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Conditio inhumana |
Verstreute Cybergramme von Goedart Palm
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....nicht alle links
sind bereits geschaltet.
Am Anfang war die Zerstörung. Glauben
wir der Thermodynamik, läuft die Welt aus dem Ruder, geradewegs ins Chaos, trotz aller Bemühungen einer ordnenden Vernunft. Vom
Urknall zur Gleichverteilung der Masse. Das klingt nicht konstruktiv. Picasso
konstatierte, dass ein Bild die Summe seiner Zerstörungen sei. Das mag man als Ausdruck
eines destruktiven Charakters nehmen, wenn nicht der Künstler offensichtlich zu den
produktivsten Schöpfern gehört hätte. "La guillotine est le chef-d´oeuvre de
lárt plastique" (Blaise Cendrars). Was wäre, wenn das Anfangsprinzip unseres
Weltverhältnisses Zerstörung wäre? Gehört zu jeder Konstruktion Zerstörung,
mindestens als imaginärer Überschuss? Wem eine Skulptur gelingen will, muss ein
gerüttelt Maß Aggression gegen den verbergenden Stein mitbringen. Zerschlagen, um zu
schöpfen. Sind wir auch die Produkte einer Zerstörung? |
Sediertes Denken. Man muss vermutlich als
ehemaliger Royalbeamter seine Pension auf dem Familienschloss verzehren, um gelassen über
den abgelaufenen Film gesellschaftlichen Lebens nachdenken. Die Provinz ist der
Meditationsort, die Stadt der Handlungsort und die Zukunft der Zustellort. Wer in der
freien, aber unreinen Stadtluft zum Denken gezwungen ist, wird unleidlich. Karl Kraus etwa, dem ohne Hasskäppchen
keine Sentenzen gelingen würden, der aber sein Gegenüber focussieren muss, um es zu
verachten. Deshalb fällt ihm auch zu Hitler
nichts mehr ein als eben das. Was? Eben alles. |
Subjektphilosophie.
Subjektphilosophie konstituiert eine abgeschlossene Kleinwelt, die der großen Welt
abgelistet, doch nie diese abbilden kann. Subjekte sind keine Welterkenntnisinstrumente
für sich. Mag das Ich auch mehr als eine Wartehalle der Empfindungen sein, reicht es doch
nicht aus, die Welt zu beschreiben. Welt ist nicht nur das Wahrgenommene. Mehr als
Sappeure in Froschaugenstellungen, aber viel weniger als panoptische Superpositionen sind
Subjekte Transmissionsagenturen des Weltwissens über sich selbst. |
Stress. Moderner Stress entsteht
durch wuchernde Verhaltenserwartungen einer Umwelt, die nicht in der Lage ist, die
Gesamtbelastung eines Menschen in Rechnung zu stellen. Erforderlich wäre eine Institution
wie ein Ministerium für Stressabbau - besserer Titul: Ministerium für Wohlfahrt -, das
die monatlichen Lebenshaltungskosten als psychohygienische Parameter behandelt. Unseren
öffentlichen Institutionen fehlt der Blick auf den ganzen Menschen. Die Vermittlung
gesellschaftlicher Analysen mit entsprechenden Synthesen steht noch aus. Wir meinen damit
nicht den holistischen Hokuspokus, der vom ganzen Menschen redet, während er nur den homo
irrealis über den Dächern der Verantwortung schwebend meint. Es geht um die Ermittlung
der Belastbarkeit des Menschen im Angesicht des verwalteten Lebens. Wie notwendig diese
Ermittlungen sind, demonstrieren die Verrohung des Alltags, die Entladungen der Gewalt,
der kollektive Frust, die politische Verdummung... |
Psychohygiene. Seelische Gesundheit
heißt in nuce, fremde Narrenhände nicht an der eigenen Feinmechanik herumspielen zu
lassen. Die projektiven Geister, die wir nicht riefen, schaffen es sonst noch, uns ihre
verkümmerten Selbstentwürfe als die eigenen zu verkaufen. Nur der sei ein Psycholog´,
der nicht das geringste Interesse für seine eigene Seele besitzt, weil da nichts zu
richten ist. |
Tagebücher. Tagebücher machen Sinn. Sie retten der Erinnerung die vielen
Partikel der Identität, machen das Leben rund und bedeutsam. Für Leser sind sie zumeist
eine Zumutung, da sich das konkrete Leben in seinem Zeitablauf als Sammelsurium der
Ereignisse darstellt. Erst in dem logischen Zirkel, der die Ereignisse zusammenfasst,
Kausalitäten und Emergenzen feststellt, erhält die Existenz eine Form. Mit anderen
Worten: Leser müssen Tagebücher umschreiben, müssen sie zurechtschneiden auf eine Form
des Lebens. Diese Art der Lektüre beinhaltet eine Kritik der Zeit, die gleichmäßig
Ereignisse produziert, ohne die inneren Verbindungen der Ereignisse in der Zeit aufzeigen
zu können. Erst wenn retrospektiv im Tagebuch das Leben passiert, werden Ereignisse zu
Strukturen legiert (legitimiert). Die nachträgliche Sinnstiftung des Lesers - auch der
Autor des Tagebuchs ist sein eigener Nachleser - ist eine alte Zeitbeherrschungstechnik. Je älter der Verfasser, umso mehr
erfahren wir über seine Zipperlein. Aber das Verhältnis, das einer zu seinen Gebrechen
einnimmt, entscheidet über Sympathie. Lichtenberg, in´s Leben greifen, obwohl nur
ein Körperchen. Nietzsche, der
aussichtslose Wille zur Gesundheit. Cioran, Schärfe aus Verbitterung. Pavese,
schon früh moribund. Rühmkorf, vital
gegenüber der Verwrackung. Tagebücher filtern, bis nur noch Extrakte den Autor
verschwinden lassen. |
Persönliche Geschichte. In
Tagebüchern wird die Identität hergestellt, die der Alltag nicht zulässt.
Aufgeschriebenes Leben als Form der Person. Aber steckt nicht in dieser Form die
abgrundtiefe Lüge, dass alles so gewesen ist, obwohl es doch zugleich immer anders war?
Die "Attraktoren" der persönlichen Geschichte blockieren Neuentwürfe. Wer neu
anfangen will, wer sich neu entwerfen will, sollte mit seiner persönlichen Geschichte
geizig umgehen. Mithin ist es nicht nur Feigheit, sich nicht zu erinnern (Canetti),
sondern Mut, vielleicht der größte Mut, den die Existenz aufzubieten hat. |
Selbsterkenntnis. Der Unterschied
zwischen Wahrnehmen und Erkennen bildet den Graben, den wir oft bei anderen für
übersprungen halten, weil wir für sie mitdenken. Trau´anderen nicht a priori mehr zu
als dir selbst. Leibniz ließ verlauten, dass er die Haltung einnahm, alles von
anderen Geschriebenes zunächst für wahr zu halten. Der Verführung durch das
Apodiktische, oft auf Grund marginaler Absicherungen wie der Objektivität des Gedruckten,
standzuhalten, das ist Stärke. |
Schlechte Zeiten für Visionäre.
Wer kann von sich sagen: "The ball I threw while playing in the park/Has not yet
reached the ground" (Dylan Thomas). Selbst in ihren spielerischen Entwürfen
werden die "Zukünftigen" ständig von der Gegenwart der Zukunft eingeholt.
Allein eine posttechnologische Futurologie mag diesen Ball noch werfen können, der den
Boden noch nicht berührt. |
Identitätskrisen. Enggewordene
Selbstverfassung des Humanen. Immer vergeblicher versuchen wir, ein
zentralperspektivisches Bedeutungsgefälle in unserem logischen Lebensweltrahmen zu
ermitteln. Die Obsessionen eines lustvollen Vergessens sind mindestens so reizvoll wie die
Suche nach der verlorenen Zeit. |
Wenn nichts wäre...Das wäre
doch auch etwas. Aus diesem Widerspruch kommt keine menschliche Rekonstruktion der Welt
heraus. Man kann weder "Alles" noch "Nichts" denken, und wenn es
dasselbe wäre, wäre es auch keine Lösung. Abwarten. |
Anthropomorphie. Der Homo-Mensura-Satz hat
heute mehr Bedeutung denn je. Während den Alten nichts anderes übrig blieb, als mit der
eigenen Elle zu messen, spielen sich heute andere Parameter in das Zentrum der
Selbstkonstruktion. Wer jetzt seinen Maßstab verliert, der ist verloren. Freilich ist
menschliches Maß nicht mehr als ein apathischer Wahrheitspragmatismus vor dem Umsturz in
eine extrahumane Kondition. Der Mensch als Maßanzug
aller Dinge von Willendorf bis Lagerfeld ist zu eng geworden. Der Mensch
muss sich, wenn er überleben will, mit dem Außermenschlichen verbünden. Von der
Prothesenkultur bis zur Applikation der Medien. Hintergrund ist die Umrüstung der biologischen Evolution zur technologischen. |
Virtuelles Selbst. Das nach Augustinus
von Descartes auf den angstvollen Höhepunkt getriebene Cogito-Prinzip des
verdrängten Selbstzweifels weicht heute dem Antiprogramm der libidinösen Auflösung des
Selbst im Virtuellen. Wenden wir den
existenziellen Selbstzweifel gegen diesen selbst, um das Selbst von der terroristischen
Apologetik der Existenz zu befreien. Das Spiel einer Fälschung, die nichts außer der
Schrift kennt, kann nicht bei der Schrift stehen bleiben. |
Ausweg. Einen Weg aus den sich
auftürmenden Aporien des späteuropäischen bzw.
frühglobalen Lebens mag vielleicht die Welt selbst weisen. Wäre die Welt eine riesige
Selbstreferenz, allein auf sich bezogen und nicht in der Erkenntnis überformbar, dann
wäre nur die Gesamtheit der Phänomene, ihr Wechselspiel und dessen Schatten, die Antwort
auf die Welt. Nicht mehr und nicht weniger: Die Welt als Liebe zu sich selbst, ein
gigantischer Zirkel narzisstischer Begegnung. Das mag als Antwort auf die klassische
Philosophie vorläufig genügen. |
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