Informationskrieg und Zeitherrschaft
I. Einleitung
Um meine relative Zeitherrschaft kurz vor
Mittag nicht allzu sehr zu gefährden, behaupte ich folgendes: Der dritte Weltkrieg ist
längst ausgebrochen. Das zweifeln Sie sicher an. Keine Nachrichten in den Medien, keine
Raketen in der Luft, nicht mal Panzer auf den Straßen. Aber vielleicht spielt Ihre
Wahrnehmung, ob Sie sich nun auf Ihre Sinnesorgane oder die Medien verlassen schon längst
keine Rolle mehr, um diese apokalyptische Nachricht zu realisieren. Worauf wollen Sie sich
denn überhaupt noch verlassen? "Unmittelbarkeit ist Trug" meinte Dietrich
Bonhoeffer, aber gilt das nicht erst recht für medialisierte Nachrichten? Vielleicht gibt
es gar keine wahrnehmbaren Krieger mehr, vielleicht verändern sich nur hier und da einige
Codierungen in den Netzen. Zugegeben, ich könnte lügen, denn die virtuelle Bewegung
sollte doch schnell real werden: Strom- und Wasserversorgungen fallen aus, Ihre
Onlinekonten sind bereits gelöscht, die Telekommunikation kommt zum Erliegen, und zuvor
erscheint noch kurz ein Regierungschef auf dem Monitor, um Ihnen mitzuteilen, er habe
gerade kapituliert. Dann erlischt der Monitor und es wird Nacht...Wahrscheinlich lüge ich
also, aber wirklich sicher sollten Sie sich nicht fühlen. Denn sie haben gerade eine
Zeitraffer-Einführung in die Fährnisse des Informationskriegs erlebt.
Was zurzeit in den kategorialen
Weichformen militärischer Selbstreflektion als "Information Warfare",
"Netzkrieg" oder "Cyberwar" firmiert, ist die militärlogische
Überbietung alter Aufklärungs- und Desinformationsstrategien. Sie wurden seit je dem
harten Schlagabtausch vor-, nach- und beigeschaltet. Nach der Formel des "Institute
for the Advanced Study of Information Warfare" (IASIW) handelt es sich um den
offensiven und defensiven Gebrauch von Infosystemen, um die Informationen des Gegners
auszunutzen, zu täuschen, zu korrumpieren oder zu zerstören. Die
Informationskriegsgeschichte ist so alt wie der Krieg. Doch ab jetzt umkreisen Medien und
Informationen nicht nur den Krieg, sondern werden selbst als genuine Waffen in das Arsenal
integriert.
II. Kognitive Kriegführung
Dass Wissen Macht ist, ist den Militärs
spätestens seit Sun Tzu (ca. 400-320 v. Chr.) bekannt, der im vierten Jahrhundert vor
Christus die Kenntnis des Gegners und der eigenen Vernichtungspotenzen zur Voraussetzung
erklärte, um in hundert Schlachten erfolgreich zu sein. Aber dieser Binsenweisheit des
prämodernen Chinesen, die geradezu zum ständig zitierten Leitmotiv der
Infowartheoretiker wurde, werden erst jetzt Mittel zur Verfügung gestellt, um den Gegner
informatorisch zu durchdringen.
Zur Quadriga des
Informationskriegsgeschäfts wurde die Vernetzung von "Command, Control,
Communication, Computer and Intelligence" (C4I). Das Kommando soll in einem
Knotenpunkt zusammenlaufen, einer operativen Zentrale, die den Generälen nicht nur die
umfassende Schlachtfeldübersicht, sondern auch die Unmittelbarkeit des eigenen Handelns
garantiert. Als exemplarisch für das Erfolgskonzept der neuen Wahrnehmungshoheit gilt
etwa die Vernichtung des irakischen C3I-Systems während des alliierten
"Wüstensturms". Der Feind wird geblendet, sein Bewusstsein paralysiert, seine
"mind-map" durchkreuzt. Ab jetzt ist der sensorische und kognitive Apparat des
Widersachers wertvolleres Terrain als die Orte realer Feindpräsenz. Biblisch gesprochen
ist der Informationsdavid mit der Datenschleuder allemal gefährlicher als ein
blindwütiger Goliath der puren Vernichtung, wie es auch die hilflosen Luftabwehrschläge
im Kosovokrieg erwiesen haben.
III. Zeitformen des Infokriegs
1. Vom Blitzkrieg zum Wahrnehmungskrieg
Wellingtons Stoßseufzer lautete: "Ich
wollte, es würde Nacht oder die Preußen kämen". Und sie kamen - just in time. Der
Spruch belegt exemplarisch, dass Zeit von je her ein zentraler Faktor der Kriegführung
war. Die Kriegsgeschichte wird zugleich als die Historie technologischer Beschleunigung
geschrieben. Bereits von Napoleon dem klassischen Warlord und Widersacher
Wellingtons sagte der Kulturhistoriker Egon Friedell, er habe "mit der Zeit den Boden
besiegt". Napoleon formulierte sein Zeitherrschaftsideal gegenüber seinen
Unterfeldherren als Befehl: "Activité, activité, vitesse!"
Generalmajor John Woodmansee jr. begriff
den Chip als technologischen Schlüssel zur neuen Militärdoktrin. Der Chip sei das
rasante Gegenstück zum Einsatz des Benzinmotors im Blitzkrieg. Der Blitzkrieg der
Panzergeneräle, die längst nicht mehr die Front, sondern die Kommandozentralen des
Gegners suchten, erscheint indes gemächlich gegenüber der Beschleunigung digitalen
Datentransfers.
2. Wahrnehmungskrieg
Wenn die Instantaneität von Wahrnehmung,
Entscheidung und Exekution in einer logischen Sekunde zusammenfallen, dann beobachten wir
einen militärischen Paradigmenwechsel. Nicht mehr gilt von Clausewitz´ Klage,
dass man die Dinge in der Strategie nicht wie in der Taktik wenigstens zur Hälfte mit
eigenen Augen sieht. Die postklassische Generalität steht nicht länger halbgefährdet
auf dem Feldherrenhügel, sondern in sicherer Entfernung - und doch unmittelbar vor dem
Feind.
Das göttliche Auge des Siegers ist aber mehr als ein
elektro-optisches Supersensorium, es ist das satellitengestützte Auge eines Blitze
schleudernden Zeus. Die beunruhigende Beschwichtigung atomarer Androhungen hat ausgedient.
Veraltet ist der Spruch: "Wer zuerst schlägt, stirbt als Zweiter". Jetzt heißt
es in der militärischen Exterminationslogik: "First look-first shot-first
kill". Für die neuen intelligenten Waffensysteme gilt: die Sichtung des Gegners, ja
lediglich das Aufspüren feindlicher Kräfte auf dem Monitor ist bereits gleich bedeutend
mit dem Tod. Gerade in der technologisch avanciertesten Weise wird der Informationskrieg
zur Fortführung der Magie mit anderen Mitteln, geradezu zum atavistischen Hightech-Krieg.
So warfen die Höhlenmaler des Jungpaläolithikums ihre Pfeile und Speere auf Bilder, um
reale Tiere zu treffen. Sie vertrauten einer Analogmagie, die heute eben digital
effektiver auf Monitoren eingelöst wird. Dabei gilt dieser Sprung über die Jahrtausende
nicht nur für die heiße Phase der teleaktiven Vernichtung. Im Golfkrieg waren die
simulativen Kriegsspiele bereits so wirklichkeitsnah, dass die fiktiven von den realen
Berichten mit dem Etikett "Nur für Manöverzwecke" unterschieden werden mussten
- was zu der griffigen Formel führte, dass der echte Krieg nurmehr eine Fortsetzung der
Simulation mit anderen Mitteln ist.
3. Echtzeit
Im Instantaneitätsideal nachklassischer Kriege wird permanent um
eine Zeitherrschaft gerungen, die tendenziell gegen Null geht. Obzwar wir eine Nullzeit
nicht denken können, wäre die Auflösung der Zeit die endgültige Finalisierung
militärischer Logik. Bereits Jean Paul prophezeite auf Grund unausdenklicher
Mordmaschinen Stundenkriege, in denen der Krieg am Krieg umkomme, seine Vervollkommung
zugleich seine Vernichtung sei. Die Zeit der Kriege schmelze in die Kraft derselben ein.
4. Menschliche Reaktionszeiten
Echtzeit heißt gegenwärtig nichts anderes als die Gleichschaltung
der Monitore mit den realen Vorgängen. Techniker wissen indes, dass die menschlichen
Anforderungen an die Echtzeiteffekte gering sind. Die Maschine muss in den meisten Fällen
ihren Output bremsen, damit der Mensch überhaupt sehen und begreifen kann, was passiert.
Verzögerungszeiten ("delays") gelten in der technisch-militärischen
Sprachbehandlung als Totzeiten und das ist alles andere als eine metaphorische
Beschreibung. Sie trifft das Urtrauma des Kriegers, in der Zeitnotfalle vom Gegner
tödlich getroffen zu werden. Selbst wenn die Information unmittelbar erfolgt, beantwortet
das Echtzeitideal nicht die Frage nach der Reaktionszeit der Akteure, also nach der
Zeitform, die vielleicht auch im Krieg, jenseits einer ethischen Bewertung, als humanes
Zeitmanagement gelten könnte.
Es geht ja nicht nur um die absolute Zeit, eine Entscheidung zu
finden, sondern um die relative Zeit, die von politischen, militärischen,
organisatorischen, psychologischen Faktoren bestimmt und damit verzögert wird. Joseph Weizenbaum hat im führungsintensiven Bereich des Militärs die
Enteignung des Menschen aus der Entscheidungsverantwortung beobachtet. Generäle beklagen
ihre Bedeutungslosigkeit gegenüber digital berechneten Entscheidungsgrundlagen, die nur
noch den deklaratorischen Vollzug der "Entscheidung" eröffnen. Hier steckt die
Aporie einer Informationsherrschaft, die menschliche Entscheidungsautonomie der Herrschaft
der digitalen Zauberbesen zu unterwerfen, wobei diese aber auch weit entfernt davon sind,
fehlerlos zu handeln. So wurden 1994 zwei Helikopter erfolgreich von amerikanischen
Kampfflugzeugen über dem Nordirak abgeschossen. Die weniger gute Nachricht: Es handelte
sich um amerikanische Maschinen. Friendly fire! Amerikanische Militärs kommentieren das
lakonisch mit dem Hinweis auf "superhuman speeds" des Geräts, die nicht länger
mit menschlichen Geschwindigkeiten kompatibel seien.
IV. Vom heißen zum kalten Informationskrieg
Neue Waffen- und Aufklärungssysteme haben den Krieg
entkörperlicht, seine Letalität reduziert und Distanzen zwischen Freund und Feind
gelegt. Diese Entwirklichung ist nicht allein durch die Verbesserungen der Waffentechnik,
sondern auch durch den Druck einer im militärischen Sinn paradoxen Öffentlichkeit
befördert worden, die zwar den Sieg, aber nicht den Tod will. "Body counts"
verbreiten in Medien- und Wohlfahrtsgesellschaften den realen Schrecken, der über
Jahrtausende ein konkreter Wahrnehmungsgegenstand war.
Es ist eine alte Hoffnung der hinter den Armeen stehenden
Zivilgesellschaften, den Krieg in einen überschaubaren Zeitplan zu pressen, seine Kosten
gering zu halten und die sozialen sowie wirtschaftlichen Überlebensvoraussetzungen nicht
dem totalitär ausufernden Konflikt zu opfern.
In den menschenfreundlichen Spekulationen
zukünftiger Simulationskriege, wie etwa dem sog. "Gibson-warfare", werden die
Kämpfe nur noch Computern oder virtuellen Gegnern anvertraut, deren Ergebnis von den
Parteien als legitim anzuerkennen wäre. Der Krieg war - von einigen
Operettenscharmützeln abgesehen - zumeist aber keineswegs nur ein legalistischer
Wettbewerb, er beinhaltete die destruktive Kraft seiner eigenen Vollstreckung, ohne dass
es dabei auf die Akzeptanz des Unterworfenen ankommen würde. Gegenüber den
Eskalierungsspiralen des "Information warfare"handelt es sich bei den digitalen
Schachkämpfen um Wunschträume, Cyberspace zum Reservat folgenloser Aggressivität zu
erheben, um damit der vorgängigen Wirklichkeit endgültig den ewigen Frieden zu
verleihen.
Davon sind wir aber weit entfernt. Im
"Worst-Case-Szenario" - und was zählt im Krieg sonst? - beschränkt sich die
informationstechnologische Eroberung des gegnerischen Terrains nicht nur auf militärische
Positionen, sondern trifft den Feind auch in seinen informativen Lebensgrundlagen.
Offensiv betrieben zielt der Infokrieg auf die Vernichtung der gesellschaftlichen
Infrastrukturen: Wenn Versorgungseinrichtungen, Telekommunikationsysteme oder ökonomische
Strukturen von Börsen und Banken auf der Ebene der Programme angegriffen werden, ist der
Kollaps vernetzter Gesellschaften in kürzester Zeit vollendet. Es ist offensichtlich,
dass die Wirkungen solcher Schläge in die Herzzentren vitaler Versorgung mindestens
genauso letal sind wie die klassische Vernichtung von Menschen.
1. Information versus Vernunft
Theoretiker des Infowars sprechen inzwischen von semantischen und
epistemologischen Angriffen, die die Wahrheit gegen virtuelle Realitäten austauschen.
Der umfassende Informationskrieg präsentiert sich somit als
Bewusstseinskrieg: Nicht nur Wahrnehmungen des Feindes werden Gegenstand der Vermachtung,
sondern der "netwar", auch bizarr "neocortical war" genannt, mutiert
zum Darwinismus der Ideen und Ideologien. Mit der Zielvorgabe "The target of netwar
is the human mind" leitet sich ein Paradigmenwechsel der Kriegführung ein, der über
den alten Anspruch, die kognitive, moralische und militärische Minderwertigkeit des
Feindes propagandistisch zu behaupteten, weit hinausgeht.
Es geht dabei nicht mehr nur um den kulturkritisch beklagten Effekt
einer Angleichung von Krieg und Kino, Krieg und Cyberspace, sondern um die militärische
Strategie, zivile Medieninhalte als offensive Bewusstseinsmunition einzusetzen. "Star
Wars" ist danach nicht nur das cineastische Ereignis, sondern eine ideologische
Waffe, euroamerikanische Werte im Bewusstsein des Feindes zünden zu lassen. Im
"War-Infotainment" beschwört man den Mythos des amerikanischen Pioniergeistes,
der allemal mit den dunklen Seiten der Technik, sprich: "Darth Vader", also mit
Death, Darkness und Invader fertig wird, und folgerichtig hießen die Planungsleiter des
Golfbodenkriegs die "Jedi-Ritter".
Gleichwohl ist die
Informationskriegsdoktrin mitnichten lediglich die Augurenwissenschaft, als die sie in den
offiziellen Verlautbarungen des US-Militärs erscheint und die den Beherrschbarkeitsmodus
als Selbstberuhigungsformel wählt. Informationen sind mehr als
zielgenaue Projektile. Die gefährliche Dialektik einer Nachrichtenaggression, die
Streuwirkung letztlich nicht mehr verifizierbarer Informationen kann sich schließlich
auch gegen die Urheber selbst richten. So gibt es bei amerikanischen Militärs nicht nur
eine heilige Scheu, die durch ein Redeverbot abgesichert ist, von den offensiven Formen
des Infokriegs zu reden, sondern es besteht auch die begründete Angst, es könnten durch
Angriffe auf zivile Netze kettenreaktive Wirkungen auch für die eigenen Wirtschafts- und
Gesellschaftssysteme ausgelöst werden.
2. "Hacktivism" in der
Infosphäre
In der Abhängigkeit des Militärs von
allgemein zugänglichen Computernetzen schlägt die Stunde des "Hacker-Warfare",
besser: "Cracker-Warfare", der den alles beherrschenden Code sofort angreift.
Diese "weiche" Kriegsform der Kinder von Lara Croft und Quake 3 stützt sich auf
die Sensibilität von fremden Informationsräumen, deren Interaktivität zum schlecht
geschützten Einfallstor wird. Trojanische Pferde, Zeit- oder Bedingungsbomben werden
fremden Netzwerken lange vor heißen Kriegsphasen eingepflanzt, um sie zu gegebener Zeit
"zünden" zu lassen. Vormalige Fabrikkriege, die Massierung von überlegenen
Mannstärken und das hochwertigere Kriegsgerät von Industrienationen haben längst ihre
Bedeutung gegenüber der relativen ökonomischen Waffengleichheit im Infokrieg
eingebüßt. Wenn Konflikte bereits in der Infosphäre entschieden werden können, wäre
jede weitere Munition Verschwendung wider den kapitalistischen Geist.
Die Extermination per Mouseclick lässt die vormaligen Schlachten,
die noch Marinetti als futuristisches Explosionstheater ästhetisch bewunderte,
implodieren. Aber die Schreckensformel des "totalen
Kriegs" reicht in diesen Szenarien weit über eine heiße Blut- und Bodenwahrheit
hinaus, weil sie sich jetzt auf sämtliche Infrastrukturen zukünftiger Gegner bezieht.
Und die Frage, wer potenzieller Feind ist, löst sich unwiderruflich aus den vormaligen
überschaubaren Planspielen des Ost-West-Konflikts.
Transnationale Bündnisse und Achsen sind
längst nicht mehr Chefsache nationaler Staaten, um politische, ökonomische, kulturelle
oder militärische Präsenz zu verstärken. Aggressive Wirtschaftsimperien und kriminelle
Bruderschaften überschreiten inzwischen gleichermaßen nationale Grenzen, um im Kampf
aller gegen alle den vormaligen Leviathan das Fürchten zu lehren.
3. Diffusion der Interessen
Nach Talleyrand ist der Krieg eine viel zu ernste Sache, als dass
man ihn den Militärs überlassen könne. Der Viscount Montgomery of Alamein wollte diese
ernste Angelegenheit aber auch nicht den Politikern überlassen. Heute lautet die Losung:
Kooperation, Interagency, Jointness, Joint Staff. Im Gegensatz zu früheren
Kompetenzabschichtungen birgt die politisch-militärische Vernetzung von
Entscheidungsfunktionen das Problem, dass der Ernstfall auf eine Gemengelage von
Sicherheitsfragen stößt.
Dass die Unterscheidung von innerer und äußerer Sicherheit kaum
noch Sinn macht, markiert insbesondere das 1998 von Clinton ins Leben gerufene National
Infrastructure Protection Center (NIPC). Hier werden unter anderem FBI, DOD
(Verteidigungsministerium) und CIA in je nach Angriffsrichtung und -intensität wechselnde
Kompetenzordnungen koordiniert. Da sich der Schutz der Infrastruktur gleichermaßen auf
staatliche und private Bereiche erstreckt, werden potenziell alle staatlichen und
gesellschaftlichen Kräfte in einer Public-Private-Partnerschaft auf unbegrenzte Zeit
verbunden. Immanuel Kants Empfehlung zum ewigen Frieden "Stehende Heere (miles
perpetuus) sollen mit der Zeit ganz aufhören" wird durch die permanente Einbindung
potenziell aller Gesellschaftsmitglieder zum Zivilprogramm eines ewigen Kriegs
pervertiert.
Der zivilistische Krieg verliert darin sein Gesicht,
maskiert seine Akteure zu Ordnungsmächten gegenüber der Entropie des
Feindes, verwischt die Grenzen zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten und mag sich
zuletzt im repressiven Pazifismus wieder finden, der von einem vergesellschafteten
Bellizismus nicht mehr zu unterscheiden ist - eingedenk der Warnung: "Wie
giftig, wie listig, wie schlecht macht jeder lange Krieg, der sich nicht mit offener
Gewalt führen lässt!" So der Artillerist und Sanitäter Nietzsche, der übrigens
1889 von seinem Freund Overbeck eine Woche ins Baseler Irrenhaus mit dem sedierenden Namen
"Friedmatt" gebracht wurde. In einem unübersichtlichen Feld disparater
Interessen tendiert das angestrebte Ziel der
Informationsdominanz letztlich dazu, sich zur Selbstermächtigungsgrundlage jenseits
völkerrechtlicher Regeln und nationalstaatlicher Interessen zu entwickeln.
4. No-escape-zone
Mit der Schwächung des staatlichen
Gewaltmonopols und Kompetenzverwirrungen geraten auch die militärischen Operationstheater
der Online-Gesellschaften in unabsehbare Bewegung. Frontlinien lösen sich auf, weil das
Netz eine heterogen in sich zerstrittene Öffentlichkeit bis hin zur Anarchie von
Einzelkämpfern und Cyberterroristen präsentiert.
Zukünftige Weltinformationskriege werden
das "think global, act local" eben so gut beherrschen müssen wie "think
local, act global", weil in virtuellen Szenarien die Differenzierungen zwischen
zentral und marginal, global und lokal, oben und unten obsolet werden.
Die avancierteste Militärstreitmacht der Erde verkündet ihre
Vision einer "full spectrum dominance" folgerichtig als Werbeversprechen:
Überzeugend im Frieden, entschieden im Krieg, überragend in jeder Konfliktform
("persuasive in peace, decisive in war, preeminent in any form of conflict", JV
2020). Mit diesem politischen, strategischen und operativen Totalitätsanspruch gibt es
eben keine, dem militärischen Einfluss entzogene Zonen mehr. Von jetzt an gilt für jeden
Widersacher des american-way-of-life, dass er sich in einer global-virtuellen
"no-escape-zone" aufhält ob er sich nun in einer MIG 29, vor dem
Fernseher oder im Netz bewegt.
So zieht die Echtzeit den Raum, der in klassischen Kriegen immer
weiter expandierte, zusammen. Sie lässt ihn auf ein simultanes Panoptikum schrumpfen, das
idealtypisch im Sinne Jeremy Benthams alle Örter in einen digitalen Supervisionsraum
verlegt.
Amerikanische Militärs haben bereits den Golfkrieg 1991 als ersten
echten Weltkrieg bezeichnet, weil die beiden so genannten Weltkriege letztlich doch nur
Feldzüge an verstreuten Plätzen des Globus gewesen seien. Unklar bleibt aber, welche
gesellschaftlichen und politischen Konsequenzen sich mit dem historischen Auftritt einer
"Weltechtzeit" verbinden. Apokalyptiker wie Paul Virilio vermuten, dass sich der
Schock der Echtzeitwahrnehmung zu weltbürgerkriegsartigen Katastrophen verdichten
könnte, die den Globus in ein gigantisches Brüsseler Heyssel-Stadion verwandeln.
Aber gerade die militärisch gesteuerte Echtzeitberichterstattung
des Golfkriegs überbot ja nicht den weniger kontrollierten Schrecken der zeitversetzten
Information des Vietnamkriegs. Vietnam, nicht der Golf, entwickelte sich zum politischen
Desaster und - anders als es Virilio darstellt - nicht als ein in Amerika lokalisierter
Medienkonflikt, sondern als ein Protest- und Diskursszenario, das auch in Europa Studenten
und Intellektuelle auf die Straßen trieb. Die CNN-Techno-Bilder des reinen Golfkriegs
anästhetisierten dagegen das Friedensbewusstsein der Weltöffentlichkeit und bewiesen die
Überlegenheit des eiligen Kriegs der Amerikaner gegen den heiligen Krieg Saddams.
5. Krieg ohne Menschen
Virilio will den verbliebenen Horizont des Menschen in
kulturapokalyptischer Perspektive zumindest noch negativ bestimmen und retten. Virilios
Katastrophendenken setzt an der traumatischen Störung unserer Wahrnehmung des Realen an
und folgt letztlich dem Glauben an eine immer noch greifbare Ausgangsrealität. Aber wir
haben diese Basisstation, die wirkliche Wirklichkeit, längst unwiderruflich verlassen,
sodass allein Niklas Luhmanns Paradox übrig bleibt: "Wie ist es möglich,
Informationen über die Welt und über die Gesellschaft als Informationen über die
Realität zu akzeptieren, wenn man weiß, wie sie produziert werden?"
Es wird zu einer Antinomie des Infowars, dass in dem
Strategiekonzept der vereinigten Stabschefs, der "Joint Vision 2020", die
amerikanische Technologiegläubigkeit wieder zu Gunsten alter Tugenden militärischer
Effektivität - Führung, Persönlichkeiten, Doktrinen, Organisationen, Ausbildung, vor
allem aber menschlichem Wissen - relativiert werden soll. Der Rausch hypertechnologisch
formulierter Machbarkeitsillusionen verbindet sich hier mit dem Anachronismus, den
menschlichen Faktor in dem historischen Moment zu beschwören, in dem sich die schon je
herrschende irrsinnige Eigendynamik des Kriegs immer weiter aufgipfelt. Aber die
amerikanische Avantgarde futuristischer Militärplanungen, Darpa (Defence Advanced
Research Projects Agency), beginnt auch diesen Glauben zu verlieren, der Mensch sei noch
ein taugliches Rädchen der rasenden Kriegsmaschine.
Wird in Zukunft die Kampfzone so erweitert, dass die
Mensch-Maschinen-Tandems von vollautonomen Maschinenaggressoren abgelöst werden, die das
Ideal des disziplinierten Kriegers in einer gut geölten Militärmaschine unendlich
überbieten? Vom Maschinengewehr zum umfassenden Automatenkrieg folgt diese
Militärrevolution (RMA) einer Zeitlogik, die sich keine Totzeiten mehr leisten kann. Die
Robotisierung, d.h. die Entmenschlichung des Krieges, wurde durch unbemannte Drohnen vom
Typ Pioneer, die per GPS (Global Positioning System) und Autopilot Videobilder vom
Golfkrieg sandten, eingeleitet. Aber das ist allenfalls ein Vorschein solcher Kriege, die
nicht länger auf menschliche Gemächlichkeit angewiesen sein wollen. In den Visionen der
Darpa fliegen bereits hundertausende winziger Sensoren als Wahrnehmungspollen über das
Schlachtfeld. Und diese Datenmengen mögen sinnvoll nur noch von Systemen künstlicher
Intelligenzen verarbeitet werden, wie sie die Darpa-Technokrieger in zahlreichen Projekten
einer transhumanen Zeitherrschaft inzwischen zu entwickeln versuchen.
Für aggressive Militärautomaten, die in avancierter Form folgen
werden, gelten die Asimovschen Robotergesetze nicht mehr. Das erste Gebot, das
Menschenleben durch Maschinen zu schützen oder nicht zu verletzen, bleibt Sciencefiction.
Ironischerweise nicht aus Mangel an Technik, sondern an Ethik. Die Hoffnung, dass die
Kybernetik tatsächlich zur Kybern-Ethik einer humanen Gesellschaft aufschließen kann,
wird in diesen Visionen endgültig verabschiedet.
V. Vom ewigen Krieg
1. Krieg oder Frieden?
Mit dem postklassischen Informationskrieg löst sich die
menschliche Aggressionsgeschichte endgültig von dem Wechsel zwischen Krieg und Frieden
und nimmt die Gestalt eines bellizistischen Willens an, der sich jederzeit immer neuer
Verwirklichungsmöglichkeiten besinnt. Mao Tse-tung hatte bereits die Formel von
Clausewitz dialektisch aufgelöst: Die Politik ist Krieg ohne Blutvergießen, der Krieg
ist Politik mit Blutvergießen.
Avant la lettre erteilte Machiavelli den fatalen Rat: "Ein
Fürst sollte nur auf einem Gebiet ausgebildet werden, in der Kriegführung. Im Frieden
sollte er nur eine Atempause sehen, die ihm Muße verschafft, über Kriegspläne
nachzudenken und seine Fähigkeit zu stärken, sie auszuführen." Der
cybermachiavellistische Ansatz der neuen Infokrieger geht aber erheblich weiter, wenn
politische, militärische und zivile Gewalt zu einer subkutanen Konfliktform verschmelzen,
die ihr Zerstörungswerk dissimuliert, ohne dadurch destruktives Potenzial zu
verlieren? Cyberwar ist danach mehr als jede andere Kriegsform das Chamäleon, das
Carl von Clausewitz bereits im klassischen Krieg erkannte.
2. Perspektiven zukünftiger Informationskriege
Die euphorische Begrüßung des Infowars seitens des Militärs
erweist sich als Verharmlosungsdiskurs, als humanbellizistische Verniedlichung, mindestens
aber als eine Selbsttäuschung kriegerischer Gesellschaften. Da der Infokrieg die Zeit
eben nicht nur in der heißen Phase, sondern jede Zeit beherrschen will, werden
Geschichte, Gedächtnis und Bewusstsein, mit einem Wort: alle denkbaren menschlichen
Widerstände gegen die Informationssuperiorität überall und jederzeit taugliche
Angriffsobjekte. Dieses Kriegsdesign zielt nicht nur auf die Herrschaft über strategisch,
operativ oder taktisch relevante Zeiten, sondern auf die Dominanz über alle zukünftigen
Zeiten, in denen sich Gesellschaften, Kulturen und Individuen bilden. "Krieg ist
aller Dinge Vater, aller Dinge König. Die einen macht er zu Göttern, die anderen zu
Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien." So Heraklit von Ephesus.
Zweieinhalbtausend Jahre Kriegsgeschichte haben diesen blutigen Mythos nicht ausradieren
können. Nationalstaatliche Interessen, Humanitätsideale aufgeklärterer Gesellschaften
und Militärphilosophien waren allerdings im Stande, den Krieg auch auf einen begrenzbaren
Antagonismus des Willens herunterzufahren. In dem Anspruch gegenwärtiger
Informationskrieger, alle potenziellen Konfliktfelder jederzeit zu dominieren, wird
Heraklits Wissen um den wahren Zivilisationsmotor aber gefährlich hochgetaktet.
Gleichwohl werden überlegene
Informationsherrscher in Zukunft diesen schrecklichen Befund dissimulieren können:
"Bella gerunt alii (Andere führen Krieg) - wir informieren!"
Damit bin ich wieder am Ausgangspunkt der Überlegungen angelangt.
Ich kann nur hoffen, dass ich heute die Unwahrheit gesagt habe. Aber damit wäre ich ja
der Strategie dieser Kriegsform besonders gerecht geworden. Meine Zeitherrschaft
jedenfalls geht zu Ende. Ich hoffe, für Sie lag auch ein Aufmerksamkeitsgewinn darin.
Vielen Dank.
Dr.
Goedart Palm
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