Zyniker sind Menschen, die ihren Reim auf
die Verhältnisse so formulieren, wie die Verhältnisse es nun mal brauchen. Der Zyniker
identifiziert sich mit den Verhältnissen, um sich darin über sie
hinwegzusetzen. So
weit, so paradox. Die Paradoxie löst sich schnell auf, wenn der Zyniker seine
gefährliche Affirmation moralisch werden lässt. Der Zyniker ist Moralist, aber das kann
er nicht ungestraft sagen, weil er sonst sein Selbstverständnis beschädigt. Die
Verhältnisse produzieren den Zyniker und nicht umgekehrt. Zynismus ist danach eine
moralische Überlebensform in zynischen Verhältnissen. Warum lässt sich die Kritik an
den Verhältnissen nicht einfach moralisch formulieren? Moralisten machen Formfehler. Man
glaubt ihnen nicht, weil sie so unangefochten von den Verhältnissen über diesen stehen
wollen. Der Zyniker steckt dagegen im Schlamm der Verhältnisse, seine Transzendenz
verliert nicht die Bodenhaftung. Der Zyniker weiß, dass er durch diesen Humus geprägt
ist. Es bleibt eine Affinität zum Verfemten bestehen. Ablehnen kann nur der, der das
Abgelehnte intim kennt. In jedem Zyniker, so will es der Begriff des Herrschaftszynismus,
steckt auch ein heimlicher Apologet des Kritisierten. Dieser Schmerz ist die Energieform
des Zynismus. Vom Ironiker unterscheidet den Zyniker die moralische Ergriffenheit -
letzterer Begriff, um nicht Betroffenheit zu sagen, weil der Begriff nur noch betroffen
macht. Ironiker glasieren den Kuchen, der Zyniker spuckt ihn aus. Ironie ist versöhnlich,
Zynismus nicht.
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