Der Krieg kommt endlich selber am Kriege um; seine
Vervollkommnung wird seine Vernichtung, weil er sich seine Verstärkung
abkürzt (Jean Paul).
I.
Krieg als Betriebssystemfehler der Utopie
Ernst
Bloch hatte das Problem des Krieges mit dem Dekret verabschiedet,
kapitalistischer Friede sei ein Paradox, sozialistischer Friede dagegen
eine Tautologie.
Zugleich hatte der Hoffnungsphilosoph Utopien als nicht akzeptabel
verworfen, die sich abstrakt über die Verhältnisse hinwegsetzen, den
Status quo hochrechnen, nur eben mit dem Unterschied, dass Katastrophen,
Kriege, Ungerechtigkeiten, soziale Not abzuziehen sind. Konkrete Utopien hätten
von der Analyse auszugehen, um nicht historisch undialektisch in „Erehwon“
zu enden. Der Krieg hat sich trotz seiner Demontage durch den
wissenschaftlichen Sozialismus und anderer utopischer Optimierungen von
Wirklichkeit
dem „Prinzip Hoffnung“ bisher verschlossen. Er bleibt einer der ältesten
und hartnäckigsten Mitbewerber um die Zukunft. Die stammesgeschichtliche
Tradition des Kriegs kann bis in die frühesten Anfänge der Menschwerdung
hinein verfolgt werden kann und nährt die Vermutung seiner ewigen
Wiederkehr, wie verschieden Kriegsmasken, Kombattanten und Gefechtsfelder
auch zukünftig aussehen mögen. Ist der Krieg das Böse im Wertsystem der
Utopie? Die Aufrüstung der Zukunft mit Technologie, Geschichts- und
Identitätsverlusten halten genügend Stoff für kriegerische Dystopien
bereit. Sitzt tief im Herzen der Kultur ein bellizistischer Virus, eine
autopoietische Kraft der Zerstörung und des Wiederaufbaus? Selbst über
die humanen Wünschbarkeiten herrscht Zwist. Helmuth von Moltke
hatte dem ewigen Frieden beschieden, ein Traum zu sein, „nicht
mal ein schöner, der Krieg aber (ist) ein Glied in Gottes Weltordnung“.
Für Moltke und andere Apologeten des ewigen Kriegs bleibt er die göttliche
Quelle edler Tugenden: „Mut und Entsagung, Pflichttreue und
Opferwilligkeit mit Einsetzung des Lebens; die Kriegserfahrungen bleiben
und stählen die Tüchtigkeit des Mannes für alle Zukunft“.
Das
Kriegsdesign des 21. Jahrhunderts ist mehr denn je davon entfernt,
heroische Tugenden oder gar moralische Qualitäten der Kombattanten
einzufordern. Kriege sollen nicht nur so blutleer, distanziert und präzise
wie möglich geführt werden. An die Stelle von Heldenmut und
Aufopferungsgeist rücken entsinnlichte Funktionen und virtuelle
Schlachtfelder, die digital beherrscht werden sollen. Menschliche Irrtümer
und biologische Reaktionszeiten sind mit dem Echtzeitrausch der
Vernichtung immer weniger kompatibel. Die technologisch hochgerüstete
Wahrnehmungshoheit überformt in ihrer kriegsentscheidenden Bedeutung die
Vernichtungspotenziale, so wie bereits – lange vor dem ersten „command-and-control-Warfare“
des Golfkriegs – der Direktor des „Radiation Laboratory“ befand, die
Atombombe habe den zweiten Weltkrieg zwar beendet, aber das Radar habe ihn
entschieden.
Inzwischen sollen Wahrnehmung und Vernichtung gar in einer logischen
Sekunde zusammenfallen, wie es das geomilitärische Ideal der „no-escape-zone“
verheißt: Die Wahrnehmung des Feinds soll gleich bedeutend mit seinem
Tod, wenigstens seiner Paralyse sein. Gerade der spätmoderne
Wahrnehmungskrieg, dessen Vernichtungssysteme maschinensensorisch immer präziser
auf Licht, Wärme, Magnetismus reagieren, dessen Globalkontrolle durch
GPS-Systeme den klassischen Feldherrenhügel als Anachronismus erledigt,
steckt in der Paradoxie, dass menschliche Protagonisten diese
Wahrnehmungen nur noch als abstrakte Vernichtungsparameter registrieren.
Moralisch, aber auch phänomenologisch ist es höchst beunruhigend, dass
virtuelle und reale Szenarien auf Monitoren eingeschmolzen werden und der
Feind auf Pixelgröße schrumpft. Der so deprivierte Wahrnehmungskrieger
wird zunehmend vor den Echtzeitmonitoren aus der bewussten Steuerung
seiner panoptischen Kriegsmaschine enteignet. Der menschliches
Vorstellungsvermögen überschreitende Wahrnehmungsgewinn endet paradoxal
in der Blendung der vormaligen Helden. Hat sich der Mensch zukünftig
darauf zu bescheiden, eine Schnittstelle, vielleicht nicht einmal die
wichtigste, in der Kriegsmaschinerie zu werden?
Menschliche
Momente in der Kriegsmaschinerie sind wenig kalkulierbar,
benötigen immer neue Anstachelungen und gefährden den Ausgang
synergetischer Vernichtungsunternehmen mehr, als sie ihnen nützen.
Bereits der preussische Drill zielte auf die funktionale
Einbindung der Kombattanten in eine menschliche Megamaschine, die präzise
und synchronisiert einen Vernichtungsoutput sicher stellen sollte. Helden
wären hier nur Sand im Getriebe gewesen und ihre Demontage im Realen wird
gegenwärtig durch die „Heropoiesis“
in Filmerzählungen zwischen „Private Ryan“, „Apocalypse Now“ oder
„Star-Wars“ post bellum kompensiert.
Helmuth
von Moltkes Rede von der Tüchtigkeit des Mannes meint nichts anderes als
die Disziplinierung von Körper und Geist - der zivilgesellschaftlichen
Ein- und Unterordnung nicht weniger nützlich als der Kriegsmaschine.
Zivilgesellschaften formieren fortwährend Megamaschinen, gebaut aus
Kommunikationen, Menschen und technischen Artefakten, die an den
Schnittstellen immer unsichtbarer, reibungsloser werden sollen, bis sie
schließlich idealtypisch zu artifiziellen, biotechnoiden Körpern,
Hybriden
verschmelzen. Hier wird die Differenz zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit,
die immer künstlich erscheint, endgültig eingezogen.
In den Niederungen dieses Verdrängungsprozesses, vor der endgültigen
Umgestaltung des biologischen Organismus in eine leidensfreie
Maschinennatur zahlen freilich Menschen für die langwierige Umrüstung
ihrer Natur in zivile wie militärische Maschinen.
Auch
frühkapitalistische Fabriken sind und waren Schlachtfelder, die nicht
wenige zivile Opfer in ihrem Krieg gegen menschliche Widerstände machten.
Krieg herrscht nicht nur da, wo seine Insignien das blutige Feld
abstecken, sondern überall, wo gesellschaftliche Antagonismen
wirtschaftlicher, sozialer oder politischer Art über Menschenleben verfügen.
Mit der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts wird der
Fortschrittsdiskurs immer mächtiger, dass die Differenz zwischen Mensch
und Maschine nicht länger aufrechtzuerhalten ist. Was noch bei Marx als
Prozess der Ergänzung und Ersetzung menschlicher Triebkraft beschrieben
wird, soll – etwa bei John
Desmond Bernal - im völligen Austausch des Menschen gegen die Maschine
enden.
II.
Gigantomachie: Vom Helden zur autonomen Kriegsmaschine
Kriegsgeschichte
lässt sich als Historie der Innovationen beschreiben, die klassische
Kriegertugenden, Ehrenkodizes und Korpsgeist der Soldaten verdrängen,
weil allein die maschinelle Beschleunigung des Krieges den Sieg verheißt.
Gegenüber dem imperialen Innovations- und Beschleunigungsdruck haben
Militärs erst zögernd kapituliert, wie beispielhaft die Reaktionen auf
Hiram Maxims Maschinengewehr (Patent 1885), das Flugzeug der Brüder
Wright, und selbst auf den in Großbritannien entwickelten ersten
gefechtsfähigen Panzer belegen. Taktische und strategische Möglichkeiten
solcher avancierten Technologien wurden zunächst nicht erkannt, da sie
eine „Revolution in Military Affairs“
voraussetzen, die dem Konservativismus von Generalität und Offizieren
fremd war. Spätestens mit den Weltkriegserfahrungen ist die
Technologieabhängigkeit immer weniger zu leugnen. Die Apologeten
klassischer Kriegskonfigurationen verdecken die aufkeimenden Widersprüche
zwischen technologischen Möglichkeiten, tradierten Soldatenidealen, Lust
am Krieg und der fabrikmäßigen Massentötung von Gegnern gegenwärtig in
Übergangsformeln, die den Krieg als „menschliche“ Veranstaltung noch
begreifbar erscheinen lassen sollen.
In
der Kriegsgeschichte erlebt die Entwertung des einzelnen Kämpfers aber
seit Ende des 18. Jahrhunderts eine Ausnahme in den mehr oder weniger
organisatorisch lose verkoppelten Tirailleurs, Partisanen, Guerilleros und
anderen Kombattanten der „low intensity conflicts“, die nach Martin
van Creveld auch die nähere Zukunft des Krieges
im 21. Jahrhundert beherrschen werden. Massenvernichtungswaffen, schweres
Gerät für den Einsatz auf dem planen Schlachtfeld und Massenheere werden
obsolet. Scheinen die apokalyptischen Szenarien von zwischenstaatlichen
Konflikten mit dem Drohgestus von Nuklearwaffen weitgehend
aus der Mode gekommen zu sein, macht der „low intensity conflict“ den
Krieg wieder attraktiv, weil seine asymmetrische Gestalt auch den vormals
übermächtigen Leviathan erfolgreich provozieren – und vielleicht gar
schlagen kann. Martin van Crevelds Prospekte zukünftiger Kriege sind mit
der umstrittenen Hypothese
verkoppelt, dass sich klassische Staaten auflösen und anders organisierte
Gruppen erfolgreich das staatliche Gewaltmonopol unterlaufen. Die
Fortsetzung staatlicher Politik durch Krieg wird von ethnisch, religiös,
kriminell motivierten Mikropolitiken der Bedrohung bzw. des Terrorismus
ersetzt, deren Gefährlichkeit nicht nur durch Kontrollverluste des
schwerfällig organisierten politischen Systems verursacht wird, sondern
auch durch die Schwäche von transnationalen Organisationen. Weder die
politisch fragilen Proklamationen und Aktionen eines völkerverbindenden
Antiterrorkriegs noch die vorgeblichen Interessen einer weltumspannenden
Ökonomie konnten sich bisher überzeugend als Bezwinger dieser
Konfliktform erweisen.
Mit
dem global vernetzten Terror, der seit dem 11. September 2001 als
Totalbedrohung der Zivilisation projiziert wird, wird die Bedeutung des
Einzelkämpfers auf beiden Seiten der diffusen Fronten wieder aufgewertet.
So erscheinen Terroristen zumindest in einem Frontabschnitt trotz des
propagandistischen Dauerbeschusses als die Spätheimkehrer vormoderner
Schlachten.
Weniger
spektakulär, aber kriegstechnisch mindestens so effizient erleben wir die
Geburt der multipotenten Hightech-Infanteristen und ihrer Brüder, der
Technologieexperten vor Monitoren und „Triggern“. In diesen neuen
Typen wird indes nicht das Ideal einer synchronisierten Kriegsmaschine
angezweifelt. Allein ihre behebbaren Mängel, ihre hierarchisch bedingten
Unzulänglichkeiten werden unter den Bedingungen neuer Gefechtstypen durch
militärische Heterarchien und Top-sight-Eigenschaften des Kombattanten
vor Ort kompensiert. Über das zentrale Motiv dieser
vernichtungsteleologischen Ergänzung der Kriegsmaschinen kann es indes
keinen Zweifel geben: Schwächere Elemente, weißes Rauschen,
Sollbruchstellen von Mensch und Material werden zu Faktoren der
Niederlage, die rapide abgebaut werden müssen. Wenn ein Gesetz der Medien
darin bestehen sollte, dass sie an ihrem eigenen Verschwinden, ihrer
Entmedialisierung, der Bereinigung der Schnittstellen arbeiten,
sollte auch die Integration der Kriegsmedien schließlich so weit
voranzutreiben sein, dass die Vernichtungsprothesen der Mängelkrieger zu
unmittelbaren Instrumenten avancieren.
Oder
mit Marinetti gesprochen: „Der für die allgegenwärtige Geschwindigkeit
geschaffene a-humane und mechanische Typus wird natürlich grausam,
allgegenwärtig und kampfbereit sein“.
In dieser futuristischen Vision, die längst vor ihrer Formulierung auch
ein militärkonservatives Ideal war, ist kein Ort für die Verbindung des
Menschen mit der Maschine im Zeichen humaner Entschleunigung.
Maschinenautonomie merzt menschliche Kontrollverluste
aus - zumindest des Menschen, der mit seinem angestammten biologischen
Apparat kompatibel mit Maschinenzeiten werden will.
Hier zählt nur noch
„Mimesis an das Verhärtete“, an den Stahl, der die fragile Epidermis
seines Trägers ersetzt. Des „Menschen artefactische Aussenwelt“
(Ernst Kapp) ist nur noch erträglich, wenn auch diesseits des Körpers
die Bedingtheiten der Natur ausgetrieben werden. Der Mensch muss zur
Maschine werden, sich also selbst verlieren, wenn er Sieger bleiben will:
„Wir fühlen wie Maschinen, Wir fühlen uns aus Stahl erbaut, Auch wir
Maschinen, Auch wir mechanisiert!“
Was den Futuristen zum relativ folgenlosen Pathos kinematischer Leinwandkörper
geriet, wird etwa im „Institute for Soldier Nanotechnologies (ISN)“
zum Technoprofil zukünftiger Kämpfer. Eingebunden in das Massachusetts
Institute of Technology (MIT) soll dort für Kombattanten der Zukunft ein
„Exoskelett“ entwickelt werden, das vor Umwelteinflüssen wie Hitze, Kälte,
Druckwellen, Schlägen und Strahlung schützt. ISN-Direktor Ned Thomas
sieht den „Universal Soldier“ bereits als futuristischen Spiderman,
der trotz seiner Rüstung mit Spezialspringschuhen auch meterhohe Mauern
überwindet. An seiner Seite aber marschiert inzwischen ein wucherndes
Robot-Bestiarium, das von der DARPA und anderen militärfuturologischen
Zulieferen als bellizistische Nachbesserung der Schöpfung dargestellt
wird.
Mit
dem Transfer kriegerischer Einsätze auf Automaten und intelligente Waffen
wird die Sorge des Menschen um sich selbst, die nach Thomas Hobbes
letztlich auch Kriege beendet und den Gewalttransfer auf den Leviathan
begründet, bedeutungslos. Kriegsautomaten – wie die in zahlreichen
Species zu Land, auf See und in der Luft projektierten Robo-Krieger der
US-Armee – setzen ihre Existenz ein, ja sind in ihrer Waffenfunktion so
programmiert, dass ihre Selbstvernichtung zur wahrscheinlichen Folge des
Ernstfalls wird.
Der je fragile Mut des Helden wird durch den intransigenten Algorithmus
„todesbereiter Maschinen“ überboten, die die pastorale Asimov´sche
Roboterethik, den Menschen unter allen Umständen nicht zu verletzen, in
ihr Gegenteil verkehren. Die amerikanische Militärzoologie folgt
Marinettis „Mafarka il futurista“, der sich die Zeugung von „zu
unfehlbaren Taten befähigte Giganten“ erhoffte und keinen Zweifel ließ,
um welche zukünftige Heldentaten es sich handelt: „Ich liebe den
Krieg“. In der Kriegsliebe der Futuristen wie Zarathustras steckt aber
unter zukünftigen Bedingungen das technologisch verordnete Paradox, nur
dann nicht zu den Opfern zu zählen, wenn Sozialität, Empathie, (Mit)Leidensfähigkeit,
Angst, mithin die eigene Identität in einem unverwundbaren Körper
entsorgt werden.
Die
Kombination menschlicher Eigenschaften, klassischer Kriegstechniken und
technologischer Avantgarde kann gegenwärtig noch als synkretistisches
Militärideal formuliert werden, um den absehbaren Prozess der endgültigen
Demontage menschlicher Eigenschaften nicht einräumen zu müssen.
Ernst Jüngers im Ersten Weltkrieg „gereifter“ Technikdiskurs, der
Geist müsse die Maschine zu seinen Zwecken regieren,
um nicht den selbstdisziplinierten Einzelkämpfer mit hohen kognitiven und
voluntativen Qualitäten
zu opfern, unterscheidet sich wenig von den amerikanischen „Joint
Visions“ für das Jahr 2020, die glauben, die Zukunft des Kriegs so
beschreiben zu können: „However, material superiority alone is not
sufficient. Of greater importance is the development of doctrine,
organizations, training and education, leaders, and people that
effectively take advantage of the technology.“
Zukünftig
dürfte sich die alte Technologiefeindlichkeit des Militärs in diesem
Formelkompromiss vollends in eine haltlose Technikeuphorie verwandeln, wie
es beim amerikanischen Militär und der konservativen Bush-Regierung mit
immer neuen Vorstößen auf das Schlachtfeld der Zukunft bereits zu
beobachten ist.
Dieser als Nichtraum begriffene Raum wird technologisch totalisiert, d.h.
virtuell abgebildet und damit in allen Dimensionen immer stärker
beherrschbar, solange der Feind nicht zu symmetrischen Remedien greift
oder „industrial age tools“ eben asymmetrisch kontert.
Zivile
Technologie und Waffenentwicklung
stehen in einem unverbrüchlichen Verhältnis,
befruchten sich wechselseitig und spätestens mit der Herankunft moderner
Informationstechnologien werden die diskreten Grenzen der technologischen
Erscheinungen im „dual use“ vollends aufgelöst. Ein
Beobachtungssatellit wird nicht durch seinen technologischen Zuschnitt,
sondern durch seine Aufgabenbestimmung zum genuinen Kriegsgerät. Nichts
anderes gilt für Informationen, die in einem wachsenden Netz globaler
Informationsstrukturen viele Eingangstore für Widersacher eröffnen und
die diskrete Trennung militärischer und ziviler Informationen ohnehin
illusorisch erscheinen lassen, wie es nicht nur der Kauf von
Satellitenbildern während des Afghanistankriegs demonstrierte, sondern
auch die schlichte Kenntnis der Modalitäten ziviler Fluggesellschaften
seitens der Septemberterroristen. Weltraumwaffen und
Satellitentechnologien mit exklusivem Zugriff auf Daten werden gleichwohl
deshalb vom US-Militär mit starker Priorität verfolgt, weil die
Etablierung solcher Star-Wars-Systeme mit hohen Kosten verbunden ist, die
ökonomisch schwächere Gegner nicht aufbringen können.
Wirtschaftlich bedingte Technologievorsprünge verlieren indes in dem Maße
an Bedeutung, in dem sich geopolitische Frontlinien relativieren und die
Ununterscheidbarkeit von Kombattanten und Nichtkombattanten im urbanen wie
virtuellen Raum klassisches Gerät nicht weniger als hypertrophe Sphärenwaffen
lahm legt. Der 11.September war nicht nur ein Beispiel für den
asymmetrischen Low-Budget-War, den Terroristen mit Teppichmessern
exekutieren, sondern zugleich ein Anwendungsfall parasitärer Kriegführung,
das zivile Hightech-Gerät des Feinds in eine Waffe zu verwandeln, deren
Vernichtungswirkung mit der Verwundbarkeit komplexer Infrastrukturen
steigt.
Auch
der gegenwärtig projizierte Automatenkrieg ist noch Vorschein autonomer,
von künstlichen Intelligenzen geplanter und durchgeführter Kriege. Keine
Extrapolation bestehender Waffentechnologie kommt umhin, auch die
Ausbildung einer künstlichen, vielleicht menschenähnlichen Intelligenz
in das kriegerische Kalkül zu ziehen:
Was zunächst als instrumentelle Zurüstung erscheint, hätte
imperialen Charakter, nicht nur auf der
Ebene strategischer Entscheidungen, sondern auch politischer
Handlungsformen wirksam zu werden.
Strategische und politische Entscheidungen werden bei zunehmender
Komplexität vollständig der Maschine übertragen, weil menschliche
Problemlösungskompetenzen unterkomplex sind.
Im
Antagonismus solcher Kräfte bleiben die allmächtigen, von Clausewitz
beklagten Friktionen gleichwohl erhalten. Die alte Fratze des Kriegs
grinst, weil auch der Verlauf und das Ergebnis technologisch versierter
Kriege nicht steuerbar sind. Zwar kann die Kriegführung auf beiden Seiten
der Front kybernetisiert werden. Der Krieg selbst bleibt aber in seiner
antagonistischen Struktur eine nichttriviale Maschine, über deren innere Zustände
wir wenig wissen können. Insofern bekräftigen die menschlichen
Kontrollverluste, die Paul Virilio aus alteuropäischer Betroffenheit als
das Verhängnis des kybernetischen Verfahrens sieht,
nur ironisch, dass auch unter den Bedingungen einer instrumenteller
Vernunft, die auf ihre vorläufige Spitze getrieben wird, das Urdilemma
von Steuerung, Friktionen, Eigendynamik und
allfälligen Katastrophen erhalten bleibt. Der Krieg wird von
Sun-Tzu bis hin zu den amerikanischen „Jointness-Kriegern“ als militärisches
und politisches Ordnungsprinzip beschworen, aber in den so zufälligen wie
zwingenden Friktionen
wird die Schwäche dieses regulativen Prinzips deutlich. Darin bleibt der
Krieg - jenseits seiner von Clausewitz postulierten raison d´etre –
sich selbst treu als eben der blindwütige Protagonist, den Goya in den
„desastros de la guerra“ plausibler als der preussische General
beschreiben konnte. In den zukünftigen Planspielen autonomer Maschinen
und quasi unverwundbarer Krieger bleibt das unberechenbare Gesetz von Sieg
und Niederlage genauso erhalten wie die Option, dass Pattsituationen auch
jenseits atomarer Overkill-Kapazitäten in neuen hypertrophen
Hightech-Kriegen entstehen.
In
kybernetischen Kriegen könnte schließlich die Frage, wie der Sieg
definiert wird, zum unbesiegbaren Widerstand des Algorithmus gegen die
menschlichen Kriegstreiber werden. Norbert Wiener sah wohl einen
pazifistischen Hoffnungsschimmer darin, dass wir nicht erwarten können,
„dass die Maschine uns in solchen Vorurteilen und gefühlsmäßigen
Kompromissen folgt, die uns in die Lage setzen, Zerstörung mit dem Namen
des Sieges zu benennen.“
Die Definition des Siegs wird in global vernetzen Gesellschaften, die ökonomisch
und kommunikativ verkoppelt sind, mindestens so diffus wie im Fall der von
Norbert Wiener perhorreszierten ökologischen Katastrophen. Eine
politisch-strategisch-militärische Supermaschine könnte daher den
Begriff des Siegs als eine nicht entscheidbare Kategorie menschlicher
Hybris von sich weisen. Gleichwohl hält sich die Fiktion einer übermenschlichen
Steuerungseinheit zukünftiger Kriege hartnäckig in den Prospekten zukünftiger
Kriege. Während Paul Virilio der „Kriegserklärungsmaschine“, einer
transpolitischen „Doomsday Machine“, an die alle Expertensysteme und
der politische Oberbefehl abgetreten sind, eine Sprengkraft
attestiert, der Menschen schließlich nicht mehr Einhalt gebieten könnten,
träumen Militärs nicht weniger als ihnen verbundene Politiker von einer
Weltherrschaftsmaschine, die alle Dominanzfantasien endgültig einlöst.
Virilios Schreckensszenario ist indes bereits deshalb fragil, weil die von
Menschen in Gang gesetzte, klassische Kriegsmaschine auch nur dem Sieger
vorübergehend die Suggestion schenkte, Herr des sich selbst
generierenden, epidemischen Krieges zu sein.
III.
Sphäromachie: Zur Verseuchung in der Infosphäre
Wenn
die verletzliche „wetware“ Mensch von Robotern, Automaten oder
Cyber-Leibern ersetzt wird, menschliche Entscheidungszeiten durch
maschinelle Reaktionsgeschwindigkeiten ausgetauscht werden, bleibt darin
das Ideal des Kriegs bekräftigt, den Feind zu vernichten. So verändert
sich vornehmlich das Kriegsdesign von Massenkriegen zu punktuellen, an
informations- wie versorgungstechnologischen Knotenpunkten mit wenig Gerät
und Kombattanten geführten Gefechten.
Ein
fundamentaler Bruch im Kriegsverständnis der Zukunft könnte dagegen in
Konfliktszenarien liegen, die den Begriff des Kriegs selbst so weit
totalisieren, dass keine phänomenologische Differenz zu seine Zustand
mehr anzugeben wäre: „In unserem Begriffs- und Wortschatz fehlt eine
Bezeichnung für die Sphäromachie quintanischen Typs. Sie ist weder Krieg
noch Frieden, sondern ein permanenter Konflikt, der die Gegner voll in
Anspruch nimmt und ihre Ressourcen auslaugt“.
Spricht
Stanislaw Lem von den kategorial wenig plausibel abgegrenzten Begriffen
wie „Informationskrieg“, „Bewusstseinskrieg“, „Netzkrieg“,
„Electronic Warfare“ oder „Cyberwar“? Wir betreten hier eine
diffuse, virtuell-reale Kampzone, deren explosive Gefahren im Zugriff auf
das informative Rückgrat des Feindes bis hin zu den unabsehbaren
Streuwirkungen auf sein Bewusstsein liegen sollen. Die Definitionsschwäche
dieser postklassischen Kriegsformen ist nicht allein auf ihr kurzes
historisches Curriculum zurückzuführen, sondern vornehmlich auf die
Verdinglichung der „Information“ als Waffe,
die Signale und interpretationsabhängige Zeichen regelmäßig kurzschließt.
Die
weitreichendste Form des Informationskriegs firmiert als „Netwar“, der
sich nach den „Klassikern“ John Arquilla und David Ronfeldt
als groß angelegter Bewusstseinskrieg zwischen Nationen, Gesellschaften
und ihren Eliten vollzieht. Er erstreckt sich sowohl auf militärische wie
zivile Informationsquellen und Kommunikationsmedien, die für die
Ausbildung der öffentlichen Meinung, insbesondere der von Führungseliten,
relevant sind: „The target of netwar is the human mind.“
Wer Zugriff auf das Bewusstsein des Feindes nehmen kann, will den
kybernetischen Krieg im menschlichen Steuerzentrum, im vorgeblichen
Gravitationszentrum seiner Herrschaft entscheiden. Dieser Kampf um Ideen
und Epistemologien verfolgt in seiner Zielsetzung nicht anderes, als was
auch bereits dem totalen Krieg neben seinen klassischen Zerstörungen
eingeschrieben war: Alles ist Front.
Wer den Gegner nicht in seinem Bewusstsein erreicht, mag eine Bataille
gewonnen haben, aber Revisionismus wie Revanchismus des Feindes sind für
den vorläufigen Sieger das gefährlichste Kriegsprodukt, wie zahlreiche
Nachkriegs(un)ordnungen belegen.
„Netwar“
wird von seinen Protagonisten als avancierte psychologische Kriegführung
vorgestellt. Doch sehr viel weiterreichend sollen mit diesem omnipotenten
Kriegskonzept die Unterschiede zwischen Krieg, Propaganda, „Psyops“
(Psychologische Operationen, „operations-other-than-war“,
ideologischem und ökonomischem Wettbewerb, militärischen wie zivilen
Zugriffen auf das Bewusstsein des Menschen gerade aufgelöst werden. So
wie bereits in klassischen Konflikten die Grenzen zwischen Krieg und
Frieden nie diskret verliefen, wird das Kriegsdesign so totalisiert, dass
Begrenzungen, die zuvor gesellschaftlichen wie staatlichen Ordnungen und
geopolitischen Logiken entsprangen, anachronistisch erscheinen. Die Folge
wäre ein dauerhafter Kriegfrieden, der seine unfriedlichen Absichten
dissimuliert, weil allein das seiner „subkutanen“ Herrschaftsdoktrin
entspricht. So wie Machiavelli bereits den Frieden nur als
Kriegsvorbereitung guthieß, und allein die logistischen Notwendigkeiten
zukünftiger Kriege als Friedensaufgabe verstand, wäre im
Bewusstseinskrieg der Zustand des Friedens abgeschafft, weil seine
Strategien mit den Zeitmustern klassischer Kriegszielverwirklichungen
nichts mehr gemein haben.
Im
so auf seine Spitze getriebenen Bewusstseinskrieg wird das Konzept
Clausewitz` verlassen, den Gegner durch einen „Akt der Gewalt... zur Erfüllung
unseres Willens zu zwingen“.
Der Bewusstseinskrieg betritt das entfesselte Illusionstheater (George J.
Stein), manipuliert und suggeriert, um den Willen des Gegners erst gar
nicht kontradiktorisch werden zu lassen. Carl Schmitts Fundamentalprinzip,
die existenzielle Unterscheidung von Freund und Feind, um sich selbst zu
definieren, soll erst gar nicht mehr zur eigenen Frage werden. Es geht
nicht mehr um traditionelle Propaganda, die feindliche Angriffsobjekte als
Quelle verlässlicher Informationen zu diskreditieren (Stein). Die
„Wahrheit“ löst sich von den letzten Korrespondenzen einer
Referenzwirklichkeit. Nicht nur Emotionen, Glauben, Motive, auch die
Urteilskraft selbst soll enteignet werden. Thomas Pynchons Behauptung,
dass der Krieg „niemals auch nur im geringsten politisch gewesen ist,
dass die ganze Politik nichts als Theater war, alles nur, um die Leute
abzulenken“, sondern eine Konfrontation zwischen Technologien und ihren
Bedürfnissen
wird dadurch nicht obsolet, sondern bestätigt und trifft sich hier mit
Carl Schmitt, der einer Welt ohne die Unterscheidung von Freund und Feind
bescheinigte, eine Welt ohne Politik zu sein.
In diesem Kampf von Desinformationssystemen geht es um Technologievorsprünge,
die mit überlegenen Informationswaffen das Bewusstsein als Gegengewicht
des Kriegs so korrumpieren wollen, dass sich die Freund-Feind-Kennung in
einer nicht mehr wahrnehmbaren Informationsdominanz aufhebt.
Die
ideologische Verseuchung der Infosphäre nähert diese Kriegsform der
biologischen und chemischen Kriegführung an.
Wer Desinformationsbomben
zündet, muss mit Kettenreaktionen und Rückkoppelungseffekten rechnen,
die ihn zuletzt selbst erfassen können, da die Meterologie der
Information nicht kontrollierbar ist. So wie von Clausewitz das Wetter als
typisches Moment der Friktion nennt, könnten schließlich
Informationsgewitter über Gesellschaften losbrechen, die den Vorteil
wetterunabhängiger Kriegstechnologien, deren sich die gegenwärtige
Kriegsingenieurskunst auf den „command-and-control“-Schlachtfeldern
berühmt, in der Infosphäre eben zunichte macht.
William
James Frage: „Unter welchen Bedingungen halten wir Dinge für
wirklich?“ kann über den ohnehin bestehende Generalverdacht gegenüber
Medien hinaus auf solchen Schlachtfeldern nur lauten: Unter gar keinen! Paranoia
wird in Informationsgesellschaften zum ständigen Begleiter der
Information.
Deshalb könnte ein Bewusstseinskrieg nur erfolgreich sein, wenn er
langfristig dissimuliert, dass er überhaupt stattfindet. Diese Kriegführung
macht den Krieg diffus, nebelt den Feind ein, bis er die maskierte
Fremdherrschaft mit der eigenen Identität verwechselt.
Marshall McLuhan zitiert den König Amanullah, der nach dem Abschuss eines
Torpedos feststellte: „Ich komme mir schon halb wie ein Engländer
vor.“
Insofern ist der Feind nicht der Andere, sondern seine vom Stand der
Technologie abhängige Kriegführung lässt den Schluss zu, dass er
bereits durch die Wahl der Waffen beeinflusst werden kann.
Der
Bewusstseinskrieg vertraut dabei auf ein herrschaftsgeladenes
Kommunikationsapriori, das indes impliziert, dass hierin zugleich auch das
Einlasstor für den Feind geschaffen wird. Gesellschaften können nicht
nicht kommunizieren.
Der Antagonismus von Coca-Cola und Koran kollabiert daher nicht an
fundament(alistisch)er Kommunikationsverweigerung, sondern rechnet auf
Einbruchstellen in einem Bewusstsein, das nicht die Option besitzt, seine
Welterschließung exklusiv zu sichern. Hier könnte Samuel Huntingtons
These vom „Clash of civilizations“, die den Kampf der Ethnien und
Religionen als kriegerische Vision entwirft,
langfristig ihre Widerlegung finden. Sollte der Import von ziviler
wie militärischer Westtechnologie bereits die Assimilierung für ein
Bewusstsein westlichen Zuschnitts einleiten? Zumindest dürfte dieser
kolonialistische Kurzschluss von „Kultur und Imperialismus“ in den
westlichen Visionen eines homogenen Glückseligkeitsanspruchs für die
ganze Menschheit noch genügend ideologischen Sprengstoff bergen.
Militärisch
betrachtet gibt es wegen der Rekursivität von Kommunikationen aber keine
intellektuelle Firewall, die Gegenangriffe auf das eigene Bewusstsein
ausschließt. So produzierten die Attentäter des 11. September
ein Symbol, das der cineastisch konditionierten Bildwelt des
Westens verpflichtet war, obwohl sie aus einer tendenziell
bilderfeindlichen Kultur heraus operierten. Diesen Kombattanten war klar,
dass die Aufmerksamkeitsstruktur des Gegners besonders gut ausgenutzt
werden konnte, wenn man ihm seine eigenen fiktiven Bilder als reales
Feed-back vorspielt – so wie schon Karl Marx empfohlen hatte, den
versteinerten Verhältnissen ihre eigene Melodie vorzuspielen, um sie
tanzen zu lassen.
Informationsgesellschaften
sind für diese Kriegführung besonders anfällig, weil Systeme Komplexität
reduzieren können, das global vor den Monitoren vergesellschaftete
Individuum aber selbst nicht über einen wirksamen Code verfügt, sich
solchen Angriffen lebensweltlich zu entziehen. Diese Angst des Westens ist
schon in die Jahre gekommen. So wurde bereits der Vietnamkrieg als
Wohnzimmerkrieg tituliert, der nach Colin Powell und anderen in den
Medien, also den Bewusstseinen, verloren wurde. Der zentrale
Medienkriegsgewinn war immerhin ein medienabhängiges „Dolchstoß-Axiom“,
das Politik und Militär von Verantwortung freizeichnet.
Solange
Bewusstseinskriege unter massenmedialen Voraussetzungen stattfinden, können
Semantiken, Leitimages, Codes etc. strukturell gleichgeschaltet werden.
Amerikanische Informationskrieger beklagen mit wechselndem Vorzeichen aber
bereits den gesellschaftlichen Pluralismus als Hemmschuh ihrer Ambitionen.
Relativiert sich dagegen zukünftig die Broadcast-Struktur, werden
Informations- und Kommunikationssysteme für den Einzelnen
instrumentalisierbar, wird die klassisch propagandistische
Topdown-Informationsherrschaft gefährdet. Nicht nur der einzelne Hacker,
der für Stunden ein Weltunternehmen in die Knie zwingt, wird so zum neuen
Heros individueller Informationsstärke. Die dispersive Streuwirkung, die
zuvor etwa dem politisch relativ folgenlosen Flüsterwitz vorbehalten war,
wird im Internet zum Effekt von leicht verfügbaren Jedermann-Kampfmitteln.
Potenziell gewährt das Internet seinen Protagonisten Verbreitungseffekte,
die mit massenmedialen Eindämmungen oder gar klassischer Zensur immer
schlechter zu kontern sind. Die Macht von CNN muss sich dann nicht allein
gegenüber al-jazeera beweisen, sondern sich auf einem multipolaren
Informationsgefechtsfeld bewähren, das sich in nicht kalkulierbarer Weise
vernetzt und die Frage der kriegerischen Urheberschaft zum unendlichen
Regress machen könnte. Das Netz ist ein
Schlachtfeld hoher Diffusität, das anonyme Kombattanten genauso generiert
wie Staats-Hacker und vielleicht auch die „Condottiere der neuen
Kampfzonen“ (Friedrich Kittler), die
den Code beherrschen. Wie das klassische Schlachtfeld den zwar vernetzten,
aber autonom mit Top-Sight-Eigenschaften gerüsteten Krieger hervorruft,
produziert das Netz Kombattanten, die in ihren stellungslosen Positionen
der klassischen Kriegführung wie unberechenbare Querschläger erscheinen.
Das Ideal dauerhafter Informationsdominanz bleibt unter den Bedingungen
des Netzes eine Chimäre, zumal Technologien ohnehin unter dem
historischen Dauervorbehalt ihrer Überbietbarkeit stehen.
Der
Informationskrieg
ist als Aufrüstung klassischer Kriegführung effektiv, solange er als „command and control warfare“ das reale Terrain
sondiert und die Wahrnehmungsmedien technologisch weniger avancierter
Feinde zerschlägt, wie es im Golfkrieg möglich war. Die Versuche, das
Internet zu vermachten, es so zu kontrollieren wie den klassischen
gesellschaftlichen Raum, dürften in der uns bekannten dispersiven
Struktur langfristig sinnlos sein. Bereits die Verbrechenbekämpfung im
Internet zeigt, wie überlastet klassische Fahndungs- und Aufklärungsmittel
gegenüber globalen Netzwerken sind. Die Überformung dieses Netzes in
eine orwellianische Kontrollgesellschaft mag zwar die heiligste
Anstrengung von Staaten und Staatenbündnissen bleiben, aber wenn diese
Kommunikationstechnologie nicht selbst liquidiert wird, werden die
Kontrollmechanismen an ihrem eigenen „information overload“
irrewerden. Da neoliberale, kapitalistische, global agierende
Gesellschaften auf die ungehinderte Fluktuation von Geld- und Warenströmen
nicht verzichten werden, kann ihnen weder die Korruption des Netzes
angelegen sein, noch kann die kriegerische Besetzung medialer
Voraussetzungen dieser Beschleunigungsformen vermieden werden.
Informationsgesellschaften produzieren mit dem Informationsaustausch,
Technologietransfer und ökonomischen Strömen zugleich die
Einbruchstellen ihrer Herrschaft. War zuvor der urbane Dschungel ein
geeignetes Terrain für kriminelle Handlungsmöglichkeiten, wird der
Netzdschungel zu einem privilegierten Ort von Kombattanten im
Informationskrieg, die weder Staat noch Gesellschaft verpflichtet sind und
sich diesseits wie jenseits des Netzes bewegen.
IV.
Selbstauflösung des Krieges
Toynbee
war überzeugt, dass der Krieg der Zukunft sich entweder zu einem
Militarismus ohne jede Spur von Schönheit und Tugend pervertiert oder der
materielle Krieg der Menschen untereinander in „einem geistigen Kampf
aller im Dienste Gottes gegen die Mächte des Bösen vereinigten
Menschen“ umgewandelt wird.
In dieser Alternative steckt die Hoffnung auf die agonalen Spiele, die den
Krieg zum Wettbewerb des homo ludens zivilisieren, ihm die Gewalt
amputieren. Toynbees Hoffnung auf die paulinische Verkündung der
„Civitas Dei“, dass der „Krieg“ zur Metapher werde und Menschen
darunter nur noch den „Krieg des Geistes“ verstehen, ist ein weiterer
schöner Traum der Kriegsaustreibung, der auch von Bewohnern des
Cyberspace mitunter propagiert wird.
Der friedliche Krieg des Geistes, dieser pazifistische Hybrid aus
blutleerem Kampf und ideeller Sphärenharmonie, könnte aber nur dann mit
dem „Krieg der Körper“ konkurrieren, wenn er libidinös besetzt wäre. Als Unterschied zwischen Krieg und Wettbewerb gilt der
Einsatz der Existenz, der mit Sartre den Krieg zwar nicht rechtfertigt,
ihm aber wenigstens das abgewinnt, was ihn einzigartig macht.
Hat
der Krieg in der evolutionären Entwicklung eine weiterreichende Funktion?
Sieg oder Niederlage könnten genauso vordergründige Erklärungsprinzipien
sein wie Aggressionstrieb, Tötungsrausch oder Existenzerlebnis.
Sollte der Krieg hinter menschlichen Rationalisierungen, zu denen auch die
Rede von seiner Irrationalität gehört, nur auf emergente Zustände
zivilisatorischer Entwicklungen von Wissenschaft, Technik und Organisation
zielen?
Wäre der Krieg doch wider Clausewitz gesprochen ein „selbständiges
Ding“,
Teil jedes zivilisatorischen Betriebssystems und kein behebbares Versagen
der atavistischen, unverbesserlichen Menschennatur? Vielleicht ist also
nicht nur, wie Picasso befand, ein Bild die „Summe seiner Zerstörungen“,
sondern Zivilisationen dem selbstreproduktiven Wechselspiel destruktiver
wie konstruktiver Momente unterworfen. Hat Heraklit auch unter den Prämissen
eines systemischen Kriegsverständnisses Recht? Ein ungebrochener
Konstruktivismus, der utopisch Tod, Zerstörung und Neubeginn austreiben
will, findet zumindest in dem uns bekannten Selbstschöpfungsmodus der
Welt keine Präzedenzen. Friedensprospekte bleiben auch in der Theorie,
einschließlich der kantianischen Verheißung des ewigen Friedens, zumeist
blasse Ableger des schrecklichen Andenkens an den Krieg. So wenig man
Krieg mit Frieden bekämpfen kann, so wenig Kraft liegt in Appellen wie
„Die Waffen nieder“, weil sie nicht in das evolutionäre System des
Krieges selbst eindringen, sondern seine Differenz zu utopischen Wünschbarkeiten
nur bekräftigen. John Keegan hat mit beachtlichem historischem Material
gezeigt, dass die „Kultur des Krieges“ gleichwohl regelmäßig nicht
in der Totalisierung des Konflikts endete, sondern von Prinzipien
freiwilliger Begrenzung und symbolischen Ritualen der Gefahrvermeidung
geleitet wurde.
Kriege haben selbst in der permanenten Verstärkung ihrer
Technologiepotentiale zugleich auch Mechanismen ihrer Selbstbegrenzung
mitproduziert, die erheblich effizienter als die Palliative der
Friedensbewegungen waren. Vielleicht also liegt vor der immer wieder
beschworenen Apokalypse
ein noch unbekannter evolutionärer Riegel, der die finale Katastrophe
weder in Giganto- noch Sphäromachien zulässt, ohne in seinem
Verschlussmechanismus auf die Aufklärung des Menschentiers – weder im
philosophischen noch gar im militärischen Sinn - angewiesen zu sein. Der
Krieg bliebe darin eine konstruktive Zukunftsfigur, ein erfolgreicher
Teilnehmer an Utopien wie Dystopien – so wenig seine zukünftigen Opfer
auch davon profitieren werden.
Goedart
Palm
Anmerkungen:
Bereits die Zentauren, um nur ein Beispiel zu nennen, sind nichts
anderes als Reiterkampffantasien, die die relative Schwerfälligkeit
von Reiter und Pferd in einen virtuellen Körper zwingen.
Recently, analysts in the United States have started calling them RMAs.
This change in terminology was meant to capture the nontechnical
dimensions of military organizations and operations, the sum of which
provide a large part of overall military capabilities. So Jeffrey
McKitrick, James Blackwell u.a.,
The
Revolution in Military Affairs, in: Battlefield of the Future, http://www.airpower.maxwell.af.mil/airchronicles/battle/chp3.html.
„But I can tell you, when they went on the ground, they also had
some of the most incredible and highly technologically capable assets
with them that this nation is able to produce, which -- so the
combination of their willingness to rise up and exercise their
intellectual flexibility and do the right things with saddles and
horse-riding and that coupled with some of the best technological
capabilities we were able to give them produced the result that I
think we've all seen.“ General Franks anlässlich der Ansprache von
Secretary Rumsfeld zu "21st Century Transformation" of U.S.
Armed Forces (transcript of remarks and question and answer period)
Remarks as Delivered by Secretary of Defense Donald Rumsfeld, National
Defense University, Fort McNair, Washington, D.C., Thursday, January
31, 2002.
Mit dem von Friedrich Kittler immer wieder betonten „Reverse
Engineering“ wird die Feindaufklärung, d.h. die Kopie seiner
Technologie eben erschwinglich.
Winn Schwartau: „The
Information Warrior will massage the new perception into a new reality.
Once people hear that a bank just might be shaky, they will
take out their money to avoid being victimized. The bank then will
actually be shaky, which is exactly what the Information Warrior
wanted to achieve.“
Janet H. Beavin, Don
D. Jackson, Paul Watzlawick, Menschliche Kommunikation 1967, S.
53
Cyberwar bezeichnet die virtuelle Kriegführung im Bereich klassischer
Konflikte, der vor allem im Begriff des „command and control warfare“
die Informationsherrschaft auf dem elektronischen wie realen
Schlachtfeld sicher stellen will.
Exkurs:
Die Zukunft
des Internet
Weitere
Texte auf Telepolis/Heise zum Thema "Zukunft"
Zur Zukunft des Journalismus: Journalismus
und Mediendämmerung - Zum
Strukturwandel der virtuell irritierten Öffentlichkeit
Zum
Krieg der Zukunft (Dieser Essay ist nicht identisch mit
dem bei Suhrkamp erschienenen Text)
Zur "Digitalen
Malerei" mit einigen Ausblicken auf zukünftige
Malerei
Goedart Palm im Gespräch mit
Hanna Haag über Informationskriege, das geräuschvolle Treiben
im Meinungsmeer und den aufgeklärten Homunkulus: Rufe
im lauten Ozean
„Ich habe den Eindruck, dass
Menschen häufig mit technischen Möglichkeiten dastehen, die in ihren
Händen nur leere und inhaltslose Instrumente sind.“
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