"Just
what is it that makes today´s homes so different, so appealing?" lautete die Frage
von Richard Hamiltons frühe Popcollage zu den Lebensentwürfen der Warenwirklichkeit, die
keine wahre Wirklichkeit mehr kennt. Nicht nur in den medialen Schlinggewächsen von
Fernsehen, Werbung und instantanem Wissen sind die Grundfesten der Existenz in
gefährliche Wallung geraten. Wurde das vormals so selbstgewisse Subjekt der Aufklärung
in der Entzauberung der Werte, in der Dialektik der Aufklärung in seinem aufrechten Gang
verunsichert, stolpern wir, haltlose Zeitgenossen, in der Beschleunigung einer digital
vernetzten, virtuellen und katastrophischen Weltgesellschaft in immer neue Fallen unseres
fragilen Weltverhältnisses.
Die müden Zeitgeister reagieren mit
"Anything goes", der lakonischen Blankovollmacht in Philosophie, Kunst,
Wissenschaft, aber auch für die zeitgenössische Existenz in allen übrigen Fassetten.
Zugleich gilt das Paradox, dass oft gar nichts mehr geht, weil der Freihandel der
Wahrheiten und Werte das Subjekt orientierungslos flottieren lässt. "Wie lebt man
also?" lautet die kategorische Frage der späten Moderne, auf die kein eilfertiger
Imperativ mehr kategorisch antworten will. Der Berliner Philosoph Wilhelm Schmid befragt
die Philosophie, die sich nicht länger hinter ihrem Kathederwissen für müßige
Peripatetiker verschanzen kann, wenn sie eine Existenzberechtigung für den rasenden
Zeitgenossen nachweisen will.
Wir vertrauen nicht länger auf behäbige
Systemwelten, die das Wirkliche als das Vernünftige ausgaben, noch weniger auf negative
Dialektiken, die dem Bestehenden quittierten, die falschen Verhältnisse zu sein. Es mag
kein richtiges Leben im falschen geben, aber es gibt kein anderes. Die philosophische
Anstrengung Schmids zielt darauf, ein anderes Denken und demgemäß gewitztere Seinsweisen
zu entwickeln - Philosophie, Kunst und Alltagsleben verschränkend, immer eingedenk der
unbequemen Einsicht Nietzsches, dass man zu Grunde geht, wenn man zu den Gründen geht.
Schmids Philosophie der Lebenskunst
knüpft an die besseren Restposten der abendländischen Philosophie an, um das fruchtbar
werden zu lassen, was nach der Demontage der Werte, der Wahrheit und damit der Philosophie
selbst übrig geblieben ist. Und Schmid zeigt, dass das alles andere als eine postmoderne
Konkursmasse ist, die zur Befriedigung der ungläubigen Gläubiger nicht mehr ausreicht.
In Fortführung seiner bisherigen Abhandlungen mobilisiert er in einem gewaltigen Parcours
antike Lebensphilosophien, die essayistischen Selbstentwürfe Montaignes, die
lebensphilosophische Neubestimmung der Hermeneutik durch Dilthey, Foucaults
Macht-Lust-Diskurs, aber auch die quälenden Aporien der Moderne, die noch immer einer
Antwort harren.
Längst sind in der ökologischen
Drohgestalt der Erde, der gentechnologischen Manipulierbarkeit von Mensch und Natur, der
Virtualisierung von Raum und Zeit Phänomene der Weltveränderung aufgetreten, die noch
radikaler in die menschliche Konstitution eingreifen, als es klassische Angriffe auf die
menschliche Zentralperspektive vermochten.
In der Ästhetik der Existenz werden
prämoderne und "andersmoderne" Techniken der Sorge um sich selbst, Ironie,
Maß, Muße, Gelassenheit wieder entdeckt. Schmids philosophische Grundlegung der
Lebenskunst will gleichwohl alles andere als das Vademecum eines glücklicheren Lebens
sein. Nicht nur Kant und Foucault hegten wohlbegründete Zweifel gegenüber dem
Glückseligkeitsanspruch der menschlichen Existenz. Gegen die uneingelöste "promesse
de bonheur" werden Techniken unabdingbar, mit Leid und Leidenschaften, Zufall und
Kontingenz, Alter, Krankheit und Tod umzugehen. Aber wir wissen auch um "purpurne
Stunden" (Oscar Wilde), ewige Augenblicke, dionysische Lüste, die untrennbar den
Fährnissen der Existenz verbunden sind. So bleiben die Grunderfahrungen menschlicher
Existenz der Reflektionsstoff praktischer Philosophie, neu aber sind die Gestalten der
Katastrophen, der unübersichtlich gewordene Zusammenhang von individuellen und
kollektiven Heils- sowie Unheilsgeschichten. Philosophie der Lebenskunst bescheidet sich
nicht in der Selbstvergessenheit der Weltflucht, sondern avanciert zum selbstkritischen
Vermittlungsmodus von Individuum und Gesellschaft, zu einer politischen Veranstaltung des
Selbst aus dem Geist des Anderen.
Auf der Bühne des menschlichen
Katastrophentheaters erscheint somit der Vorschein eines neuen Selbst - mit sich trotz
seiner Widersprüche identisch, ein Durchzugsfeld gesellschaftlicher Energien, eine
polyfone Stimmung, die gleichwohl nicht auf Kohärenz verzichtet. Kein Subjekt einer
wohlversicherten Identität, sondern eine multiple, aber gesunde Persönlichkeit gilt es
zu entwerfen. Keine transzendente Rückversicherung, sondern eine ethisch-asketische,
säkulare Seinsweise ist zu entwickeln, die sich gleichwohl den Luxus gestatten kann,
lustvoll, aber auch gleichmütig zu sein. Wer wissen will, wie in der Spätmoderne gelebt
werden kann, wird seine eigene Existenz als nichtarchimedisches Experiment begreifen, wird
seine Gewohnheiten immer wieder auf den Prüfstand schicken und auf ihnen wie auf einer
Klaviatur des besseren Lebens spielen. Schmid zeigt, dass alte Frontstellungen der
Philosophie, Selbst und Anderer, Identität und Entfremdung, Individuum und Gesellschaft,
kollabieren. Auch wenn nichts mehr verlässlich ist, heißt das eben nicht, dass der
Mensch verlassen wäre. Wir beobachten die Geburt des Selbst aus dem Geist des Anderen,
sodass Schmid gegenüber den ausklingenden Eruptionen der Postmoderne, die nur noch ein
Gelächter für den abendländischen Rationalismus übrig hatte, eine andere,
verantwortlichere Moderne konzipieren kann.
Schmid entledigt sich nicht, wie etwa die
Denker des posthistoire, der Errungenschaften der Aufklärung, sondern plädiert für eine
zweite Aufklärung, die über sich selbst aufgeklärt ist und sich von dem Glauben an die
totale Rationalisierbarkeit der Lebens- und Gesellschaftsentwürfe befreit. So kann man
erst wieder autonom werden, wenn man begreift, dass Autonomie den Untiefen des Lebens
unterworfen bleibt.
Aber nicht auf den hypertrophen
Bildschirmen der "Welt da draußen", sondern auf den inneren Monitoren werden
die Bilder geformt, die die Welt bestimmen. Sorge um sich selbst heißt nicht erst seit
heute Sorge um den Anderen, Sorge um die Weltgesellschaft, weil ab jetzt kein Sein mehr
behaupten kann, von dem anderen unabhängig zu sein. Weder das kollektivierte Individuum
der Massengesellschaft, die sich spätestens im Internet mit unübersichtlichen
Sender-Empfänger-Verhältnissen auflöst, noch die klassische Staatsräson im Vertrauen
auf die gute Politik können uns als Remedien gegen die "katastro-phile"
Verfassung der Welt dienen. Menschheitsräson, Druck von unten auf die Weltgesellschaft
werden gegenüber den Provokationen einer aus den Fugen geratenen Zeit notwendig. In
dieser Horizonterweiterung, aufgezwungen durch eine rasende Gegenwart, die immer schon
Zukunft sein will, werden antike und prämoderne Lebenskonzepte wiederbelebbar, weil sie
sich schon je einer simplen Fortschrittslogik widersetzten und den
(Selbst)Gewissheitsverlusten des späteuropäischen Bewusstseins zwar nicht seine vormals
transzendentale Sicherheit zurückgeben können, aber die relative Autonomie, die das
Leben lebbar macht.
Mit Schmid müssen wir uns zumindest von
alten Gegensätzen trennen, weder Subjekt noch Objekt, Sosein und Anderssein, Wirklichkeit
und Virtualität bewahren ihre klassische Form. Das Subjekt muss zeigen, ob es seiner
trägen Stammesgeschichte überlegen ist und die Lebenskunst, die eine Kunst des Selbst
ist, auch mit den Anforderungen fertig wird, die seine raumzeitliche Geworfenheit
unendlich provozieren. Die Lektüre der wichtigen Untersuchung von Schmid und ihre
lebenspraktische Fortführung durch den Leser mag dann die Haltegriffe schaffen, seine
eigene Existenz immer wieder der Kritik und Rekonstruktion zu unterziehen und sich in
klügerer Weise auf ein Spiel einzulassen, das Leben heißt.
Dr. Goedart Palm
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