Exkurs zum Zeitgeist:
Romantische Restposten
Das gegenwärtig
neu entdeckte Lebensgefühl der Romantik funktioniert ähnlich wie die
seinerzeit von Charles Wilp ozeanisch angerührte "Afri-Cola"
– alles ist in dieser schwarzen Suppe enthalten, es kommt jetzt nur
noch darauf an, es auch herauszuschlürfen. Wildromantisches und vor
allem Banalromantisches wird heute mit viel Publikumsbeifall in die
Kiste folgenloser Clownerien verräumt – zu Recht oder zu Unrecht ist
dabei die Frage, die kaum einer glaubt entscheiden zu müssen.
Jonathan Meese, Christoph Schlingensief,
Christoph Marthaler sind etwa solche Romantiker, die durch den (neo)dadaistischen
Windkanal geschickt wurden, um nun im selbstbezüglichen "System
Kunst" gut kontrolliert, wildromantische Entspannungsfantasien für
Bürger zu garantieren, die vor allem Angst haben, Spießer zu sein und
sich aus psychohygienischen Gründen erregen wollen oder müssen. Auch
das ist natürlich typisch deutsch, die Beteiligten, spätromantische Künstler
und tabuverletzungsbedürftiges Publikum sind Komplizen, die sich
folgenlos beschimpfen und darin ihren Frieden finden. Schon zuvor hatte
Joseph Beuys das romantische Ideal "Kunst = Leben" so
erfolgreich in hermetisch plakative Formen gegossen, dass die kryptische
Romantik zu einem deutschen Exportschlager des internationalen
Kunstmarkts mutierte. Das klassische Ideal der Schönheit mag dabei auf
der historischen Strecke bleiben, die sakrosankte Wahrheit zum
Treppenwitz verkommen und die Moral stinken. Doch das
"Interessante" bahnt sich nach Schlegel seinen Weg, der mit
diesem Diktum als Kassandra unseres Kulturbetriebs gelten darf. Übersetzt
für die Gegenwart heißt das also: die Unterhaltungs- und
Aufmerksamkeitskultur, die nicht nach Wahrheit und Werten, sondern
systemübergreifend nach dem Kitzel fragt, ist ergiebiger als die Trias
der ewigen Werte.
Belege für diese romantische Dauerdröhnung
finden sich nicht nur im angestrengten Kunstkommerz oder in der
romantischen Restpostenverwaltung in Bayreuth, sondern ökonomisch
relevanter, in den unzähligen überzuckerten Filmen aus Holly- und
Bollywood, in den trüben Gefühlsverkitschungen der Telenovelas bis hin
zum literarischen Elend der Bestseller. Diese variantenreiche
Kulturindustrie (de)kultiviert indes nicht nur den Massengeschmack und
entfremdet den Menschen in Warenbeziehungen, wie es Theodor W. Adorno
und Max Horkheimer beschrieben. Es geht um unverzichtbare Reaktionen auf
hungrige Gefühlswelten, die so direkt gestillt werden müssen wie
andere Fastfood-Bedürfnisse auch. Erst kommt der Klingelton, dann die
Kommunikation. Dabei ist die wichtigste Stimmung dieses Betriebs die zukünftige,
weil unsere Gegenwart ihr Bekenntnis vornehmlich darin findet, an die
Zukunft zu glauben. Neulich verriet ein Werbe-Zampano sein Weltwissen in
der Formel, die Männer seien nun nicht länger
"Zeitgeistverlierer", weil sie den
"Konsumhedonismus" entdeckt hätten. Selbst hinter
Neodadaismus, Neostrukturalismus oder Neo Rauch gibt es also noch
unbekannte Stimmungen, die auf neue, futuro-mantische Träumer warten.
"Gemüthererregungskunst" ist
seit dem frühen 19. Jahrhundert bis hin zu den gegenwärtigen populären
Niederungen der Comedy-Shows unabdingbar, weil hier so befreiend die spöttische
Geste gegenüber dem eigenen wie fremden Gefühl zum romantisch
ironischen Mehrwert wird. Die Varianten der romantischen Spätverfassungen
sind zahllos: Die Mädchen und Jünglinge dieser Tage mit verträumtem
Blick unter struppig verspielten Haaren sind allesamt Taugenichtse, wie
sie Eichendorff kreiert hat und enden wohl auch alle da, in ihren mehr
oder weniger beschaulichen Lebensverhältnissen, in denen die genannte
Angst, ein Spießer zu sein, sich in pure Lust verwandelt. Die Pop-Musik
quillt seit Jahrzehnten über vor romantischen Sehnsüchten, die in
allen Tonarten bedient, was der E-Musik-Konkurrenz, die im
19.Jahrhundert die Höhepunkte der Romantik erklomm, kaum mehr gelingt.
Auch wenn "candlelight dinners", Romantik-Urlaub oder "fashion
victims" als trivialisierte Schwundstufen erhabener Romantik
gelten, sind die romantischen Bedürfnisse unterschiedlicher
Erlebnis-Milieus so verschieden nicht.
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