, unhintergehbar...(Ausführen). |
Bestsellerlisten
ernst nehmen: So weiß man meistens, was man nicht lesen sollte. Es ist
doch völlig grotesk, ein Buch zu lesen, weil es gerade geschrieben wurde
und die Feuilletons aktuell sein wollen in einem Bereich, in dem
Aktualität regelmäßig bedeutungslos ist. Nicht anders die Unart,
Geburts- und Sterbetage von Verblichenen für den maßgeblichen Umstand
ihrer verkrampften Aktualisierung zu halten. |
Wo einen der Manierismus
hinführt, wird bei dem Zeichner und Grafiker Michael
Mathias Prechtl deutlich. Wahrnehmungen der Bilder werden nicht
mehr über Technik, Struktur, Faktur der Bilder möglich, weil hier keine
Überraschungen gewährt werden. Stattdessen geht es um die "Idea-Kunst",
wie es Gustav René Hocke nannte. Ist
es so, kann man der Technik auch ganz entraten und das Montage-Prinzip
technisch einfacher bewerkstelligen. Typisch für diese Umstellung z.B. Martin
Schwarz. Digitale Bildmontagen sind unendlich weniger qualvoll
als Collagen a la Max Ernst oder Max Walter Svanberg zu produzieren.
Manierismus ist in fast allen Fällen die Abwesenheit von "peinture"
und Struktur. (05.08.2006) |
Bei den Gedanken eines lesenden
Arbeiters geht es um den politischen
Gebrauch der Metonymie. |
Monismus
oder Dualismus? Die Frage beantwortet sich von selbst, denn
jeder Dualismus geht von einem Zusammenwirken respektive Antagonismus
zweier Kräfte aus. Man kann sich mithin keine Weltkonstruktion
vorstellen, die völlig unabhängige Kräfte nebeneinander zulässt.
Bereits wenn ich "Welt" sage, entscheide ich mich für den
Monismus. |
Was abstrakte Malerei ist,
wird erst mit dem Computer klar. |
Es ist eigenartig, dass
man glaubt die Sachverhalte, die einen weinen lassen würden, vorab
einschätzen zu können. Spricht das nicht für eine Berechnung des
Gefühls? (04.08.2006) |
Verbindungsgebrüll
"Es erscheint, dass Ihr Konto von einem nicht
bevollmächtigten Dritten zugegriffen wurde. Um Ihr Konto vor weiterem
nicht bevollmächtigtem Gebrauch zu schützen, haben wir Ihr Konto davon
vorläufig eingeschränkt, Email durch zu senden, stellen Verkäufer eine
Frage oder Setzen Sich mit E-Bay Mitglied In Verbindung, verzeichnend und
sich auf Einzelheiten bemühend. Zusätzlich kann die Email-Adresse
Ihretwegen herumhantiert worden sein, der ist, warum Sie ein Email über
jede nicht bevollmächtigte Tätigkeit nicht erhalten haben können. Wir
haben Schritte unternommen, um Ihr E-Bay-Konto zu sichern.
Um Kontrolle Ihres Kontos wiederzugewinnen, klicken
Sie bitte auf das Verbindungsgebrüll."
Der Originaltext eines Zeitgenossen, der mit seiner
fröhlichen E-Mail an meine Kontoverbindung heran will. Gleichzeitig
verschickt er dieses "Verbindungsgebrüll" an Dutzende anderer
E-Mail Adressen, ohne das zu verdecken. Sein Deutsch hat er in der
Lotterie von babelfish etc. gewonnen. Dieser Mensch will täuschen und ist
doch der Ehrlichste, den man sich denken kann. Oder ist es ein Satiriker?
Betrüger jedenfalls stelle ich mir anders vor. |
Eine
Bäckerei-Verkäuferin ist so hilflos, kann nicht rechnen, fragt nach, ist
bei jedem Kaufakt überfordert, die Frau ist kurz davor, invalid zu sein.
Inzwischen bin ich nicht mehr nervös, wenn ich ihre Anstrengungen
sehe. Es muss furchtbar sein, gerade so hilflos zu sein, dass der
Zeitpunkt der "Ausmusterung" noch nicht abzusehen ist, aber das
factum brutum kaum mehr verdrängt werden kann (13.07.2006). |
http://youtube.com/watch?v=qK4AonfnFaM&search=macbook
http://youtube.com/watch?v=knOKowQCFTY&search=macbook
http://youtube.com/watch?v=18Dln4hY8N4&search=macbook
Pure horror, living in a world where people fight each
other with the desastrous macsabers, I
prefer more rural weapons... |
Zinédine
Zidane wird von dem italienischen Spieler Marco
Materazzi beleidigt und stößt ihm während des Finales der WM 2006 mit
dem Kopf gegen die Brust. Gleichwohl wird Zidaner kurz darauf zum Spieler
des Turniers gekürt. Doch schon taucht die Frage auf, ob es Regeln gibt,
um ihm diese Auszeichnung wieder abzuerkennen. Oder sollten die Italiener
den Titel verlieren, weil sie ihn mit unfairen Mitteln, etwa auf Grund von
rassistischen Äußerungen gegen den französischen Superstar erlangt
haben. Was hat Materazzi gesagt? Rotzige oder rassistische Bemerkungen
über die Mutter und Schwester des französischen Spielers? Doch es gibt
noch erheblich mehr Fragen. Könnte die Feststellung der Tat durch den
Videobeweis ein eigener Regelverstoß sein, der wiederum die rote Karte
des vom Platz gestellten Zidanes unzulässig macht und schließlich das
Spielergebnis anfechtbar macht? Der Schiedsrichter leugnet auf diese Hilfe
zurückgegriffen zu haben. Nicht nur die Auseinandersetzungen auf dem
Platz, auch die Regeln, ihre Auslegung etc. werden in unseren
Gesellschaften hybrid. Es gibt weder eine einfache Regel noch gar eine
einfache Wahrheit. Es gibt lediglich diesen oder jenen Diskurs, ein
vorläufiges Urteil oder eine letztgültige Entscheidung, die aber auf
ewig angezweifelt werden darf. Die Befriedungsfunktion des Rechts löst
sich nicht nur hier auf. Schließlich ist das Recht so angefressen, dass
seine ganze Endlichkeit nicht mehr zu verbergen ist. |
"Ziel
führend/zielführend" - wer diese elendigste aller
kürzlich aufgetauchten Phrasen ersonnen hat, möge bis an das Ende seiner
Tage gepeinigt werden, weil alles andere nicht zielführend wäre. |
Ein
altes Thema: Die Herrschaft der Intellektuellen,
vormals Priester, Mandarine etc. Das funktionierte zuvor nicht so, wie es
sich die Mandarine erwünscht hatten, denn was direkt und unmittelbar
wirken sollte, ging auf verschlungenen Wegen, bevor es die Macht
affizierte. Oft genug waren die Urheber der Ideen nicht die Fruktifikanten.
Heute sind viele Intellektuelle in
Unternehmensberatungen zu finden. Das ist eine unanstrengende Tätigkeit
mit hohem prognostischen Unfug-Faktor. Rhetorik spielt eine herausragende
Rolle, wenn das Nichtverstehen der Zukunft, das spätestens seit David Hume klar
sein dürfte, eskamotiert wird. Diese Intellektuellen-Herrschaft ist aber
schon im Anspruch armselig gegenüber jener, die dem König verriet, wo
die Geschichte hin will (Simonides/Hieron). Der Vorteil der spätmodernen
Intellektuellen-Herrschaft liegt auf der Hand: Die Gefahr von
Enthauptungen ist relativ gering und die Zahlungsmoral der Herrschaft wird
durch Verträge verbessert. |
Nach Henryk
Elzenberg fällt die folgende Unterscheidung nicht leicht: „Die
Romantik ist bekanntlich das Nichteinverstandensein mit der Wirklichkeit,
die Klassik das Einverstandensein.“ Beide
Zustände vermischen sich fortwährend, das ist, im Paradox gesprochen,
das Einverstandensein mit der Welt. Diese Welt will den Widerspruch, wir
spielen also mit, wenn wir ihr widersprechen. Cioran, Celine, Schopenhauer
sind allesamt
"Mitmacher". |
Rudi Carrell
ist tot (Anfang Juli 2006). Es gibt nicht wenige Zeitgenossen, die einen
ständig begleiten, ohne dass man sie je sucht. Diese virtuellen Nachbarn des
TV, die wir oft besser als unseren realen Nachbarn kennen. Kommentiert
hat Carrell sein nahendes Ende "Ich werde noch lange als Wiederholung
weiterleben". So wird eine Existenz endgültig in das Fernsehen überführt.
Letztlich interessieren wir uns nicht für die Privatpersonen, wie es uns
boring
Homestories ständig vorgaukeln, sondern für den Medientypen. |
Erstaunlich, dass alle von
Informationsgesellschaft reden und die Machtentwicklungen nur ahnen.
Google konnte sich im Windschatten der Machtkämpfe entwickeln, weil
selbst die Herren des Wissens längst keinen zureichenden Begriff von
dieser Macht haben und auch die "gute alte" Ideologiekritik mit
dem Phänomen nicht fertig wird. |
Patriotismus
ist immer sprachlos. Noch allgemeiner: Gefühle schießen über die
Sprache hinaus. Das allein ist die Empfindung ihrer Größe. Sprachlose
Menschen haben einen Vorteil, wenn sie dazu ansetzen, Patrioten zu
werden. |
Ist „Sein“ leichter zu
denken als „Nichtsein“? Die
Frage ist müßig, weil weder das Nichtsein noch das
Sein je zu denken wären.
Man kann das ausprobieren: Stellt man sich das „Nichts“ vor bzw.
genauer einen Zustand, in dem nichts gewesen ist und nichts sein wird,
wird jede Vorstellung von der Einblendung des Beobachters respektive der
Beobachtung durchbrochen. Deswegen ist Heideggers Seinsphilosophie, die
sich ja nach der Selbstaussage des Philosophen in den Seinsmeditationen
der Zen-Buddhisten wiederfand, dubios. Gerade wenn das Denken das Sein
nicht erreicht, hat das Denken seinen Anspruch verloren. Dass das Denken
sich selbst in schwebenden Zuständen nicht kontrolliert, ist seine
produktive Kraft, die aber vergeht, wenn solche Zustände konserviert
werden sollen. Es ist also doch so, dass die Dynamik, wie es die älteste
Medienkritik will, im Text verloren geht. |
Es ist schwer, die Paraphrase
von einem Diebstahl zu unterscheiden. Sollten wir die Unterscheidung
aufgeben? |
Bücher zum zweiten Mal
kaufen, ein Zeichen für Gedächtnisverluste. |
Henryk Elzenberg
erkannte
in Aphorismen eine irrationale Form des Denkens. In der Tat werden nicht
nur Gedankensprünge gemacht, die sich logisch rekonstruieren ließen,
sondern das Paradox bleibt oftmals Paradox. |
Trotz permanenter
Unpünktlichkeit rückhaltlos akzeptiert zu werden, ist ein
infantiler Gestus, auf denen zu viele Zeitgenossen nicht verzichten
können. |
Die Welt
der Zeichen ist sehr entspannt gegenüber der Welt der Dinge.
Die Manipulation von Zeichen ist fast eine pastorale Tätigkeit. |
Über ein Wortspiel
nachdenken: Gewissen, Ungewissen, Gewiss, Ungewisse. Stephen Fry (Paperweight)
erzählt über einen von ihm geschaffenen Palindrom-Wettbewerbs. Eine Menge
Sprüche jenseits von Schopenhauers "Ein Neger mit Gazelle zagt im
Regen nie" wurden da zusammengetragen. Aber was ist ein Palindrom?
Eine zufällige Verknüpfung von Noch-gerade-Sinn und Umdreh-Ästhetik?
Letztlich ist das Palindrom nur eine Sprachfigur, die sich an der
Zufälligkeit von Sinn erfreut, so wie man Gesichter in den Wolken
sieht. |
Wer sich langweilt, muss
beginnen, sich andere Geschichten zu erzählen. Just an dem Punkt, wo du
weißt, wie es weiter geht, musst du dich unterbrechen und dich auf das
Ungewisse einlassen. |
Es wäre noch zu prüfen,
ob es transethnische Logiken gibt.
Sicher geht es dabei nicht um einfache Schlussverfahren, sondern um
Logiken, die anders mit Gott, Fatum und Wahrscheinlichkeit umgehen. |
Die Deutschen tun sich
nicht nur zusammen, um einen Witz zu verstehen, wie ein französischer
Moralist bemerkte, die Deutschen verteidigen sich auch kollektiv gegen Texte,
die sie nicht verstehen wollen. Wenn mir irgendwas besonders
auf die Nerven geht, dann die larmoyante Solidarität von Schlechtlesern,
sie hätten das kollektiv nicht verstanden, als wäre die
Nichtverstehensgemeinschaft eine
Rechtfertigung ihrer Hilflosigkeit. |
Es ist leichter, durch den
Dschungel von Borneo zu kommen als die
Fahrverbindungen bestimmter Regionalverkehrsunternehmen im Internet
aufzufinden. Wenn man dann diese Herrschaften auf die Untauglichkeit ihrer
Programme und die Elendigkeit der Seitennavigation hinweist, erhält man
keine Antwort. Das passt zum Bild von hilflosen
Informationsherrschern. |
In den eigenen
Aphorismen lesen wie in fremdem Text. Wer schrieb mit diesem
Motiv? Es ist höchst produktiv, eigene Texte wie fremde zu behandeln. Wer
viel Zeit hat, kann sich sehr fremd werden. (04.07.2006) |
Nihil
est in intellectu, quod non fuerit in sensu, diese
Grundüberzeugung des Empirismus, Urheber des Satzes dürfte wohl John
Locke sein, ist ungefähr von der Qualität der Aussage: Auf meiner
Festplatte sind nur die Daten, die ich aufgespielt habe. Das
Betriebssystem spielt in dieser empiristischen Aussage keine Rolle.
Wer weiß, wie schnell Kinder lernen und wie schwer es
mitunter Erwachsenen fällt, kann die Tabula-rasa-Theorie mit
anschließender Verknüpfung von Sinnesdaten nicht ernsthaft vertreten.
Der Empirismus ist eine sehr unvollkommene Sicht der Dinge, weil er selbst
sich zu wenig von der Erfahrung leiten lässt, dass eben in Köpfen vieles
schwebt, was nicht zuvor in den Sinnen gewesen wäre, auch nicht als
Ableitung oder Deviation von Sinnesdaten. Helen Keller, die berühmte
Taubblinde war offensichtlich in der Lage - bei sehr reduzierter Zufuhr
von Sinnesdaten - hohe intellektuelle Leistungen zu erbringen. |
Für J.A.M. Whistler war Unschärfe
ein Zeichen von Distinktion. Der Pöfel braucht die Details, die Welt des
wahrhaft Sehenden erscheint in erlesener Unschärfe. Lässt sich
darauf eine Erkenntnistheorie gründen? Wahrheit in der Unschärfe? |
Man kann alt
sein, aber trotzdem glauben, wieder jung zu werden. Ein
mächtiger Motor für Religionen (03.07.2006). |
Fußball-WM
2006: "Wir können alle schlagen" ist der dämlichste
Spruch der WM, wer immer ihn wählt. Denn wer würde vor einem Spiel
behaupten, dass er seinen Gegner nicht schlagen könnte. Man höre den
Spruch: "Wir werden bestimmt besiegt werden." Allein die
Gedanken sind frei, auch für Fans. |
David
Hume reflektiert über die Verknüpfung von Erscheinungen im
Kausalschema Ursache/Wirkung (Enquiry Concerning Human Understanding).
Auch hier kann die Philosophie keine Angaben machen über die nicht nur
praktische, sondern lebensnotwendige Beziehung zwischen den Erscheinungen.
Das Kausalschema ist nach Hume ein Produkt des Geistes. Wenn einer mit der
Pistole auf einen anderen zielt, wäre es fatal, die hypothetische
Verknüpfung zwischen Schuss und Treffer philosophisch zurückzuweisen,
weil nicht von der Vergangenheit auf die Zukunft geschlossen werden kann.
Das sagt uns nicht nur ein vordergründiger Pragmatismus, den Hume
akzeptiert, sondern bezeichnet die Tatsache, dass die Vernunft so
funktioniert und daher die Behauptung, dieses Denken sei irrational,
selbst als irrational erscheinen lässt. Die von Hume desavouierte Vernunft ist selbst nur
eine metaphysische Idee, die nur in einer Welt funktionieren könnte, die
völlig anders konstruiert ist als die gegebene. Humes Philosophie
schneidet die Erscheinungen aus ihren Kontexten und entwirft eine
unhintergehbare Struktur als kritisches Modell der Wirklichkeit. Damit
wird diese Vernunft hypertroph. Vernunft heißt zugleich, Zweifel
zurückzustellen, so vernünftig es ist, sie zu hegen. Empirische
Aussagen kann nur die Vernunft machen wie auch nur die Vernunft in der
Lage ist, sie anzuzweifeln. Jeder Empirismus ist daher ein Rationalismus,
der sich gegen die Annahme sperrt, a priori Verknüpfungen zwischen den
Erscheinungen zuzulassen. Dieser Rationalismus Humescher Prägung ist aber
reduktionistisch und zudem ein performativer Widerspruch. Denn die
Vernunft kann sehr wohl zwischen Erscheinungen Verbindungen herstellen,
die nicht durch Erfahrung gesichert sind, so wenig das reicht die Natur
dieser Verknüpfung zu verstehen. Anders gäbe es keine Hypothesenbildung.
Gerade der wissenschaftliche Diskurs löst sich in der späten Neuzeit von
Erfahrungen und Erfahrungstatsachen, um Dinge in Beziehung zu setzen, die
in der vorgängigen Welt beziehungslos zu sein scheinen. Dahinter steht
die universale Hypothese, dass alles mit allem in Verbindung steht und
sinnliche Erfahrungsmöglichkeiten allein nicht ausreichen, um diese
Abhängigkeiten zu verstehen. |
Die
Welt ist fast alles, was Google ist, Zur Macht der
Suchmaschinen
Goedart Palm in telepolis
am 28.03.2002
"Wenn Wissen Macht ist, sind
Suchmaschinen Supermächte. Entscheidend ist nicht allein, welche
Wissensspeicher eine Gesellschaft besitzt und in welchem Umfang über sie
von Wissbegierigen verfügt werden kann, sondern letzthin bestimmt der
typische Gebrauch von Millionen Nutzern über die herrschenden Meinungen. Google ist ein
Globalisierungssieger des Netzes und was in dieser Königssuchmaschine
nicht verzeichnet ist, fristet sein Dasein eher an der Peripherie des
vernetzten Wissens. Wer sucht heute noch verstaubte Zeitungsarchive oder
Bibliotheken auf, um sich über den rasenden "Web"-Stuhl der
Zeit zu informieren? Suchmaschinen und ihre Algorithmen üben immer stärker
eine Informationsherrschaft aus, welche löblichen oder unlöblichen
Absichten dabei von den Anbietern auch immer verfolgt werden. Längst
stellt sich die Frage, ob Suchmaschinen wie Google, die de facto das
Netzwissen universalisieren, nicht demokratisiert und von repräsentativen
gesellschaftlichen Gruppen kontrolliert werden müssen."
Rund vier Jahre später hat diese Feststellung
die öffentliche Diskussion erreicht. P.S.
Lese gerade, dass in "Expedition Geschichte
Mittelschule Sachsen Klasse 7" dieser Text den Kids
präsentiert wird. |
"Termine
für Menschen mit Lebenserfahrung" ("aktiv" ,
Ausgabe 39 Juni/Juli 2006) - Das klingt nach Ausschlussverfahren. Verirrt
sich einer ohne Lebenserfahrung bei so einem Termin und versteht die Welt
nicht mehr bzw. noch nicht. Haben Sie genug Lebenserfahrung zu begreifen,
dass dieser Termin nicht für sie angesetzt wurde? Wie viel
Lebenserfahrung braucht es, um hier zu sein. Auf diesem Begriff liegen
Verständnishypotheken, die einer womöglich in seiner erfahrungsarmen
Lebenszeit gar nicht abarbeiten kann. Dabei geht es doch nur um einen
durch und durch verunglückten Euphemismus. Termine für Alte, alte Säcke
etc. klingt der Redaktion natürlich zu unlustig. "Termine" pur
wäre nicht spezifisch. Doch die Termine für Lebenserfahrene, welche
immer das sein mögen, werden dadurch nicht besser. Wer Lebenserfahrung
hat, geht vielleicht gerade nicht dorthin. Zumeist erfährt man ja mehr
über das Leben bei denen, die keine Lebenserfahrung haben, was in
volatilen Zeiten ohnehin der Standard ist. Sich mit alten Leuten zu
unterhalten kann sehr mühsam sein. Das wissen auch alte Leute, die
vielleicht solche Termine insbesondere dann meiden, wenn sie
Lebenserfahrung haben. Unsere Mini-Dekonstruktion zeigt: Stell dir vor,
keiner geht hin. |
Das berühmte Athenäums-Fragment
Nr. 116 von Friedrich Schlegel ist doch in letzter Konsequenz
eine reine Generalermächtigung der Romantik mit
einem Unbedingtheitsanspruch, der das ganze Unternehmen in Misskredit
bringt. Die ganze Manifest-Politik, die später für surrealistische,
futuristische und andere Bewegungen so signifikant wird, ist hier bereits
vorgezeichnet. Die Künste entgrenzen sich, treten mit
Absolutheitsanspruch auf, gerade in dem Moment, in dem sie sich auf ihr
eigenes System bescheiden müssen. Nebenbei bemerkt gilt, dass Schlegel
auch selbst in diesem Fragment in seinem vollen transgressiv-chaotischen
Habitus erscheint, er mithin sich selbst rechtfertigt.
"Die
romantische Poesie ist eine progressive Universalpoesie. Ihre Bestimmung
ist nicht bloß, alle getrennte Gattungen der Poesie wieder zu vereinigen,
und die Poesie mit der Philosophie und Rhetorik in Berührung zu setzen.
Sie will, und soll auch Poesie und Prosa, Genialität und Kritik,
Kunstpoesie und Naturpoesie bald mischen, bald verschmelzen, die Poesie
lebendig und gesellig, und das Leben und die Gesellschaft poetisch machen,
den Witz poetisieren, und die Formen der Kunst mit gediegnem Bildungsstoff
jeder Art anfüllen und sättigen, und durch die Schwingungen des Humors
beseelen. Sie umfasst alles, was nur poetisch ist, vom größten wieder
mehre Systeme in sich enthaltenden Systeme der Kunst, bis zu dem Seufzer,
dem Kuss, den das dichtende Kind aushaucht in kunstlosen Gesang. Sie kann
sich so in das Dargestellte verlieren, dass man glauben möchte, poetische
Individuen jeder Art zu charakterisieren, sei ihr eins und alles; und doch
gibt es noch keine Form, die dazu gemacht wäre, den Geist des Autors
vollständig auszudrücken: so dass manche Künstler, die nur auch einen
Roman schreiben wollten, von ungefähr sich selbst dargestellt haben. Nur
sie kann gleich dem Epos ein Spiegel der ganzen umgebenden Welt, ein Bild
des Zeitalters werden. Und doch kann auch sie am meisten zwischen dem
Dargestellten und dem Darstellenden, frei von allem realen und idealen
Interesse auf den Flügeln der poetischen Reflexion in der Mitte schweben,
diese Reflexion immer wieder potenzieren und wie in einer endlosen Reihe
von Spiegeln vervielfachen. Sie ist der höchsten und der allseitigsten
Bildung fähig; nicht bloß von innen heraus, sondern auch von außen
hinein; indem sie jedem, was ein Ganzes in ihren Produkten sein soll, alle
Teile ähnlich organisiert, wodurch ihr die Aussicht auf eine grenzenlos
wachsende Klassizität eröffnet wird. Die romantische Poesie ist unter
den Künsten was der Witz der Philosophie, und die Gesellschaft, Umgang,
Freundschaft und Liebe im Leben ist. Andre Dichtarten sind fertig, und können
nun vollständig zergliedert werden. Die romantische Dichtart ist noch im
Werden; ja das ist ihr eigentliches Wesen, dass sie ewig nur werden, nie
vollendet sein kann. Sie kann durch keine Theorie erschöpft werden, und
nur eine divinatorische Kritik dürfte es wagen, ihr Ideal
charakterisieren zu wollen. Sie allein ist unendlich, wie sie allein frei
ist, und das als ihr erstes Gesetz anerkennt, dass die Willkür des
Dichters kein Gesetz über sich leide. Die romantische Dichtart ist die
einzige, die mehr als Art, und gleichsam die Dichtkunst selbst ist: denn
in einem gewissen Sinn ist oder soll alle Poesie romantisch sein."
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"Gibt
es philosophische Probleme?" Fragt Karl Popper in einem
Vortrag in Cambridge kurz nach dem Krieg (25. Oktober 1946) und wird von
Wittgenstein unterbrochen, der philosophische Probleme bestreitet und sie
für sprachliche bzw. logische sowie mathematische Probleme hält. Zu der
Szene gibt es sogar ein Buch: "Wie Ludwig Wittgenstein Karl Popper
mit dem Feuerhaken drohte". Unabhängig von der mehr oder
weniger prominenten Rolle des Feuerhakens ist die Szene deshalb so
bemerkenswert, weil sie das relative Elend der Philosophie demonstriert.
Nicht einmal das winzigste Apriori darf als gesichert gelten. Philosophie
erscheint nur noch als Disziplin des (Selbst)Zweifels. Philosophie ist
also eine echte Grundlagenwissenschaft mit der Besonderheit, dass keine
Praxis sich auf diese Gründe stützen kann, auch wenn Menschen ihr
Handeln als philosophisch charakterisieren mögen. Philosophie der
Lebenskunst, Philosophische Praxis etc. |
Sixties
- es ging uns relativ gut. Das Geld stimmte, die Medien waren noch
zärtlich zu uns, man kreiste um die eigene Mitte, lebte relativ
"unverstöpselt" und hatte folglich noch Zeit. Kein Retro-Kult,
der nicht zugleich eine Erinnerung an andere Beschleunigungsweisen ist.
Nicht die verlorene Zeit, sondern die verlorenen Zeitmodelle und -modi
werden zum Sehnsuchtstoff der Erinnerung. Jene Gemächlichkeit, das
Verharren, die Meditation über ein alltägliches Nichts. |
Piglet wird verbannt
- Die türkische Regierung der Türkei hat den Zeichentrickfilm
"Winnie the Pooh" aus den Programm des Sender TRT nehmen
lassen. Grund: Das Ferkel ist im Islam ein unreines Tier. Piglet ist
ein furchtsames Tier, das im kindlichen Gefühlshaushalt einen
hervorragenden Platz einnimmt und vielleicht sogar die wichtigste
Figur im Hundert-Morgen-Wald ist. Dieses Schweinchen kann man weder in
der Anlage der Figur noch in der narrativen Form mit Schmutz
assoziieren. Aber vielleicht war ja die Welt- und Lebensangst Piglets
nur zu begründet... 17. Juni 2006 |
Märklin
- die erste Vorstellung von Präzisionsarbeit. Nun wurde das Unternehmen
verkauft. Wer gibt uns die Lokomotiven unserer Kindheit zurück?
(01.06.2005) |
Je höher der Theoriegehalt
eines Textes ist, desto autonomer ist der Autor. Es ist unvorstellbar,
dass Hegel, Fichte, Schelling das nicht bei jedem zweiten Satz
reflektierten. |
Für eine halbe Stunde
hätte er eine Ewigkeit mit ihr
zusammen bleiben können. |
Von Faller
gibt es ein "brennendes Finanzamt" als neuen Modellbausatz. Das
ist die Anarchie der Häuslebauer. Das Modell verkauft sich im Zweifel
besser als diverse andere Bausätze. Was die Steuerlast größer macht,
was zu neuen "brennenden" Bausätzen führt. Ad infinitum...
(01.06.2005) |
Gerade schrieb ein
deutsches Nachrichtenmagazin in der Online-Ausgabe, X habe "noch
einen Triumph im Ärmel". Da
dürften demnächst noch ganz andere Semantiken aus dem Ärmel
geschüttelt werden. Nicht nur die Fehler häufen sich, auch die
öffentlichen Rede werden immer ärmer. (26.05.2006) |
Vielleicht sind wir nur
die Parasiten des Internet. (23.05.2006) |
Wenn Zeichenmanipulation
das Signum der Zeit ist, werden auch Gerechtigkeit, Recht, Freiheit und
alle anderen Werte zu bloßen Wörtern. Die Praxis hinter dem Wort, seine
Faktizität, wird entwertet. Deshalb die Art der amerikanischen
Kriegführung und Gefangenenpraxis. Der Unterschied zwischen Ding und Wort wird
so relativiert, dass wir per Medien wieder in magische Zeiten
gelangen. |
Brian
Moynahan, britischer Historiker und Journalist, hat mit
"Das Jahrhundert Englands" (1997) eine großartige Geschichte
vorgelegt, die in ihrer Technik, signifikante Geschichten auf das punctum
zu treiben, nachahmungswürdig für viele Langweilerhistoriker werden
sollte. |
Das Netz ist eine Erinnerungsmaschine
und die kommunikative Relokation, die Wiederbesinnung auf alte Orte und
Milieus, hat immense Sinnstiftungskräfte. |
"Liebe
Grüße" als Grußformel mit dem "emotionalen
Sahnehäubchen" sind so anbiedernd, dass man solche Grüße gleich
zurückschicken sollte. Gruß-Potlatsch ist die wohlfeilste Form der
Freundlichkeit. |
Netzkunst:
das Spiel auf dem verlorenen Posten. Das Netz ist selbst ein
"Merzbau", Netzkunst eine Art quietschende Schublade in dieser
Architektur. |
Die Selbstbespiegelung
des Wissenschaftsbetriebs ist schon enorm langweilig, Kaffeekränzchen-Atmosphären für Sekundärdenker. Man lässt die Finger
von den heißen Eisen, weil die Frage, ob A von B beeinflusst wurde,
vergleichsweise bequem beantwortet werden kann. |
Underworld:
Mixture Matrix, Blade, Crow etc. etc. Die Ästhetik der
Überbietungen kommt an ihr Ende, so sicher Aggressionsmusik schließlich
durch Hertz- bzw. Wahrnehmungsgrenzen sich selbst erledigt. |
Reflexion
in der Malerei des 18. Jahrhunderts: Ist die Lust an den
Reflexen auf den spiegelnden Oberflächen eine Reaktion der Maler auf das
lustvoll neue Reflexionsniveau dieser Zeit? Gilt immer: Der
Erkenntnisgegenstand einer Zeit, ihr Paradigma, wird in den Künsten
formalisiert? Das ist aber kaum angemessen zu rekonstruieren, wenn man auf
einfache Zuordnungen drängt. |
Jonathan
Meese: Na ja, eklektisch, Penck, Polke, Kiefer, Nitsch etc.,
aber halt mit Lust und Schmackes produziert, so wird man berühmt und
diffundiert... Irgendwie kann man irgendwas kombinieren, so what. |
Was sind schon Souvenirs
wert, wenn auch die Museumsshops etc. online gehen? Souvenirs
funktionieren nur in unvernetzten Zeiten. Von fast keinem Ort
kann man noch etwas mitbringen, weil jeder Ort da ist. |
Neulich
schickte mir jemand Aphorismen
zu, um "etwas Frisches" etc. zu denken. Nach der
oberflächlichsten Lektüre brauchte ich dringend alte Bücher. |
In der Liebespsychologie,
zumal der romantisch affizierten, oft übersehen: Das ungeliebte Objekt
hofft auf mehr Liebe und denkt zu wenig über die Liebesfähigkeit des
anderen nach. Wie viel vergeblicher Aufwand, doch endlich noch geliebt zu
werden oder besser geliebt zu werden, wo eine Reflexion über die wahre
Schwäche des anderen die größte Hilfe wäre. Selbst wenn diese
Umkehrung der Verhältnisse falsch wäre, ist allemal vorzugswürdig so zu
denken. |
Tokio-Hotel präsentiert
eine Schrei-Tour:
Mehr gibt es doch schon nicht mehr zu sagen respektive zu schreiben
respektive zu schreien. |
Politikerin
beichtet Orgasmus-Lüge, so der Boulevard (23.03.2006). Erst
über den Orgasmus täuschen und dann über die Renten? Der Boulevard hat
es erfunden: Das Skandalon, das keines (mehr) ist. |
Blogs
sollte man "al fresco" schreiben. Ob das aber im Fall von
Unterlassungsansprüchen eine ausreichende Entschuldigung ist, darf
bezweifelt werden. |
Es gibt keine Volkserzieher.
Gäbe es sie, bestünden Zweifel gegenüber dem Anspruch westlicher
Gesellschaften, pluralistisch zu sein. Was es aber gibt: Mahner, die eben
jene Volkserzieher wie Johannes den Christus vorbereiten wollen.
Werteprediger sind lästige Leute, weil sie das Gewissen provozieren,
obwohl wir längst wissen, wie vergeblich das alles ist. |
Art Deco
war der Vorgriff auf das „totale“ Maschinenzeitalter, die Menschen
Roboter, Vasen und Regale präsentieren sich als Automaten. Kaffee- und
Teeservice werden zu extraterrestrischen Sensationen, spiegelglänzende
Mond- und Marsstationen. Das Maschinendesign mogelt sich in die
Verspieltheiten des Jugendstils ein. |
Sky du Mont
ist "Milch-Botschafter", wirbt also mit einem Glas Milch vor
blauem Himmel mit weißen Wölkchen. Er trägt einen blauen Designer-Anzug
mit weißem Hemd und die Milch leuchtet so schön, fast wie in
"Verdacht" von Hitchcock. Nun drängt sich mir der schreckliche
Verdacht auf, dass Sky trotz der weißen Wölkchen weniger Milch trinkt,
als uns hier demonstriert wird. Man stelle sich das vor: Ein Abendempfang,
Chardonnay, Prosecco....gefällig? Nein, ich trinke Milch, ein großes
Glas bitte. |
Hans Blumenberg,
Vollzähligkeit der Sterne: Das Buch ist nicht wirklich
interessant, weil es nicht mehr als eine Kommunikationsabwehr gegenüber
Außerirdischen sein will. Menschliche Kommunikations- und Kontaktversuche
dieser Art mögen gegenwärtig physikalisch betrachtet sinnlos sein, aber mindestens so
sinnlos ist es, sich Gedanken über die Köpfe der Außerirdischen zu
machen, die immer nur darauf hinauslaufen, dass kosmische
Fernkommunikationen nicht stattfinden. Blumenberg hat seine Konzeption
nicht so gepolt, dass eine Spannung zwischen Irdischem und Nichtirdischem
entstehen könnte. Vorzugswürdig sind da Science-Fiction, die die
Konstruktion des Außerirdischen nicht scheuen, so anthropomorph diese
Fiktionen auch sein mögen.
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Verdikte
Wichtiges wie Nichtiges
Notate
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Husserls Stil
hat viele wichtige Ansätze, gerade im Blick auf die Wirkungsgeschichte,
verdorben. Es wäre eine Geschichte der Autoren zu verfassen, die einen
Lektor gebraucht hätten und plötzlich wären Philosophie- und
Literaturgeschichten neu zu schreiben. Eigentlich seltsam, dass
niemand auf die Idee kommt, die Hochkultur einer schonenden Revision zu
unterziehen. So vie, was man besser machen könnte. |
Die
Klavierspielerin, Elfriede Jelinek:
Psychologisch will es nicht sein. Sadomasochistische Beziehungen
werden regelmäßig störungsfreier funktionieren. Dramatisch erzählend
will es auch nicht sein. Was findet da überhaupt statt? Der Gegenstand
ist nicht da. Es tut nicht weh, es tut eigentlich gar nichts. Das
Mutter-Liebhaber-Verhältnis der Protagonistin ist so klassisch
psychoanalytisch, während niemand ernstlich auf Heilung hofft.
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Wenn Heiner
Lauterbachs Autobiografie "Nichts ausgelassen" auf
Platz 1 der Spiegel-Beststeller-Liste steht (März 2006), verliere ich mal
wieder den Spaß an der bundesdeutschen Kulturgesellschaft, und zwar
weniger wegen Lauterbach als vielmehr im Blick auf den armseligen
Voyeurismus, der
sich am falschen Objekt vergreift und diesen Irrtum sich hinterher noch
als Kultur zertifizieren lassen will. |
Warum ich eher keine "richtigen" Blogs
schreibe: Die chronologische Sortierung von Gedanken nach dem Zeitpunkt
ihres Entstehens oder dem jeweiligen Ereignis ist so unverbindlich und
eher ein Zeichen von Faulheit, das "Material" zu organisieren.
Freilich lösen Suchfunktionen auch dieses Problem, sodass zwischen
Zettelwirtschaft und hypotaktischem Ordnungswahn zuletzt kein Unterschied
mehr besteht. |
Das Leben hat auch schöne Seiten. Niemand
kann mich zwingen, Rosenstolz oder Xavier
Naidoo zu rezensieren. Ich muss es nicht einmal
hören. |
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Die
Zukunft des Internet, Essay bei telepolis zum zehnjährigen Jubiläum |
© Goedart Palm
Ein späteuropäischer Altar: Weinbrand trifft Melissengeist
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