Neue
Notizen (Februar 2002) von Goedart Palm
(Zitate bitte mit Verfasserangabe)
Freiheit, diese älteste Chimäre, die uns immer weitermachen
lässt...
Der Wille kann sich selbst nicht wollen, aber an sich müde
werden.
Er schrieb ins Unreine. Soll das heißen, dass seine Schrift
auch unter schmutzigen Bedingungen ihre Kontur bewahrte?
Der Vorteil von Sudelbüchern liegt in ihrer Unangreifbarkeit.
Da hast Du aber unschön gesudelt wird man wohl kaum sagen können.
Sudelbücher sind nur scheinbar ohne Prätention verfasst.
Lichtenberg kann als Gewährsmann für viele Gedanken
herangezogen werden, die erst nach ihm ihre Stunde haben. Aber die Ausformulierung des
Gedanken ist mehr als das.
Aphorismen nehmen sich das Recht heraus, sich über ihre
eigenen Widersprüche hinwegzusetzen.
Es ist zuvörderst eine Frage des Charakters, ob einer mit
festen Grundsätzen und präzisem Wissen auftritt. In einer Welt der Unsicherheiten wird
den Bescheidwissern eher geglaubt als den durchdringenden Zweiflern.
Er wusste weniger, als sein Wissen zuließ.
Allein die Unterscheidungen sagen etwas über die Qualität
des Denkens. Rhetorik heißt Unterscheidungen kollabieren zu lassen.
Scheingefechte von echten Unterscheidungen unterscheiden. Aber
wie?
Sicher sind alle Welträtsel schon einmal gelöst worden. Aber
deshalb erkennt man weder die Lösungen noch ist es wahrscheinlich, dass die Form der
Lösungen befriedigt.
Die Eleganz einer Lösung sagt vornehmlich etwas über die
Ästhetik des Betrachters. Könnte nicht ein anderer Betrachter mit anderen Maßstäben
anderes für elegant halten?
Die Welt als Rechenaufgabe? Eine gefährliche Metapher!
Er konnte gut rechnen also war er kreativ.
Zwar lassen sich Sätze mathematisch/aussagenlogisch
übersetzen, aber das ist ungefähr so, als ob man die Konstruktion für den Bau hält.
Eine Zeichnung von Escher kann auf eine mathematische
Konstruktion reduziert werden, aber dieses Vorgehen reduziert sie gerade um ihre
Bildhaftigkeit.
Was ich nicht weiß, macht mich heiß. Aber weiß ich auch
warum?
Ist es nicht ungerecht, dass die Wissenden immer den
Nichtwissenden vorgezogen werden? So erklären sich viele gesellschaftliche Spektakel, die
Wissende verursachen, weil das Nichtwissen keinen Stellenwert hat. Das Wissen folgt
oftmals einfachster Rhetorik: Fragen werden in Aussagen verwandelt und schon leiht die
Gesellschaft ihr Ohr. Mag diese Gesellschaft der Zuhörer begreifen, dass jedes klar
beschriebene Nichtwissen nicht weniger Rang besitzt als jenes Wissen, das rhetorischen
Finten folgt. Wie viel Wissen hat sich in aufgeklärtes Nichtwissen verwandelt.
Es ist nicht zu erklären, warum einer schreibt, sondern warum
einer nicht schreibt.
Jedes Schreiben schreibt zuletzt gegen seine eigene Form an.
Nicht anders das Denken. Danach wäre das Schreiben auf Selbstauflösung gerichtet. Die
Geschichte der Literatur ist ein Selbstauflösungsprozess der Form, der seine Vollendung
in Verweisungszusammenhängen findet, die die Formlosigkeit wieder als Form behandeln.
Das Wesen der Sprache liegt darin, ihr Wesen zu hintertreiben.
Die Sprache kann an sich selbst irrewerden, der Sprecher hat
aber die Macht, die Selbstläufigkeit der Sprache zu suspendieren.
Stil ist Charakter. Habe ich das gesagt?
Unsinnig zu glauben, ein und dieselbe Sache könnte
verschieden verfasst werden. Dann hätte Karl Kraus keine Zeile schreiben dürfen. Die
Fassung ist der Inhalt und das bestreiten vornehmlich jene, die fassungslos schreiben.
Gedanken sind keine Flüssigkeit, die in dieses oder jenes Gefäß geschüttet werden
könnten.
Stilisten mögen Lügner sein aber wenigstens in einer
Sache lügen sie nicht: Im Stil.
Selbstverständlich denkt die Sprache auch über ihren Urheber
hinaus. Aber entscheidend ist, ob der Urheber ihr dabei mehr oder weniger hilft. Hinter
jedem Unsinn versteckt sich mindestens eine Wahrheit, aber es braucht oft viel Sinn, um
sie zu heben.
Die Sprache verleitet uns dazu, Aussagen zu machen. Das gibt
anderen Gelegenheit, neue Aussagen zu machen.
Begreifen: eine Affenhaltung.
Wahrheit gibt es nicht an sich, sondern nur in
Bezug auf einen Gegenstand. Es ist deshalb paradox, allgemein die Wahrheit zu lieben, ohne
anzugeben, welchen Gegenstand ich meine. Lügen sind Wahrheiten, die eben dem Gegenüber
keinen Aufschluss geben, welche Wahrheit ich meine. Noch der kleinste Lügner glaubt an
seine Wahrheit, die er verbergen will.
Wenn die Welt der Lüge folgt, wären Lügner die wahren
Helden dieser Welt.
Jedes Leben ist eine Selbstinszenierung
Die Welt will angeblich entdeckt werden. Aber das heißt noch
nicht, dass es ein letztes Weltgeheimnis gibt, das zum Schluss enträtselt werden muss, um
alles zu verstehen. Erst wenn man versteht, dass auch das Verstehen lediglich ein Gerüst
ist, mag ein anderes Weltverhältnis möglich werden.
Sind nicht alle Geschenke, die wir entpacken müssen,
pädagogische Metaphern, die Welt als Geheimnis zu verstehen?
Am ehesten wollte er einer Wahrheit folgen, die so allgemein
wäre, dass sie jeden Schluss zulässt.
Virtualität ist eine Wahrheit, die sich selbst verlassen
kann, ohne in Widersprüche zu geraten.
Die Wahrheit der Menschen folgt der menschlichen Anatomie.
Hirn und Herz prägen diese Wahrheit.
Ist Erkenntnisstreben nicht ein Beweis für die Unfreiheit des
Menschen?
Wahrheiten sind stimmungsabhängig. Enthüllen Stimmungen die
Neigung der Welt, etwas über sich zu erfahren, mehr als die Wahrheit? Sind
Gefühle weltnäher als Wahrheiten? Die alte Trennung von Rationalität, die Wahrheit
reklamiert, und Emotionalität, ist längst obsolet. Letztlich wäre jede Wahrheit ohne
das Gefühl entwurzelt.
Denker, die ungefährlich sind, sind keine.
Nietzsche ist ungefährlicher als viele Philosophen, weil es
hier nie an Hinweisschildern und Warnungen fehlt, nicht ins Verderben zu laufen. Wie bei
allen Warnungen sind sie aber zuletzt eine Sicherheit.
Wer sich auf fremde Gedanken einlässt, muss damit rechnen,
darin umzukommen. Wo Gefahr ist, gibt es oft nichts Rettendes mehr. Der arme Hölderlin...
Je länger einer fremde Gedanken zulässt, umso mehr entfernt
er sich von sich selbst um zu sich selbst zu kommen. Sollte das Selbst
eine Kondition sein, die ihr Zentrum nur in der Flucht findet?
Wenn einer über fremde Gedanken klagt, sollte er sich neu
einrichten. Gedanken sollen wie Polster sein.
Marinade. Einer legte seine Gedanken in Theorie ein.
Einer hat eine Email-Software, die Zitate farbig hervorhebt.
Noch besser fände ich ein Markierungssystem, das Wahrheiten farbig markiert?
Wahrheit ist nicht nur das Nützliche, sondern auch das
Bequeme. Nur hat jeder eine andere geistige Ergonomie. Das macht fremde Gedanken oft so
unbequem.
Das Bewusstsein ist ein Selbstschutzmechanismus, deshalb soll
man sein Bewusstsein hegen und pflegen. Die Zumutungen der Welt sind immer zugleich
Angriffe auf den Gleichgewichtssinn des Bewusstseins. So wird immer der am besten
geschützt sein, der Widersprüche hinnimmt. Kein Fatalismus des Handelns, sondern ein
Fatalismus des Denkens. Aber wird einer vielleicht dann um Erkenntnisfreuden gebracht?
Antikartesianisch. Es gibt weder Körper noch Geist, sondern
nur Ereignisse. Wer hier ansetzt, muss nicht länger ergebnislosen Schattengefechten
zwischen Körper und Geist Beachtung schenken.
Jedes philosophische Problem löst sich, wenn man die
Prämissen wechselt. Sollte die Philosophie nur eine selbst veranstaltete Verunsicherung
sein?
Die Welt ist alles, was der Fall ist ist der
unsinnigste Satz der bisherigen Philosophie.
Überhaupt sind alle Sätze der Philosophie, die die Welt als
Begriff behandeln, logische Provokationen. Denn was sollte hier noch differenziert werden?
Aber Mensch ist auch ein Begriff, der aus dem Ruder der Unterscheidung läuft.
Nur besser getarnt, aber desto gefährlicher.
Philosophie wirft keine Probleme auf, wenn man sie nicht in
das Bewusstsein hereinlässt. Siehe etwa Descartes. Warum erscheint ein täuschender
Dämon? Weil Descartes es wollen muss, ihn auftreten zu lassen.
Philosophische Zweifel sind Selbstzweifel. Aber mit der
ungeheuren Energie, die ganze Welt zum Kronzeugen des verunsicherten Selbst zu machen.
Es gibt unbequeme Lügen. Für den Angelogenen!
Aus unklaren Gedanken lassen sich mitunter sehr klare Gedanken
entwickeln.
Der Humus der Wahrheit folgt keinem Reinheitsgebot.
Jenseits der Philosophie wieder denken lernen?
Ein Denken, das sich von der Philosophie frei macht, wird
schließlich doch der Philosophie wieder zugeschlagen.
Terminologien sind nicht austauschbar.
Man raubte ihm seinen Zettelkasten und schon lag er wie eine
Schildkröte auf dem Rücken und zitierte nur noch kläglich.
Jeder Realismus muss an sich selbst irrewerden, weil sein
Gegenstandsfeld mit jeder Aussage wächst ad infinitum.
Und wenn die Welt nicht erkannt, sondern nur hergestellt
werden wollte?
Zweifelsohne gibt es die Welt für Menschen nicht, da sie jede
Unterscheidung zunichte machen würde. Somit kann man die Welt auch nicht
begreifen, weil das eine Welt jenseits der Welt voraussetzte. Also ist jedes
letztes Verständnis eine Illusion. Draw a distinction (Spencer Brown) ist ein
Lehrsatz für Weltenbauer.
Dilemma. Von der Welt zu sprechen, ist
philosophisch widersinnig. Es nicht zu tun, ist eine Offenbarungserklärung.
Demnach wäre Offenbarung nichts anderes als das Verständnis des
Nichtverstehenkönnens. Aber dieser Stachel reicht aus, wie etwa Sokrates´ Nichtwissen
zeigt, solange weiterzumachen, bis eine Lebenszeit beendet ist.
Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass eine Welt, die weder
geschöpft noch nicht geschöpft sein kann, zu verstehen ist.
Die Weltformel kann nur ein Bauprinzip sein. Aber was erklärt
das schon?
Sich von der Naivität befreien, etwas zu erklären, das jeder
Erklärung vorgeht.
Das Bewusstsein löst nur seine eigene Probleme. Es ist nicht
nur als Welterkenntnisinstrument zuletzt untauglich. Die Welt unterläuft jede Erkenntnis.
Wer es mit der Welt aufnehmen will, sollte zunächst
begreifen, dass sich die Welt nicht begreifen lassen will. Ein sprödes Weib?
Erkenntnis ist Arbeit. Aber warum sollte es Arbeit sein, eine
Welt in Gang zu setzen?
Transzendenz ist ein unmöglicher Modus. Aber wer glaubt das
schon, wenn er einen Berg besteigen will?
Der Gipfelblick beglückt den Gipfel.
Wie lange läuft einer gegen die Wand, bis er begreift, dass
Wörter um Nichts? Jede Sprache hat ihren Gegenstand. Deshalb
muss zuletzt jede reine Poesie scheitern.
Man kann keine unsinnigen Sätze sprechen. Jeder Unsinn tarnt
seinen Sinn. Psychologen sind Sinnsucher.
Die Grenzen der Sprache sind nie die Grenzen meiner Welt,
sondern .
Die Sprache ist ein mächtiges Gerüst, das den Bau verdeckt.
Metaphernelend in der Philosophie.
Keine Philosophie, die sich nicht zuletzt in ihrer Ethik
beweisen möchte. Aber nicht nur Kant hatte die Schwierigkeit, dass die Ethik einem Denken
nachträglich aufgesetzt wird gleich einer Glasur, die das Denken schöner machen
soll.
Auch der Konstruktivismus ist eine Konstruktion.
Der Konstruktivismus ist eine notwendige Selbstbescheidung,
die aber die Frage nach der wirklichen Wirklichkeit nicht zum Verstummen bringt.
Gibt es Konstruktionen, die kein Fundament haben?
Nie hat einer behauptet, die Welt habe Konstruktionselemente,
die unter keiner Voraussetzung miteinander eine Verbindung eingehen können. Insofern hat
man sich an den Gedanken der Nichterkennbarkeit des Seins gewöhnt, aber schlimmer wäre
die Vorstellung, es gäbe unverbundene Elemente, die sich auch in einer Ewigkeit nicht
berühren können.
Ist nicht Philosophie zuvörderst der Wille zur Verbindung?
Auch wenn ein Universalprinzip bestritten wird, bestreitet
niemand, dass das Ganze das Ganze ist.
Wahre Freiheit wäre das Unverbundene. Aber wer denkt, es
gäbe zwei Dinge, die unverbunden sind, gerät sofort in einen logischen
Regress, wenn er sie benennt. Die Sprache als Mörtel...
Ein Mosaik, dessen Teile nur auf sich zurückverweisen.
Erkenntnis ist der Schrecken gegenüber dem Nichterkannten.
Der Widerwille gegen die Wahrheit wäre eine andere Art von
Philosophie.
Gibt es Antiphilosophen? Aus Liebe zur Wahrheit?
Und wenn die Wahrheit wandelbar wäre?
Nicht auflösbare Widersprüche als Motor der Entwicklung.
Eine Welt ohne Synthese als ihr Geschäftsprinzip.
Die Sprache folgt bekanntlich vielen Vorurteilen. Aber wie
wundersam: Das vermag sie zu erkennen. Oder wäre das nur ein anderes Vorurteil?
Hühner sind wahre Konstruktivisten. Ihre Radikalität: Sie
legen Eier. Frische Eier, Wirklich frische Eier (Luhmann nach Dennett/Needham). Und Ihr
Gackern ist ein zutiefst menschliches Sprachspiel, das gar nicht missverstanden werden
kann, weil auch jeder Eierkopf sofort versteht, um was es geht: Wirklich frische Eier.
Während also Philosophen in einer Lebenszeit oft nur brüten, ohne wirklich frische
Eier zu legen, konstruieren Hühner fortwährend Wirklichkeit. Und diese
Wirklichkeit ist so genießbar, um nicht viabel zu sagen, dass Menschen und
Hühner nicht nur zu Ostern ein mutual understanding verbindet, so lange wir
mal den Gedanken an Legebatterien zur Seite schieben. So sollen sie lange leben: die
radikalen Freilandhühner!
Zu
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